# taz.de -- Mauerfall-Gedenken im Kiez: Die Gethsemanekirche flimmert | |
> In Prenzlauer Berg werden die Anwohner qua Videoprojektion en passant und | |
> mitten in ihrem Alltag vom Mauerfall eingeholt. | |
Bild: Schöner war sie selten: Die Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg | |
Mensch, sieht das schön aus“, sagt eine ältere Dame mit kleiner Handtasche | |
und schwäbischem Akzent, als sie auf der Schönhauser Allee in Prenzlauer | |
Berg um die Ecke biegt und plötzlich vor der bunt flimmernden | |
Gethsemanekirche steht. „Ach ja, es ist ja 30 Jahre Mauerfall“, fällt ihr | |
ein und sie schaut sich die 15-minütige Videoprojektion mit historischen | |
Filmaufnahmen, Zeitzeugenberichten und eindrucksvollen Licht- und | |
Soundeffekten gleich zwei Mal an. | |
Die ist anlässlich des [1][Mauerfalljubiläums] an diesem Montagabend zum | |
ersten Mal und noch bis Sonntag täglich nach Einbruch der Dunkelheit auf | |
der Kirche zu sehen – genauso wie am Alexanderplatz, am Europacenter, in | |
der Stasi-Zentrale, am Humboldt Forum und an der East Side Gallery. | |
Die Gethsemanekirche ist vielleicht der letzte der genannten Orte, den die | |
BerlinerInnen mit dem Mauerfall assoziieren, aber doch war die Kirche ein | |
Brennpunkt der friedlichen Revolution. Über ein Kontakttelefon konnten sich | |
hier Oppositionelle und Friedensbewegte vernetzen. | |
Als am 7. Oktober 1989 Demonstranten am Palast der Republik abgewehrt | |
wurden, die die Feierlichkeiten anlässlich des 40. Geburtstages der DDR | |
stören wollten, zogen sie weiter zur Gethsemanekirche. Schon seit dem 2. | |
Oktober war die Kirche Tag und Nacht geöffnet, es gab Mahnwachen, | |
Diskussionsveranstaltungen. | |
## „Ach, das hatte ich fast vergessen“ | |
Als am Montagabend das Video noch einmal das Meer brennender Kerzen zur | |
Gethsemanekirche holt, das vor 30 Jahren den ganzen Vorplatz erhellte, | |
wirken viele der mal um die 50, mal um die 100 Zuschauer auf den | |
Bürgersteigen um die Kirche berührt, auch wenn sie eher zufällig auf dem | |
Weg von der Arbeit oder vom Einkauf nach Hause vorbeigekommen zu sein | |
scheinen. | |
Eine Mutter versucht, ihrem Vorschulkind zu erklären, was Grenzen sind, ein | |
älterer Herr, der angibt, seit 20 Jahren im Kiez zu wohnen, versucht, auf | |
seinem Handy ein Video von der Kirche an den Sohn in Hamburg zu schicken. | |
Auf der Kirche erscheinen die Gesichter wichtiger Oppositioneller wie | |
Bärbel Bohley und Marianne Birthler, aber auch das von Schauspieler Ulrich | |
Mühe, der am 4. November 1989 bei der großen Demo auf dem Alexanderplatz | |
Artikel 27 der DDR-Verfassung zitiert: „Jeder Bürger der DDR hat das Recht, | |
seine Meinung frei und öffentlich zu äußern.“ – „Ach, das hatte ich fa… | |
vergessen“, murmelt eine Frau. | |
Es ist schön, an diesem Montag die Menschen beim Kommen und Gehen zu | |
beobachten, dabei, wie sie mitten in ihrem Alltag en passant von einem | |
historischen Ereignis eingeholt werden. Die Idee, dass es bei diesem | |
Jubiläum nicht einen zentralen Ort, eine einzige Großveranstaltung des | |
Gedenkens geben soll: Hier an der Gethsemanekirche funktioniert sie | |
wunderbar. | |
5 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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