| # taz.de -- Mieterbund über sozialen Wohnungsbau: „Das ist ein Konstruktions… | |
| > Ulrike Hamann vom Berliner Mieterverein kritisiert die Fördersystematik | |
| > des sozialen Wohnungsbaus. Die Allgemeinheit müsse langfristig | |
| > profitieren. | |
| Bild: Zu wenig Bautätigkeit im sozialen Wohnungsbau? Unbenutzte Kräne auf ein… | |
| taz: Frau Hamann, laut [1][einer neuen Studie] wird die Bundesregierung ihr | |
| Ziel verfehlen, 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr zu schaffen. Wie | |
| bewerten Sie das? | |
| Ulrike Hamann: Mit der Studie wird der Mangel an leistbarem Wohnraum | |
| unterstrichen. Aber selbst wenn die Bundesregierung unserer Forderung nach | |
| einem Sondervermögen folgt, ist es wichtig, aus alten Fehlern zu lernen. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Die Fördersystematik funktioniert ja bislang so: Private Eigentümer | |
| bekommen vom Staat Fördergelder dafür, dass gebaute Wohnungen temporär | |
| belegungsgebunden sind. Das heißt, die Wohnungen werden an Menschen mit | |
| einem Wohnberechtigungsschein vergeben und die Mieten sind relativ günstig. | |
| Aber diese Sozialbindung ist zeitlich begrenzt, und kann auch vorzeitig | |
| aufgehoben werden, wenn die Eigentümer*innen ihre Darlehen früher | |
| zurückzahlen. In Berlin beträgt die Sozialbindung 30 Jahre, die Dauer | |
| variiert in den einzelnen Bundesländern. Danach können die Wohnungen nach | |
| den Regeln des freien Markts vermietet werden. Das ist doch ein | |
| Konstruktionsfehler. | |
| Der dazu führt, dass es [2][immer weniger Sozialwohnungen] gibt. 2007 gab | |
| es in Deutschland noch über 2 Millionen Sozialwohnungen, 2020 waren es nur | |
| noch 1,1 Millionen. Es fallen mehr Sozialwohnungen aus ihrer Bindung, als | |
| neue entstehen. Warum werden Sozialwohnungen überhaupt zeitlich befristet? | |
| Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben nicht genügend Baukapazitäten, | |
| deshalb wollte man die privaten Eigentümer zum Bauen motivieren. Nur diese | |
| haben kein Interesse daran, dauerhaft niedrige Mieten zu nehmen, also wird | |
| die Belegungsbindung zeitlich befristet. | |
| Sie sind Mitherausgeberin des Heftes „Die Legende vom Sozialen | |
| Wohnungsbau“. Ist der soziale Wohnungsbau gar nicht so sozial? | |
| Es ist eine staatliche Eigentumsförderung für Privatpersonen, Fonds und | |
| Unternehmen mit einer sozialen Zwischennutzung. Die Allgemeinheit | |
| profitiert davon nicht dauerhaft. Tatsächlich war die soziale | |
| Wohnraumförderung immer schon für „breite Schichten der Bevölkerung“, al… | |
| auch für Menschen mit mittleren Einkommen konzipiert, die sich keinen | |
| eigenen Hausbau leisten konnten. Erst später ab den 1960er Jahren wurde die | |
| Förderung für größere Mietshäuser ausgebaut. | |
| Also hatte der soziale Wohnungsbau gar nicht das Ziel, günstigen Wohnraum | |
| zu schaffen? | |
| Doch, das auch. Aber in der Bundesrepublik wurde mit dem sozialen | |
| Wohnungsbau die Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, auch an Private | |
| ausgelagert. In der DDR war es anders. Da gab es staatliche | |
| Wohnungsbauprogramme, und die Wohnungen wurden entweder von | |
| Genossenschaften oder von kommunalen Gesellschaften gebaut. | |
| Haben wir so wenig Sozialwohnungen, weil die alte Wohngemeinnützigkeit 1990 | |
| abgeschafft wurde? | |
| Das ging mit einher. Mit der Abschaffung der alten Wohngemeinnützigkeit | |
