# taz.de -- Lkws vor dem Stillstand: Gaspreis bedroht Lkw-Verkehr | |
> Das vorgeschriebene Abgasreinigungsmittel AdBlue wird knapp. Es ist ein | |
> Nebenprodukt der Düngerherstellung, die aufgrund hoher Gaskosten zu teuer | |
> ist. | |
Bild: Wird es bald leerer auf den Autobahnen durch den AdBlue-Mangel? | |
BERLIN taz | Der Lkw-Verkehr in Deutschland droht zusammenzubrechen, weil | |
Lastwagen ohne das knapper werdende Abgasreinigungsmittel AdBlue nicht mehr | |
fahren können. Denn der Kraftstoffzusatz ist ein Nebenprodukt der | |
Kunst[1][dünger]herstellung, die wegen der gestiegenen Erdgaspreise stark | |
reduziert worden ist. Ohne Lastwagen würden zum Beispiel manche | |
Lebensmittel bei vielen VerbraucherInnen nicht mehr ankommen: Über 70 | |
Prozent aller Güter werden laut Logistikbranche per Lkw transportiert. | |
„Erneut gestiegene Gaspreise führten zu höheren Produktionskosten, weshalb | |
Hersteller die Produktion drosseln oder abschalten. Dadurch ist AdBlue in | |
Deutschland so knapp geworden, dass die ersten AdBlue-Pumpen an Tankstellen | |
für kurze Zeiträume leerlaufen“, heißt es im aktuellen Marktkommentar der | |
Preisberichterstattungsagentur Argus Media. Habe der Krafstoffzusatzes vor | |
einem Jahr 130 Euro pro Kubikmeter ab Werk gekostet, seien es jetzt | |
ungefähr 1000 Euro, so Argus-Marktexperte Hagen Reiners. „Die Situation | |
spitzt sich derzeit zu. Uns erreichen vermehrt Meldungen von den | |
Mitgliedsunternehmen, dass die Lieferanten und Händler Probleme haben, | |
AdBlue zu liefern“, sagte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des | |
Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, der taz. | |
„Wenn wir kein AdBlue bekommen, stehen in Deutschland die Lkws“, warnt der | |
Speditionslobbyist. Rund 90 Prozent hätten einen neueren Dieselmotor, | |
würden bei zu wenig AdBlue eine Warnmeldung geben und ließen sich nach | |
wenigen Kilometern nicht mehr starten. Nur mit der Harnstofflösung stoßen | |
die Motoren so wenig gesundheitsschädliches Stickoxid aus, dass sie die | |
Abgasvorschriften einhalten. Genauso betroffen sind Busse, Traktoren und | |
Baumaschinen. Auch viele moderne Pkws benötigen AdBlue, sie verbrauchen | |
aber pro Kilometer weit weniger. | |
Doch zum Beispiel der größte deutsche AdBlue-Hersteller, die SKW | |
Stickstoffwerke Piesteritz in Lutherstadt Wittenberg, hat die Produktion | |
aus technischen Gründen bereits am 14. August eingestellt. „SKW steht | |
vollkommen“, sagte Marketingleiterin Antje Bittner der taz. Dadurch fielen | |
40 Prozent des deutschen AdBlue-Marktes aus. „Mittlerweile ist eine der | |
Anlagen in der Lage, wieder gestartet zu werden. Momentan ist das aber | |
wirtschaftlich nicht sinnvoll.“ | |
## Kunstdünger aus Nordafrika billiger | |
Denn um Harnstoff für AdBlue zu produzieren, gewinnt SKW zunächst aus Gas | |
Ammoniak. Aber nur ein kleiner Teil davon kann zu Harnstoff für AdBlue | |
verarbeitet werden, ungefähr die Hälfte wird laut Bittner Kunstdünger. Der | |
ist jedoch wegen der hierzulande hohen Erdgaspreise so teuer geworden, dass | |
die Landwirte dem Industrieverband Agrar zufolge vermehrt billigere | |
Konkurrenzprodukte etwa aus Nordafrika, den Golfstaaten oder den USA | |
kaufen. Dort koste das Gas weniger. SKW und viele andere | |
Kunstdüngerhersteller in der EU produzieren nun weniger oder gar kein | |
Ammoniak und damit AdBlue. | |
Das Abgasreinigungsmittel lässt sich derzeit nicht durch Importe ersetzen. | |
Die EU produziere bisher ihren gesamten Bedarf, sagt Marktanalyst Reiners. | |
In Nordafrika etwa existierten keine ausreichend großen | |
Produktionskapazitäten, ergänzt Speditionslobbyist Engelhardt. Und es fehlt | |
laut SKW-Mitarbeiterin Bittner die nötige Logistik für Importe von | |
außerhalb der EU. | |
Bittner fordert deshalb Hilfe vom Staat. „Wir brauchen Unterstützung, dass | |
diese Gasumlage mindestens wegkommt. Und wir brauchen eine | |
Gaspreisdeckelung“, sagt die Marketingchefin. Die SKW-Geschäftsführung sei | |
deshalb vergangene Woche im Bundeskanzleramt gewesen. In dem Unternehmen | |
mit 860 MitarbeiterInnen drohe Kurzarbeit ab Oktober. Das zuständige | |
Wirtschaftsministerium ließ eine Anfrage der taz bis Redaktionsschluss | |
unbeantwortet. | |
5 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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