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# taz.de -- Ost-West Paar über ihre Beziehung: „Ostmänner sind spannender“
> Der Mauerfall ermöglichte auch Ost-West-Beziehungen. Zum Beispiel: Renate
> Heusch-Lahl und Christian Lahl aus Rostock.
Bild: Trotzen den Klischees: Renate Heusch-Lahl und Christian Lahl
taz: Frau Heusch-Lahl, Sie kommen aus dem Westen. Herr Lahl, Sie aus dem
Osten. Wann haben Sie das letzte Mal über den Osten gesprochen?
Renate Heusch-Lahl: Wir reden selten über Ost-West.
Christian Lahl: Vor ein paar Tagen hast du eine Bemerkung über Westdeutsche
gemacht, so was wie „die blöden Wessis“.
Renate: Ich meinte damit Leute, für die der gute soziale Status so wichtig
ist, dass sie den dauernd präsentieren müssen.
Christian: Hätten ja auch Ossis sein können.
Renate: Es waren aber typische Wessis.
Gibt es 30 Jahre nach der Wende überhaupt noch typische „Wessis“ und
„Ossis“?
Christian: Wichtigtuer und aufgetakelte Frauen gibt es hier wie da. Ich
behaupte aber, im Osten seltener als im Westen.
Renate: Vor vielen Jahren hatten wir eine kuriose Begegnung auf einem
Gutshof irgendwo in Westdeutschland. Wir sprachen mit den Inhabern über
Ost/West und ich sagte: Wir sind auch ein gemischtes Paar. Darauf der
Gutsherr: Sieht man sofort, Mann West, Frau Ost.
Froh, den Klischees nicht entsprochen zu haben?
Renate: Wir hätten die „vertauschten Rollen“ den ganzen Abend spielen
sollen, das wäre sicher lustig gewesen. Wir haben das aber rasch
aufgeklärt.
Christian: Der Irrtum des Gutsherren lag sicher in meinem selbstbewusstem
Auftreten begründet.
Renate: Wenn ich heute auf Unbekannte treffe, sage ich immer, ich komme aus
Rostock. Und zack, lande ich in der Ostschublade.
Spielt Ost-West für Ihre gemeinsamen Söhne eine Rolle?
Christian: Früher sagten sie oft: „Wie gut, dass die Mauer gefallen ist und
ihr euch kennengelernt habt. Sonst gäbe es uns nicht.“
Renate: Einmal machte ich mit den Kindern Urlaub im Schwarzwald. Eine
Westdeutsche fragte: Kommt dein Mann echt aus dem Osten? Mein ältester
Sohn, damals 4, hörte das und krähte: Papa und ich kommen aus Rostock, aber
Mama kommt vom Dorf.
Dem sozio-ökonomischen Panel zufolge gibt es etwa 11 Prozent
Ost-West-Paare, in der Regel bestehend aus Westmann und Ostfrau. Laut einer
Studie sind diese Beziehungen „signifikant instabil“. Sie sind seit 30
Jahren zusammen. Was ist Ihr Geheimnis?
Christian: Meine erste These: Ich komme zwar aus dem [1][Osten], habe aber
keine typische Ostbiografie. Mein Vater war selbstständiger Kaufmann und
betrieb einen Großhandel für Gewürze und Fleischereibedarf. Das war
unüblich in der DDR.
Renate: Ich würde mich nicht als typische Westfrau bezeichnen. Ich habe zum
Beispiel kein Problem mit FKK. Die Freundinnen, die aus dem Westen kommen,
allerdings schon. Christian und ich haben kaum kulturelle Unterschiede.
Und die zweite These?
Christian: Wir hatten immer unsere Jobs. Renate hat nie von mir erwartet,
dass ich die Familie ernähre, so wie das im Westen noch immer häufig der
Fall ist. Wir waren immer gleichberechtigt, das ist für eine stabile
Beziehung nicht unwichtig.
Renate: Mir war von Anfang an klar, dass Christian von mir nicht verlangen
würde, wegen der Kinder zu Hause zu bleiben. Vor Christian hatte ich Kinder
konsequent ausgeschlossen, ich konnte mir nicht vorstellen, nicht zu
arbeiten. Meine Mutter hat ihren Beruf für die Familie aufgegeben, das habe
ich schon als Kind nicht verstanden.
Christian: Für Renate ist die gegenseitige finanzielle Unabhängigkeit noch
wichtiger als für mich, sie will nicht in die Abhängigkeitsfalle geraten.
Renate: Von meiner Westfamilie wurde ich früher dafür angegriffen, dass ich
wieder arbeiten gegangen bin, als unser erster Sohn gerade mal ein halbes
Jahr alt war. Sie sagten: Das arme Kind muss in die Kita. Wer macht mit ihm
später Hausaufgaben?
Jetzt sind die Kinder groß.
Renate: Solche Vorbehalte spüre ich heute immer noch.
Wie sieht es bei Ihren politischen Einstellungen aus?
Christian: Wir sind uns zu 95 Prozent einig.
