| # taz.de -- Verdrängung in Berlin: Letzte Bastion bezahlbaren Wohnens | |
| > In den 90ern unterstützte Berlin mit viel Geld Sanierungen maroder Häuser | |
| > im Gegenzug für eine vergünstigte Miete. Nun laufen die Sozialbindungen | |
| > aus. | |
| Bild: Lukrative Zuschüsse in den 90ern: Wohnhäuser in Prenzlauer Berg | |
| BERLIN taz | Sie sei eine der letzten Stammmieterinnen, sagt Hannah Rose. | |
| Ihre Nachbarn hätten bereits nach und nach klein beigegeben. Von den 36 | |
| Wohnungen des Hauses in der Buchholzer Straße in Prenzlauer Berg seien | |
| heute nur noch acht von regulären Mietern bewohnt. Die anderen würden | |
| entweder möbliert und befristet vermietet oder auf Plattformen wie Airbnb | |
| für Touristen angeboten. „Es ist ungemütlich geworden“, sagt Rose. | |
| Bei ihrer Wohnung ist es bereits 2018 eingetreten, bei anderen passiert es | |
| gerade, bei den letzten, die um die Jahrtausendwende mit öffentlichen | |
| Geldern saniert wurden, wird es in den kommenden zehn Jahren so weit sein: | |
| Die [1][Wohnungen fliegen aus der Sozialbindung]. | |
| Zwischen 1990 und 2003 wurde mit viel Geld im ehemaligen Ostteil der Stadt | |
| die Sanierung von über 17.000 Wohnungen öffentlich gefördert. Ziel war es, | |
| die zu DDR-Zeiten verfallenen Altbauten in Prenzlauer Berg oder | |
| Friedrichshain wieder instand zusetzen. Der Senat habe sich seinerzeit auf | |
| einen „Spagat“ eingelassen, [2][sagt Matthias Bernt, der am | |
| Leibniz-Institut in Erkner zu Wohnungspolitik forscht]. | |
| Nach der Wiedervereinigung wurden viele Wohnungen an ihre privaten | |
| Alteigentümer rückübertragen. Diese bekamen nun einerseits Fördermittel für | |
| die Sanierung, andererseits verpflichteten sie sich, die Wohnungen für 20 | |
| bis 30 Jahre mietpreisgebunden zu vermieten. „Die Rechnung bekommt Berlin | |
| jetzt, wenn die Sozialbindungen auslaufen und der ganze Fördereffekt | |
| verpufft“, sagt Bernt. | |
| ## Großteil in privater Hand | |
| Von den etwas über 4.300 verbliebenen Sozialwohnungen aus diesem Programm | |
| zur sozialen Stadterneuerung laufen allein in diesem Jahr bei rund 1.500 | |
| Wohnungen die Sozialbindungen aus. Fast die Hälfte davon in Pankow und | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. Zwar gibt es mit öffentlichem Geld sanierte | |
| Wohnungen auch bei den Landeseigenen oder Genossenschaften. Der Großteil | |
| ist aber in privater Hand. | |
| Darunter sind auch berüchtigte Immobilieninvestoren wie die Gruppe von | |
| Gijora Padovicz, die einst für mehr als 20 Häuser in Friedrichshain | |
| Sanierungsmittel erhalten hat. Mehrere Verfahren hat der Bezirk in den | |
| vergangenen Jahren mit dem Eigentümer wegen Verstößen gegen die | |
| Mietpreisbindung geführt. | |
| Die Eigentümer gehen dabei durchaus unterschiedlich mit den Wohnungen um, | |
| bei denen die Bindung ausgelaufen ist. Eine Mieterhöhung ist ohnehin die | |
| Regel. Für manche Bewohner aber explodiert die Miete regelrecht, sofern der | |
| vor Jahren abgeschlossene Mietvertrag eine entsprechende Klausel für die | |
| Zeit nach der auslaufenden Bindung enthält. | |
| Nicht selten sind die Wohnungen im Grundbuch zudem bereits in | |
| Eigentumswohnungen umgewandelt worden. „Es kommen viele in die Beratung, | |
| die eine riesige Panik vor dem Wohnungsverlust haben“, sagt Knut Beyer, | |
| Geschäftsführer der Mieterberatung Asum. | |
| ## Sozialer Sprengstoff | |
| Hannah Roses Wohnung ist zwar erst nach Auslaufen der Bindung in eine | |
| Eigentumswohnung umgewandelt worden, in dem Fall greift eine längere | |
| Schutzfrist für die Mieter. Trotzdem sagt sie: „Ich rechne damit, dass 2026 | |
| dann auch in meiner Wohnung ein Makler mit Interessenten steht, die mit dem | |
| Zollstock schon einmal ausmessen, wo sie ihre Möbel hinstellen werden.“ | |
| Der soziale Sprengstoff, der mit dem Auslaufen der Bindungen gezündet | |
| werde, sei damals schon absehbar gewesen, sagt Matthias Bernt. Bereits in | |
| den 90er Jahren hätten Mietaktivisten gefordert, dass mit dem vielen Geld | |
