# taz.de -- Nach dem Gazakrieg: Waffenstillstand. Und jetzt? | |
> Dank der Vermittlung durch Ägypten haben Israel und die Hamas ihren Krieg | |
> beendet. Doch die Palästinenserfrage ist damit nicht gelöst. | |
Bild: Am Freitag im Gazastreifen – das Haus wurde durch einen israelischen Lu… | |
KAIRO taz | Die Waffen schweigen wieder. Das ist die gute Nachricht. Die | |
schlechte ist: Keines der Probleme, die zum Gazakrieg geführt haben, ist | |
gelöst. Nach ägyptischer Vermittlung hatten das israelische | |
Sicherheitskabinett und die Hamas-Führung einer Waffenruhe zugestimmt, die | |
in der Nacht auf Freitag in Kraft trat. | |
In dem 11-tägigen Waffengang sind auf israelischer Seite 12 Menschen und im | |
Gazastreifen, laut Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums, 243 | |
Menschen getötet worden, darunter über 100 Frauen und Kinder. | |
Israel behauptet, 225 Mitglieder militanter Gruppierungen im Gazastreifen | |
getötet zu haben. Die Hamas macht keinerlei Angaben zu Verlusten in ihren | |
eigenen Reihen. [1][Das Elend, das der Krieg über viele Familien im | |
Gazastreifen gebracht hat], wird erst in den nächsten Tagen deutlich | |
werden, wenn wieder Journalisten in das Gebiet gelassen werden. | |
Beide Seiten beanspruchen nun für sich, der Sieger zu sein. Das israelische | |
Militär sagt, es habe Hunderte Mitglieder von Hamas und dem „Islamischen | |
Dschihad“ getötet und deren Waffensysteme und Raketen zerstört. Die Hamas | |
nimmt für sich in Anspruch, dass die israelische Armee mit all ihrer | |
Feuerkraft nicht verhindern konnte, dass von Gaza aus Raketen auf Israel | |
abgeschossen wurden. | |
## Ungemütliche Fragen für Netanjahu | |
Gleichzeitig ist nichts dessen, was dem Konflikt zugrunde liegt, gelöst: | |
die Abriegelung des Gazastreifens von der Außenwelt, die israelische | |
Besatzung des Westjordanlands und [2][die drohenden Zwangsräumungen in | |
Ostjerusalem]. Das sind alte Konfliktlinien zwischen Palästinensern und | |
Israelis. | |
Dazu ist jetzt noch eine neue gekommen: [3][die blutigen | |
Auseinandersetzungen der letzten Tage zwischen arabischen und jüdischen | |
Bürgern innerhalb des israelischen Staatsgebiets]. Die werden mit dem Ende | |
des Krieges wahrscheinlich zwar nachlassen. Was aber bleibt, ist | |
zerbrochenes Glas und der Unmut der Palästinenser, in einem – wie sie es | |
nun immer mehr nennen – [4][„Apartheidsystem“ als Bürger zweiter Klasse]… | |
einem jüdischen Staat. | |
Wie sich der Krieg auf die innerisraelische und innerpalästinensische | |
Dynamik auswirkt, wird in den nächsten Tagen deutlich werden. Nachdem die | |
Waffen jetzt schweigen, wird sich der israelische Regierungschef Benjamin | |
Netanjahu ungemütliche Fragen stellen lassen müssen über seine persönlichen | |
Motive für die Eskalation, die zu diesem Krieg geführt hat – allen voran | |
die Frage, warum er die Siedler in Ostjerusalem von der Leine gelassen hat, | |
die dortigen Zwangsräumungen voranzutreiben. | |
Dazu kamen [5][Einsätze der israelischen Polizei im Ramadan in der Altstadt | |
Ostjerusalems sowie in der Al-Aksa-Moschee], deren Verhältnismäßigkeit auch | |
innerhalb der israelischen Gesellschaft mit dem Waffenstillstand | |
thematisiert werden dürfte. Im Kern steht dabei die Frage, ob Netanjahu von | |
seinen Schwierigkeiten, sich als Regierungschef an der Macht zu halten, und | |
von einem Gerichtsverfahren gegen ihn wegen Korruptionsverdachts ablenken | |
wollte. | |
## Die Hamas ist zurück | |
Die innerpalästinensische Dynamik ist schwerer zu greifen. Am deutlichsten | |
ist, dass die letzten Tage die palästinensische Selbstverwaltung und | |
