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# taz.de -- Frauenbeauftragte über Ost und West: „Es gibt noch Befindlichkei…
> 1987 schlossen Lübeck und Wismar eine Städtepartnerschaft – da dachte
> niemand an die Wende. Ein Gespräch über gefühlte Nähe trotz Trennung.
Bild: Fotogen und verpartnert mit Lübeck: Wismar und sein Alter Hafen
taz: Frau Steffan, zwei Jahre vor dem Mauerfall erklärten Lübeck und Wismar
eine Städtepartnerschaft. Gab es Einwände seitens der DDR?
Petra Steffan: Ende 1987 wurde die Städtepartnerschaft Wismar und Lübeck
besiegelt. Die Ausgestaltung hat einige Zeit in Anspruch genommen. Sicher
gab es da politische Befindlichkeiten vonseiten der damaligen
DDR-Regierung, und ich vermute mal, dass dieser Prozess vonseiten der
Staatssicherheit begleitet wurde, sodass sich die Menschen aus „Ost“ und
„West“ nicht zu sehr annähern konnten. In der Zeit von 1986 bis 1988 wurden
aber mehrere solcher Partnerschaften geschlossen, beispielsweise zwischen
Schwerin und Wuppertal sowie Rostock und Bremen.
Welche Themen behandeln Sie und Ihre Kollegin, die Lübecker
Gleichstellungsbeauftragte?
Meine Kollegin und ich üben seit 2012 einen sehr intensiven
frauenpolitischen Austausch zwischen Ost und West. 2014 haben wir Frauen
auf beiden Seiten befragt, wie sie die Wende erlebt haben; Frauen aus
unterschiedlichen sozialen Gruppen. Daraus sind spannende Zitate und
Porträts entstanden.
Was kam genau dabei raus?
Viele haben ja noch ihre vorgezeichneten Bilder im Kopf, wie es damals „im
Osten“ und „im Westen“ lief. Es ist aber gerade zur Wende vieles mit den
Frauen auf beiden Seiten passiert. Karin Auerbach, die in Wismar ein
soziales Projekt leitete, hat beispielsweise gesagt, dass der Mauerfall für
sie unvorstellbar war, dass sie selbst nicht damit gerechnet habe, dass der
Kapitalismus plötzlich so in den Osten schwappt.
War das die Meinung der meisten Frauen im Osten?
Das kann ich so pauschal nicht sagen, aber sie hat ein sehr eindrückliches
Zitat gebracht: „Kein Schwein hat damit gerechnet, dass die Mauer fällt; da
hat man über so etwas gar nicht nachgedacht, über alte Ostgebiete und so
einen Scheiß.“ Sie hat auch noch mal deutlich gemacht, dass die Menschen
sich neu positionieren mussten in der neuen Gesellschaft – insbesondere
Frauen.
Wie meinen Sie das?
Einerseits gab es in der DDR viele emanzipierte Frauen, die arbeiteten und
die Kinder erzogen, ihr Leben selbst gestalteten. Andererseits schaue ich
heute etwas neidisch nach Lübeck, weil dort die Frauenbewegung viel stärker
vertreten war. Die emanzipatorische Kraft der 68er war in der DDR nicht so
ausgeprägt. Die Frauenbewegung entstand dort eigentlich erst im
Zusammenhang mit der Friedensbewegung.
Hatte diese Städtepartnerschaft auch etwas Subversives?
Wenn ich recht informiert bin, wurde die erste ost-westdeutsche
Städtepartnerschaft 1986 besiegelt. Für die Menschen selbst hatte das
bestimmt etwas Subversives: eine Partnerschaft zu einer westdeutschen Stadt
aufzubauen. In der Zeit vor dem „Mauerfall“ konnte niemand einfach nach
Lübeck fahren. Das musste immer von ganz „oben“ abgesegnet werden.
Wie stehen Lübeck und Wismar heute zueinander – oder anders: Ist da noch
eine Kluft zwischen den beiden Städten?
Ich würde es nicht als Kluft bezeichnen. Ich würde sagen, dass es teilweise
noch Befindlichkeiten gibt oder wieder entstehen. Lübeck und Wismar sind
sich räumlich sehr nahe und trotzdem gibt es unterschiedliche
Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnisse. Und diese dürfen nicht
kleingeredet oder schlecht gemacht werden. Aber das hat nichts mit Wismar
oder Lübeck zu tun. Städtepartnerschaften sollen deshalb den kulturellen
und insbesondere den persönlichen zwischenmenschlichen Kontakt fördern.
War das nicht auch der wirkliche Grund für die Annäherung:– der
wirtschaftliche Aspekt?
In allererste Linie ging es sicher darum im Kontakt zu bleiben, eine
Gesprächsbasis herzustellen; vor allem um Annäherung. 1987 war der Fall der
Mauer überhaupt nicht absehbar. Mitarbeiter aus der Kommunalpolitik Lübecks
halfen beispielsweise dabei, die neue Verwaltung in Wismar aufzubauen.
Sicherlich verfolgten beide Seiten ihre Ziele. Zwischen den beiden Städten
liegen eben nur 60 Kilometer. Viele haben hier verwandtschaftliche
Beziehungen. Praktisch ist Lübeck für die Menschen aus Wismar auch Heimat
und umgekehrt, auch wenn wir durch die Mauer getrennt waren.
Bringt die Partnerschaft heute noch etwas?
Städtepartnerschaften haben – wenn sie gelebt werden – immer einen
positiven Effekt. Meine Kollegin und ich merken, dass diese Ost-West-Mauer
in den Köpfen der Leute nach wie vor existiert. Viele Menschen haben mit
dem Mauerfall viel verloren: ihre Jobs und ihre Reputation; ihre Biografie,
für die sie sich plötzlich rechtfertigen oder schämen sollen. In diesem
Jahr lag unser Fokus auf dem 30. Jahr des Mauerfalls deshalb mit den
Fragestellungen: „Was bedeutet Heimat?“, „Was bedeutet Grenzen überwinde…
Das betrifft nicht nur „Ost“- und „West“-Deutsche. Sondern heute
insbesondere Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.
Was bedeutet es denn, Grenzen zu überwinden?
Wir können nur voneinander lernen, wenn wir uns persönlich austauschen. Wir
möchten mit unseren Begegnungen auf Augenhöhe Dialoge und Kontakte
ermöglichen. Wenn wir uns gegenseitig zuhören und uns dadurch besser
verstehen, dann erwächst in uns die Möglichkeit, Mauern kleiner werden zu
lassen.
31 Dec 2019
## AUTOREN
Yasemin Fusco
## TAGS
Lübeck
Gleichstellung
Ost-West
Deutsche Einheit
Wiedervereinigung
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30 Jahre friedliche Revolution
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