| besser gemeinwohlorientierte Träger langfristig gefördert werden. | |
| Genutzt hat es nichts. Die Stadt sei im „Metropolenfieber“ gewesen, | |
| erinnert sich Bernt. „Ich habe als Sprecher der Betroffeneninitiative | |
| Helmholtzplatz selbst erlebt, wie uns niemand zuhören wollte. Der damalige | |
| SPD-Bausenator Wolfgang Nagel meinte, er redet doch auch nicht mit jedem | |
| Kaninchenzüchterverein.“ | |
| ## Politik bleibt untätig | |
| Heute höre man den Mietern zwar zu, mehr aber auch nicht, sagt Hannah Rose. | |
| Zusammen mit anderen Mietern hat sie sich zu der Initiative Pankow gegen | |
| Verdrängung zusammengeschlossen. In diesem Jahr [3][organisierte die | |
| Initiative einen Krisengipfel mit Vertretern des Senats]. Die ebenso | |
| zentrale wie ernüchternde Erkenntnis: Die Politik werde nichts für sie tun. | |
| Das Kind sei in den Brunnen gefallen, so Mieterberater Knut Beyer. Wenn bei | |
| landeseigenen Wohnungsunternehmen Sozialbindungen auslaufen, könne | |
| politisch wenigstens festgelegt werden, zu welchen Konditionen die | |
| Wohnungen weitervermietet werden. Die Privaten könne man dagegen nur mit | |
| weiterem Geld dazu bringen. Damit würde man „den Aufprall“ aber nur | |
| verzögern, sagt Beyer. Hinzu kommt: Nur die wenigsten Privaten werden dazu | |
| bereit sein. | |
| Wohnungsforscher Matthias Bernt spricht von einem Bündel an Maßnahmen, die | |
| eigentlich nötig wären, um die auslaufenden Bindungen in den Griff zu | |
| bekommen. Vor allem aber müsse der Senat eine Strategie erarbeiten, mit der | |
| kommunale und genossenschaftliche Unternehmen dabei unterstützt werden, | |
| Wohnungen anzukaufen. | |
| Eine solche Ankaufstrategie wird seit Jahren gefordert. Allein, ebenso | |
| lange gibt es seitens der politischen Entscheidungsträger kein Interesse | |
| daran. „Ein gesonderter Erwerb von einzelnen, umgewandelten Wohnungen ist | |
| kein tragfähiger Gegenstand kommunaler Bewirtschaftungsstrategien“, so der | |
| Senat. | |
| Nur mit dem Neubau von Sozialwohnungen werde man das Problem aber nicht | |
| lösen, ist Matthias Bernt überzeugt. Neubau finde vor allem dort statt, wo | |
| es ohnehin viele Sozialwohnungen gibt, nicht aber in den | |
| Innenstadtbezirken. Hier ist zwar die Not am größten, aber es fehlt | |
| schlicht an Bauland. | |
| ## CDU will Fehlbelegungsabgabe | |
| Mit Blick auf das Problem mit den Sozialwohnungen in der Innenstadt | |
| trommelt unterdessen vor allem die CDU für [4][die Idee einer | |
| Fehlbelegungsabgabe]. Ein Instrument dieser Art gab es bis 2003. Mieter, | |
| deren Einkommen mit der Zeit über die WBS-Grenze gestiegen waren und die | |
| weiter in Sozialwohnungen wohnten, mussten ein bis fünf Mark mehr pro | |
| Quadratmeter zahlen. Ein Anreiz zum Umziehen – zumindest in der Theorie. | |
| In der Praxis hält Mieterberater Beyer den Vorschlag für untauglich. | |
| „Angesichts der wenigen bezahlbaren Wohnungen in Berlin würde doch jemand, | |
| der in einer Sozialwohnung wohnt und nun besser verdient, nicht umziehen.“ | |
| Stattdessen müssten die landeseigenen Wohnungsunternehmen in den | |
| innerstädtischen Bezirken alle ihre frei werdenden Wohnungen als | |
| Sozialwohnungen vermieten, fordert Matthias Bernt. Nur so könne der | |
| [5][Entmischung dieser Quartiere etwas entgegengesetzt] werden. | |
| Wenn man ihn danach fragt, wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain in zehn | |
| Jahren aussehen werden, wenn alle Bindungen aus dem Sanierungsprogramm und | |
| viele bei neu gebauten Sozialwohnungen ausgelaufen sind, verweist er auf | |
| das Haus von Hannah Rose. Drumherum hätte längst eine | |
| „Supergentrifizierung“ eingesetzt „Die Wohnungen, deren Sanierung in den | |
| 90ern gefördert wurden, sind heute die letzte Bastion bezahlbaren Wohnens | |
| in den ehemaligen Ostbezirken der Innenstadt“, sagt er. | |
| 3 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yannic Walther | |
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