| wurde ein ganzer Teilbereich auf dem Wohnungsmarkt, der nicht | |
| gewinnorientiert war, abgeschafft. Zusätzlich wurde die Förderung für den | |
| sozialen Wohnungsbau immer weiter eingedampft, auch weil es Kritik an den | |
| Großwohnsiedlungen gab, die mit dem sozialen Wohnungsbau entstanden sind. | |
| Sie wurden als „überlastete Nachbarschaften“ diskreditiert. | |
| Die Ampel will eine neue Wohngemeinnützigkeit beschließen: | |
| Gemeinwohlorientierte Wohnungsbauunternehmen, die dauerhaft günstigen | |
| Wohnraum schaffen, bekommen dann steuerliche Vorteile. Ein Wendepunkt? | |
| Im Frühling soll es einen ersten Entwurf geben. Das Ziel ist, wieder einen | |
| nicht gewinnorientierten Sektor aufzubauen, der langfristige Bindungen und | |
| leistbaren Wohnraum bietet. Das ist insbesondere in den Zeiten | |
| explodierender Mieten dringend nötig, denn Wohnen ist Teil der | |
| Daseinsvorsorge. | |
| Sind wir nicht darauf angewiesen, dass auch Private bauen? | |
| Das ist tatsächlich ein Problem. Die landeseigenen | |
| Wohnungsbaugesellschaften sind gar nicht in der Lage, so viel selbst zu | |
| bauen. Das heißt, momentan kommen wir gar nicht an der privaten | |
| Bauwirtschaft vorbei. Aber es ist eine Trendwende in der privaten | |
| Immobilienwirtschaft zu beobachten: Angesichts der steigenden Bauzinsen und | |
| Unsicherheiten wird der soziale Wohnungsbau wieder attraktiver. Denn er | |
| garantiert ja über einen langen Zeitraum immerhin eine kleinere Rendite. | |
| Ist das ein guter Trend? | |
| Kommt darauf an. In Berlin gilt nach wie vor eine Bindungsdauer von 30 | |
| Jahren. In Hamburg dürfen landeseigene Grundstücke nicht mehr verkauft, | |
| sondern nur noch per Erbbaupacht vergeben werden – und zwar unter der | |
| Bedingung, dass darauf ein bestimmter Anteil von Sozialwohnungen entsteht | |
| mit einer Bindungsdauer von einhundert Jahren. Hamburg hat also vorgemacht, | |
| dass fast dauerhafte Bindungen bei Sozialwohnungen möglich sind. | |
| Es ist also einfach eine politische Entscheidung, wie lange diese Bindungen | |
| laufen? | |
| Ja, aber die Wohnungswirtschaft hat natürlich ein erpresserisches Moment. | |
| Sie kann sagen: Wir bauen nicht, wenn die Konditionen, die ihr uns | |
| anbietet, unattraktiv sind. Für das Hamburger Modell, was jetzt bekannt | |
| geworden ist, gab es auch sehr viel Schelte von der Immobilienwirtschaft. | |
| Es wird auch viel geklagt, dass das Bauen angesichts der steigenden | |
| Baukosten fast unmöglich ist und so Projekte ruhen. Trifft das den sozialen | |
| Wohnungsbau besonders? | |
| Die Immobilienwirtschaft will, dass die Förderbedingungen jetzt angepasst | |
| werden, also sie wollen mehr staatliches Geld. Aber die Frage ist doch: | |
| Welche Verpflichtungen haben sie im Gegenzug? In Berlin wurden die | |
| Förderbedingungen in Absprache mit der Wohnungswirtschaft angepasst. Mit | |
| der Folge, dass es jetzt Fördergelder vom Land Berlin gibt, aber es muss | |
| nicht mehr zwingend für niedrige Einkommen gebaut werden, sondern es geht | |
| auch für das mittlere Preissegment. Konkret: Momentan liegt die Sozialmiete | |
| in Kreuzberg bei 6,74 Euro. Die neue Förderung garantiert eine | |
| „Sozialmiete“ von 9,00 Euro. Es wird also wieder am Bedarf vorbeigebaut | |
| 13 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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