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas geschwächt und die Rolle der Hamas | |
gestärkt haben. Aus palästinensischer Sicht waren die israelischen | |
Polizeieinsätze in Ostjerusalem der Auslöser des jüngsten Konfliktes. | |
Und während Abbas dabei nicht viel mehr als ein Zuschauer auf der | |
Seitenlinie blieb, erkannte die Hamas ihre Chance, stellte der israelischen | |
Polizei ein Ultimatum, sich aus der Al-Aksa-Moschee zurückzuziehen sowie | |
von den Zwangsräumungen im Ostjerusalemer Viertel Sheikh Jarrah abzusehen. | |
Wenige Minuten nach Ablauf des Ultimatums flogen die ersten Raketen auf | |
Israel. | |
Die Hamas, frustriert über ihre Rolle als zunehmend unpopulärer Machthaber | |
im palästinensischen Armenhaus Gazastreifen, hat sich mit ihren Raketen | |
wieder in die gesamtpalästinensische Politik geschossen. Ob die | |
Hamas-Rechnung allerdings wirklich aufgeht, bleibt abzuwarten. | |
Zum einen werden die Palästinenser den hohen Preis kalkulieren, den die | |
Zivilbevölkerung im Gazastreifen bezahlt hat, dessen Infrastruktur nun | |
wieder Jahre zurückgebombt wurde. Auf der anderen Seite hat sich gerade bei | |
den Auseinandersetzungen in Ostjerusalem und auch in den Tagen des Krieges | |
eine neue palästinensische Generation zu Wort gemeldet, die ihr Vertrauen | |
in die alte palästinensische Führung verloren hat – egal, ob sie Abbas oder | |
Hamas heißt. | |
International haben die letzten Tage aber vor allem eins gezeigt: Die | |
Palästinenserfrage wird sich nicht in Luft auflösen. Der Status quo in | |
Nahost ist nicht nachhaltig. Daran ändert auch der neue Waffenstillstand | |
nichts. | |
21 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Krieg-zwischen-Israel-und-der-Hamas/!5772318 | |
[2] /Auseinandersetzungen-in-Israel/!5766297 | |
[3] /Aktivistin-ueber-Nahostkonflikt/!5767824 | |
[4] /Apartheid-und-Israel/!5762844 | |
[5] /Israel-Palaestina-Konflikt/!5766296 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Gaza | |
Ost-Jerusalem | |
Jerusalem | |
Palästina | |
Benjamin Netanjahu | |
Israel | |
GNS | |
Kolumne Stadtgespräch | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Palästina | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Enteignungen in Ostjerusalem: Streetart gegen das Wegschauen | |
Im Stadtteil Silwan zeigt sich der Nahostkonflikt im Kleinen. | |
Palästinenser*innen kämpfen für ihre Häuser, eine jüdische Künstlerin | |
unterstützt sie. | |
Menschenrechtler zu Gefechten in Nahost: „Ganze Familien kamen um“ | |
Human Rights Watch wirft Israel „offenkundige Kriegsverbrechen“ im Krieg | |
gegen die Hamas im Mai vor. Menschenrechtler Gerry Simpson erklärt, warum. | |
Ben und Jerry's im Westjordanland: Kein Eis in der Wüste | |
Der Hersteller Ben & Jerry's stellt den Verkauf in jüdischen Siedlungen in | |
der Westbank ein. Palästinensische Aktivist:innen dürfen jubeln. | |
Jüdisch-muslimischer Dialog: Unser Miteinander | |
Ist Krieg in Nahost, verhärten sich auch in Deutschland die Fronten. Wie | |
kann eine neue Basis für das jüdisch-muslimische Miteinander gestaltet | |
werden? | |
Israels Regierung im Nahost-Konflikt: Ringen um Macht | |
Die Waffenruhe hat vorerst Bestand. Doch Netanjahus-Gegner werfen ihm vor, | |
bewusst auf Eskalation gesetzt zu haben – um sich selbst zu retten. | |
Aktivistin über Nahostkonflikt: „Viel Wut hat sich angestaut“ | |
In Israel kommt es zu Unruhen zwischen jüdischen und muslimischen Israelis. | |
Rula Daood berichtet aus der Stadt Lod, die nachts abgeriegelt ist. | |
Israel und Hamas: Waffenruhe in Nahost hält | |
Zwischen der Hamas und Israel schweigen die Waffen seit dem frühen | |
Freitagmorgen. Tausende feierten in Gaza die erste Nacht ohne Angriffe. |