Renate: Das empfinde ich zunehmend wichtiger. Ich beobachte bei anderen
Paaren, wie politische Differenzen die Beziehungen belasten und sogar
zerstören.
Religion?
Renate: Ich bin im Rheinland katholisch aufgewachsen, aber mit 18 aus der
Kirche ausgetreten. Als ich nach Rostock kam, spielte Kirche keine Rolle –
bis unsere gemeinsamen Kinder geboren wurden. Ich wollte sie taufen lassen,
Christian fand das nicht wichtig, stimmte aber zu.
Christian: Ich bin evangelisch groß geworden, obwohl Kirche nie eine große
Rolle spielte. Renate und ich sind nicht religiös, aber christlich
eingestellt.
Renate: Im vergangenen Jahr haben wir uns nach fast 24 Jahren Ehe kirchlich
trauen lassen. Hier im Garten unter diesem Baum. Für mich war das als
nochmaliges Bekenntnis zueinander wichtig.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Renate: Beim Rauchen.
Christian: Kurz nach dem [2][Mauerfall.] Ich war gerade von meiner ersten
Frau geschieden worden und wohnte wieder im Haus meiner Eltern. Und da saß
Renate in der Küche, zusammen mit meiner Schwester. Renate war Studentin,
und wirkte auf mich nicht wie eine Westfrau.
Renate: Ich habe damals nichts an Christian festgestellt, was ihn als
typischen Ostmann gekennzeichnet hätte. Aber ich habe ihn oft gefragt, wie
Ostmänner ticken.
Warum wollten Sie das wissen?
Renate: Ich war 23, arbeitete als Pressesprecherin im Sozialministerium in
Schwerin und musste mich durch eine aufreibende politische und personelle
Gemengelage wühlen. Ich hatte fast nur mit Männern zu tun – aus dem Osten
wie aus dem Westen. Ich hatte aber das Gefühl, Ostmänner können keine
Konflikte aushalten, die sagen nicht, wenn ihnen etwas nicht passt.
Hält Christian keine Konflikte aus?
Christian: Ich glaube, heute hält Renate schlechter Konflikte aus.
Man sagt Westdeutschen gern nach, dass sie stärker ihre Karriere im Blick
haben, Ostdeutsche suchten im Beruf eher Erfüllung.
Christian: Mir ist Aufstieg egal, ich will einen Job machen, der mir Spaß
macht und mich ausfüllt. Der Begriff Karriere ist für mich negativ besetzt.
Renate: Ich sehe das anders. Ich möchte Karriere machen im Sinne von: Ich
brauche berufliche Ziele, Erfolg, Resonanz. Ich hatte – im Gegensatz zu
Christian – berufliche Brüche.
Christian: Ich habe mal ein Vierteljahr in Frankfurt am Main bei der
Deutschen Bank in der IT-Abteilung gearbeitet und dort all diese gelackten
Schlipsträger gesehen. Diejenigen, die es wirklich drauf hatten, schlurften
im T-Shirt und Schlappen über den Flur. Das waren die unangreifbaren
Götter. Hätte ich Karriere machen wollen, wäre ich dem Ruf der Headhunter
nach Hamburg, Köln oder München gefolgt.
Hätte Christian mehr Karriere machen sollen?
Renate: Das war mir nie wichtig. Aber dieser lineare Aufstieg im Job ist
tatsächlich eher westdeutsch. So bin ich geprägt und ich setze mich selbst
unter Druck, immer weiter zu kommen, aufzusteigen.
Hatten Sie mal Sehnsucht, wieder im Westen zu leben?
Renate: Nie. Selbst, wenn wir uns getrennt hätten, wäre ich hier geblieben.
Sind Sie mittlerweile eine Ostfrau?
Renate: Ich bin Renate.
Christian: Inzwischen bist du länger im Osten als im Westen.
Renate: Tendenziell sind mir Ossis sympathischer als Wessis. Und Christian
ist spannender als die meisten Westmänner. Schon allein deshalb, weil er
sich durch die Wende neu erfinden musste. Während sich Westmänner, unter
anderem meine Klassenkameraden, immer nur in der gleichen Soße bewegen.
Erhält der Osten genug politische Anerkennung?
Renate: Die Transformationsleistung der Ostdeutschen wurde vom Westen nie
richtig anerkannt, Da muss man sich über den Zuspruch vieler Ostdeutscher
zur AfD nicht wundern.
Christian: Uns erschreckt das. Und wir verstehen es nicht. Obwohl wir hier
nahezu täglich erleben, wie unzufrieden manche Menschen sind, die nicht von
der Wende profitiert haben. Sie fühlen sich vom bundesdeutschen System
nicht angenommen.
Renate: Im Westen fallen schon mal Klischeebegriffe wie Dunkeldeutschland
und Jammerossis. Dann fühle ich mich angegriffen.
Christian: Hoffentlich ist das bald vorbei. Sowohl der Zuspruch zur AfD als
auch diese unsäglichen Ost-West-Debatten.
8 Nov 2019
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## AUTOREN
Simone Schmollack
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