Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Meloni für Migration in Italien: Realistischer Rassismus
> Italiens Regierung will von ihrer fremdenfeindlichen Rhetorik nicht
> lassen. Doch die Realität schafft Fakten – Zuwanderung ist die Devise.
Bild: Migrant*innen aus Sri Lanka auf einem Feld in Kampanien
Was ist bloß in Giorgia Meloni gefahren? Jahrelang wollte die harte
Rechtsauslegerin der Migration Richtung Italien den Riegel vorschieben,
propagierte sie „Prima gli italiani!“, „Italiener zuerst!“ Nicht zuletzt
mit dieser Stimmungsmache gewann sie im September 2022 die
Parlamentswahlen.
Doch jetzt macht ausgerechnet die von ihr angeführte Rechtsaußenregierung
das Tor für Migrant*innen ziemlich weit auf. Letzte Woche beschloss das
Kabinett, in den Jahren 2023–25 sollten insgesamt 452.000 Menschen aus dem
Ausland eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Italien erhalten.
Mehr Ausländer*innen als unter allen Vorgängerregierungen der letzten
Jahre sollen ins Land, und mehr Berufsgruppen haben die Chance auf die
Eintrittskarte für Italien: nicht nur die bisher immer präsenten
Erntearbeiter*innen und die in der Tourismusbranche Beschäftigten,
sondern auch Busfahrer*innen, Klempner und Elektriker*innen, Fischer und in
der häuslichen Pflege Tätige.
Noch vor wenigen Wochen tönte der Meloni-Minister Francesco Lollobrigida,
Italien müsse sich gegen die Massenmigration verteidigen, weil sonst der
„ethnische Austausch drohe“ – und jetzt organisiert die Regierung selbst
einen Teil der Massenmigration.
## Tendenz fallend
Der Grund ist simpel: Es geht schlicht nicht anders. [1][Vorneweg der
Unternehmerverband Confindustria hatte im März der Regierung zugerufen], es
gebe „einen großen und kontinuierlichen Bedarf“ an ausländischen
Arbeitskräften.
Diesen Bedarf kann [2][das rasant alternde Italien] aus sich selbst heraus
nicht abdecken. Allein in den letzten fünf Jahren verlor das Land eine
Million Einwohner, im letzten Jahr kamen erstmals weniger als 400.000
Kinder zur Welt, während gut 700.000 Menschen starben. Das
Durchschnittsalter im Land liegt mittlerweile bei über 46 Jahren, gut 25
Prozent der Bevölkerung sind über 65. Und die Geburtenrate liegt
statistisch bei 1,25 Kinder pro Frau, Tendenz weiter fallend
Meloni und ihre postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder
Italiens) wissen dagegen ein probates Mittel: Man müsste bloß die heimische
Geburtsfreudigkeit wieder ankurbeln, nicht wahr? In den Worten der
Ministerin für „Familie, Gleichstellung und Geburten“, Eugenia Roccella:
„Man kann die Vitalität, die durch das Zeugen von Kindern entsteht, nicht
an Drittländer delegieren.“
Dumm nur, dass selbst die entschlossenste Geburtenpolitik selbst dann, wenn
sie sofort griffe, erst in rund 20 Jahren Resultate für den Arbeitsmarkt
zeitigen würde. Monatelang hatte die Meloni-Regierung sich und dem Land
eingeredet, es gebe schon jetzt ein nicht abgeschöpftes Reservoir
heimischer Arbeitskräfte. Immerhin meldet das Statistikinstitut Istat, 1,7
Millionen junger Leute zwischen 15 und 29 Jahren seien als sogenannte Neet
(Neither in Employment, Education or Training) schlicht untätig.
## Vom Sofa aufscheuchen
Und Meloni dachte, sie müsse nur die allgemeine Grundsicherung abschaffen,
um das faule Pack vom Sofa aufzuscheuchen. Jetzt ist die Grundsicherung
gekippt, doch immer noch bilden sich keine Schlangen Arbeitssuchender vor
den Hotels und Restaurants, die dringend Personal brauchen; sei es
deswegen, weil Arbeitsbedingungen und Löhne absolut unattraktiv sind, sei
es weil die Neets mangels auch elementarer Qualifikation nicht vermittelbar
sind.
Jetzt müssen es also auch für Italiens radikale Rechte die Migrant*innen
richten. Weiterhin aber jammert die Regierung, schon die 70.000 in der
ersten Jahreshälfte 2023 angekommenen, weiterhin illegalisierten und
abgewehrten Flüchtlinge seien „zu viele“. Ökonomisch werden
Zuwander*innen gebraucht – doch sie werden in ein Land kommen, das sie
eigentlich nicht will.
Kulturell nämlich hat Melonis FdI, hat auch ihr Koalitionspartner, Matteo
Salvinis fremdenfeindliche Lega, seit Jahren – bis hin zum Gerede vom
ethnischen Austausch oder davon, den Europäern drohe das gleiche Schicksal
wie den heute in Reservaten lebenden indigenen Völkern in den USA – alles
dafür getan, Migrant*innen für unerwünscht zu erklären.
Jetzt plötzlich sollen sie kommen, als Arbeitskräfte – doch als Menschen
will man auch die nun Angeworbenen weiterhin nicht willkommen heißen.
10 Jul 2023
## LINKS
[1] /Nach-dem-Bootsunglueck-vor-Italien/!5921087
[2] /Wahl-in-Italien/!5881404
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Arbeitsmigration
Giorgia Meloni
Italien
Italien
Giorgia Meloni
Italien
Lesestück Recherche und Reportage
Italien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Melonis Asylverfahrenslager in Albanien: Zwischenlager nicht vorgesehen
Meloni und ihr albanischer Amtskollege Rama einigen sich auf eine
Zwischenstation für aus dem Mittelmeer Gerettete. Mit EU-Recht ist das
unvereinbar.
Ein Jahr Meloni: Die disziplinierte Populistin
Vor einem Jahr kam die Rechtspopulistin Giorgia Meloni in Italien an die
Macht. Viele im Land und in ganz Europa beunruhigte ihr Sieg. Zu Recht?
Gestrichene Sozialhilfe in Italien: Krieg gegen die Armen
Hunderttausende Bedürftige stehen in Italien nun ohne Geld da. Die
Regierung Meloni bedient damit das Ressentiment gegen die Schwächsten.
Italiens Rechte wettern gegen die Justiz: Im Geiste Berlusconis
Die Justiz ermittelt gegen Mitglieder der Regierung. Die geißeln das als
„politische Attacke“. Wie einst Berlusconi sehen sie sich als Justizopfer.
Ausbeutung indischer Landarbeiter: Italiens bittere Kiwis
In ganz Europa sind italienische Kiwis beliebt. Auf den Feldern arbeiten
viele Inder unter unwürdigen Bedingungen, gefangen im ausbeuterischen
System.
Wahl in Italien: Italien hat Angst
Die wahren Probleme werden im italienischen Wahlkampf nicht besprochen:
Weder die Klimakrise, noch die Mafia oder die Armut im Land.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.