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# taz.de -- Modernisierte Kinderbücher: Ganz gewöhnliche Korrekturen
> Über nachträgliche Änderungen an Kinderbüchern ist ein erbitterter Streit
> entbrannt. Dabei sind solche Eingriffe keine Ausnahme, sondern weithin
> üblich.
Bild: Kinder lesen ganz unbemerkt schon immer modernisierte Versionen der Klass…
Wer weiß noch, was das Wort „Gevatter“ bedeutet oder was eine „Muhme“ …
Wem ist bekannt, dass „Dirne“ früher ein gebräuchliches Wort für ein jun…
Mädchen war – so wie „Weib“ für „Frau“? Und haben solche Wörter in
Kinderbüchern von heute Sinn?
Seit die taz vor vier Wochen darüber berichtet hat, dass aus der Neuauflage
der „Kleinen Hexe“ von Otfried Preußler der Ausdruck „Neger“ gestrichen
werden soll, tobt ein heftiger Streit. Die Sprachschützer gehen auf die
Barrikaden, pochen auf Werktreue und wollen das Wort unter Artenschutz
stellen. Vor allem schwarze Deutsche fühlen sich dadurch diskriminiert.
Auch die Kinderbuchautoren sind gespalten. Die 76-jährige Kinderbuchautorin
Christine Nöstlinger hält das politisch korrekte Umschreiben von
Kinderbuchklassikern für „Unfug“. „In Erwachsenenliteratur würde man ni…
reinpfuschen“, zürnte die in Wien lebende Schriftstellerin und Schöpferin
der „Geschichten vom Franz“ im Berliner Tagesspiegel. Ihr Kollege Paul
Maar, Schöpfer des „Sams“, findet die Streichung des N-Worts aus der
„Kleinen Hexe“ und „Pippi Langstrumpf“ dagegen richtig. „Manchmal geh…
die Political Correctness wirklich sehr viel zu weit“, gestand aber auch er
im Deutschlandfunk.
## Sich mit den Änderungen dazuhalten
Der Streit dreht sich vor allem um das N-Wort. Der Thienemann Verlag, in
dem das Kinderbuch erscheint, will in Absprache mit dem Autor auch andere
altmodische Worte wie „verbläuen“ (für verhauen) und „sich dazuhalten�…
sich beeilen) aus den 50er Jahren durch neue, zeitgemäße Ausdrücke
ersetzen. Diese Korrekturen gehen jedoch fast völlig unter. Und auch die
Tatsache, dass die Änderung von Handlung, Sprache oder einzelnen Wörtern in
Kinder- und Jugendbüchern eher die Regel als die Ausnahme ist.
Grimms Märchen dürfte wohl kaum jemand seinen Kindern im Original vorlesen.
Viele bevorzugen da wohl etwa die Disney-Adaptionen. Auch andere berühmte
Geschichten liegen hauptsächlich in gekürzten und vereinfachten Ausgaben
fürs Kinderzimmer vor.
Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“, der 1719 erschien, wurde bereits
kurz nach Erscheinen auf einen Abenteuerroman reduziert. Gleiches gilt für
„Gullivers Reisen“ des irischen Autors Jonathan Swift von 1726. Allseits
bekannt sind davon nur die ersten beiden Teile, seine Reisen ins Land der
Riesen und in das der Liliputaner. Die Geschichte von „Oliver Twist“ ist
den meisten wohl als Musical oder Kinderfilm bekannt. In späteren Auflagen
hat Charles Dickens selbst die antisemitischen Untertöne der Story, die von
1837 bis 1839 erstmals als Zeitschriftenserie erschien, abgemildert, aus
späteren Ausgaben und den Verfilmungen wurden sie meist ganz getilgt. Dabei
spielt der jüdische Hehler Fagin, der den Waisenjungen zum Dieb ausbildet,
im Buch eine tragende Rolle.
## Pippi mehrfach korrigiert
Das wirft die Frage auf: Was macht ein Kinderbuch zum zeitlosen Kunstwerk?
