# taz.de -- Merkels Auftritt in Brüssel: Gute Rede, wenig Taten | |
> Flammende Bekenntnisse zu Europa reichen jetzt nicht aus. Merkel muss für | |
> ihren Plan kämpfen und vor allem die geizigen Niederländer überzeugen. | |
Bild: Merkel sorgte mit ihrer Rede in Brüssel vor allem dafür, die Abgeordnet… | |
Na also, geht doch! Wenn es wirklich darauf ankommt, kann Angela Merkel | |
auch mal [1][ein leidenschaftliches Plädoyer für die EU] halten. Ihre erste | |
Rede im Europaparlament seit der Coronakrise enthielt alles, was den | |
Parlamentariern am Herzen liegt: Ein wenig Europa-Pathos, ein Bekenntnis zu | |
den Grundwerten, ein Appell zur Solidarität. | |
Die EU sei „zu Großem fähig“, erklärte die Kanzlerin bei der Vorstellung | |
ihres [2][Programms für den sechsmonatigen Ratsvorsitz]. Sogar den | |
„Aufbruch für Europa“, der schon seit drei Jahren Regierungsprogramm sein | |
sollte, hat sie angesichts der schlimmsten Wirtschafts- und Sozialkrise | |
seit dem 2. Weltkrieg wiederentdeckt. | |
Leider kommt das alles viel zu spät. Den „Aufbruch“ hätte es schon vor | |
Jahren gebraucht – spätestens 2016, als die Briten der EU den Rücken | |
kehrten. Nun geht es nicht mehr darum, zu neuen Ufern aufzubrechen, sondern | |
den Laden zusammenzuhalten. Die EU ist empfindlich geschwächt, [3][der | |
Zusammenhalt ist akut gefährdet]. | |
Das ist auch Schuld der Kanzlerin, die viel zu lange auf der falschen Seite | |
stand. Vor dem Brexit paktierte sie mit David Cameron, dem Totengräber der | |
britischen Europapolitik. Danach suchte sie die Nähe [4][der „Sparsamen | |
Vier“] und bremste den EU-Reformer Emmanuel Macron aus. Erst jetzt sucht | |
sie den Schulterschluss mit Paris. | |
Doch ihr Einsatz für [5][den Wiederaufbau-Fonds, den Merkel gemeinsam mit | |
Macron vorgeschlagen] hat, lässt zu wünschen übrig. Bei ihrem Kurztrip nach | |
Brüssel traf die Kanzlerin zwar den ständigen EU-Ratspräsidenten Charles | |
Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Eine Strategie für den | |
Wiederaufbau hatte sie jedoch nicht im Gepäck. | |
## Merkel muss um ihren Plan kämpfen | |
Wie will sie die „Sparsamen Vier“, allen voran den niederländischen Premier | |
Mark Rutte, überzeugen? Noch im Februar war Rutte ihr engster Partner, als | |
es darum ging, eine Aufstockung des EU-Budgets zu verhindern. Nun hat die | |
Kanzlerin die Fronten gewechselt – und steht in der Pflicht, ihren | |
ehemaligen Verbündeten mitzunehmen. | |
Das wird nicht leicht. Denn auch sechs Wochen nach dem | |
Merkel-Macron-Vorschlag ist noch so gut wie alles umstritten. Der Umfang | |
des EU-Budgets, die Größe des Wiederaufbaufonds, die Schuldenfinanzierung, | |
die Vergabe von Zuschüssen, die Beitragsrabatte, mögliche neue EU-Steuern: | |
Nirgendwo zeichnet sich eine Einigung ab. | |
Flammende Bekenntnisse zu Europa und dringende Appelle zu Eile reichen in | |
dieser Lage nicht aus. Merkel muß für ihren Plan kämpfen und die geizigen | |
Niederländer davon überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, [6][die | |
EU aus dem Koma] zu holen. Ein Treffen mit Rutte an diesem Donnerstag in | |
Berlin bietet eine gute Gelegenheit. | |
Allerdings spricht wenig dafür, dass sich Merkel mit Rutte anlegen wird. Im | |
Gegenteil: Bei ihrer Rede im Europaparlament sprach sie wiederholt von 500 | |
Milliarden Euro für den Wiederaufbau – und nicht von 750 Milliarden, wie | |
sie die EU-Kommission und das Parlament fordern. Das läßt in Brüssel alle | |
Alarmglocken schrillen. | |
Will Merkel den Rettungsplan schon wieder eindampfen, noch bevor die | |
Verhandlungen richtig begonnen haben? Lässt sie die historische Chance | |
verstreichen, eine echte, solidarische Wirtschaftsunion aufzubauen, wie sie | |
neuerdings sogar Wolfgang Schäuble fordert? Und was wird [7][aus dem | |
Klimaschutz und dem „European Green Deal“]? | |
Bei ihrer Rede in Brüssel ist Merkel auf diese Fragen kaum eingegangen. Es | |
ging ihr wohl mehr darum, die Abgeordneten gütig zu stimmen. Denn am Ende | |
werden sie einige Kröten schlucken müssen – genau wie beim letzten | |
EU-Budget vor sieben Jahren. Damals setzte Merkel eine kräftige Kürzung | |
durch, Seit’ an Seit’ mit Cameron. | |
9 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Kanzlerin-Merkel-im-EU-Parlament/!5698670 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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