Ist es die packende Geschichte, die spannende Sprache – oder die Aura des
Originals? Das ist keine rein deutsche Diskussion. Aus den englischen
Übersetzungen von „Pippi Langstrumpf“ wurde schon in den fünfziger Jahren
das Wort „negro“ gestrichen, oder es wurde ersetzt. Die deutsche Fassung
wiederum wurde zwischen 1986 und 1996 überarbeitet, um sie dem schwedischen
Original wieder anzunähern. Dabei erhielt der Bruder von Annika seinen
ursprünglichen Namen „Tommy“ zurück. 1949 hatte man ihn in Deutschland auf
„Thomas“ getauft, um Assoziationen mit der damaligen britischen
Besatzungsmacht zu vermeiden. Briten wurden damals „Tommy“ genannt. Im
schwedischen Original heißt „Michel aus Lönneberga“ übrigens Emil. Dieser
Name war in Deutschland allerdings schon belegt: durch „Emil und die
Detektive“ von Erich Kästner.
Dessen Bücher werden heute noch immer in der Urfassung verlegt. „Man merkt
den Büchern von Erich Kästner natürlich an, dass sie nicht im Jahr 2013
geschrieben worden sind“, sagt Frauke Wedler-Zinn vom Dressler Verlag in
Hamburg, in dem die Bücher von Erich Kästner erscheinen. „Kinder können
erkennen, dass das nicht die Welt ist, die sie umgibt“, glaubt sie. „Wenn
sie mit Doktor Doolittle um die Welt reisen, dann ist das eine andere Welt,
als wenn sie mit TUI reisen“.
Bei Neuauflagen stellt der Verlag im Zweifelsfall Anmerkungen voran. So
heißt es in einer 2012 zur Verfilmung von „Huckleberry Finn“ erschienen
Ausgabe: „Die Verwendung der Bezeichnung „Neger“ ist in diesem Buch allein
der Originaltreue geschuldet. Eine Herabsetzung ist in keiner Weise
intendiert.“
## Gängige Praxis
Beim Stuttgarter Thienemann Verlag möchte man sich nach dem Wirbel um „Die
kleine Hexe“ am liebsten gar nicht mehr zu dem Thema äußern. „Nachträgli…
Änderungen sind im Literaturbetrieb gängige Praxis“, gibt die
Thienemann-Sprecherin Svea Unbehaun allerdings zu bedenken. „Das ist
meistens nicht so aufgefallen, weil sie oft nicht als so tiefgreifend
empfunden wurden.“
Sie nennt ein Beispiel: „Michael Ende hat noch zu seinen Lebzeiten das Land
„China“ in seinen Jim-Knopf-Büchern in das fiktive Land „Mandala“
umbenannt, weil er sich mit dem realen System in China nicht identifizieren
konnte. Ihm schienen Änderungen im Nachhinein nötig, weil sich die
politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse verändert hatten.“
Jede Änderung setze aber das Einverständnis der Autoren, Nachkommen oder
Rechteinhaber voraus – im Fall der „Kleinen Hexe“ und des „Kleinen
Wassermanns“ sei die Vorschlagsliste von der Familie Otfried Preußlers
gekommen. Im „Kleinen Wassermann“ sollen Ausdrücke wie „Wäsche schweife…
(in Seifenlauge spülen) und „ausbrühen“ (mit heißem Wasser ausspülen)
ersetzt werden. Die meisten Eltern können sie ihren Kindern gar nicht
erklären, weil sie sie selbst nicht mehr kennen.
Bei der Neuauflage von Preußlers „Räuber Hotzenplotz“-Trilogie, die letzt…
Jahr erschien, gab es hingegen keine Änderungen. Auch bei „Jim Knopf“ sei
das nicht geplant. „Da würde es aus inhaltlichen Gründen keinen Sinn
machen“, meint Svea Unbehaun vom Thienemann Verlag. „Herr Ärmel ist ein
altkluger Besserwisser. Seine wörtliche Rede charakterisiert ihn, sodass es
die Ironie der Szene zerstören würde, wenn man die Stelle, in der er Jim
Knopf als ’kleinen Neger‘ bezeichnet, streichen würde.“
4 Feb 2013
## AUTOREN
Daniel Bax
Daniel Bax
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