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# taz.de -- Literaturdebüt von Kristen Roupenian: Tinder-Date mit Todeswunsch
> Eine einzige Kurzgeschichte machte Kristen Roupenian in Zeiten von #MeToo
> zum Shootingstar. Nun erscheint ihr Erzählungsband „Cat Person“.
Bild: Einen Nerv getroffen: Kristen Roupenian
Perfektes Timing. Die Kurzgeschichte „Cat Person“ von Kristen Roupenian, im
Dezember 2017 im New Yorker veröffentlicht, schlug ein wie eine Bombe und
wurde innerhalb weniger Tage 2,6 Millionen Mal geteilt. Auf dem Höhepunkt
der #MeToo-Bewegung hatte die bis dahin unbekannte Autorin einen Nerv
getroffen.
Roupenian erzählt in dieser Geschichte von der Studentin Margot, die den 14
Jahre älteren Robert kennenlernt. Die Beziehung entwickelt sich über
Textnachrichten, was ihr einen großen Spielraum zur Interpretation seiner
Aussagen lässt und ihr erlaubt, ein Idealbild von ihm zu entwerfen. Als sie
sich erneut treffen, ist Margot ernüchtert. Sie hat jedoch einen Punkt
erreicht, an dem sie, so glaubt sie, nicht mehr Nein sagen kann, und
schläft mit ihm – trotz ihres Unbehagens.
Während viele Leser*innen (gerade junge Frauen) Margots Gedanken und
Handeln gut nachvollziehen konnten, warfen ihr andere, bedingt durch ihren
wachsenden Ekel ob Roberts Figur, fat shaming vor. Hätte sie Robert von
ihren Gefühlen erzählen sollen? Ist Margot Opfer oder Täterin in dieser
Situation? Roupenians Kurzgeschichte lässt vielerlei Interpretationen zu
und wurde online entsprechend diskutiert. Mit diesen Vorschusslorbeeren ist
es kein Wunder, dass sich die Verlage darum schlugen, ihr Debüt, bestehend
aus zwölf Kurzgeschichten, zu veröffentlichen. HBO wird zudem eine
Fernsehserie produzieren. Doch hält Roupenians Literatur, was sie
verspricht?
## Sex mit Machtgefälle
Dass Kristen Roupenian nicht vorhat, ihre Leser*innen mit Samthandschuhen
anzufassen, macht sie mit der ersten Geschichte deutlich: „Böser Junge“,
die drastischste ihres Erzählungsbandes. In ihr nimmt ein Paar einen Freund
bei sich auf, der frisch getrennt ist. Zunächst erregt von der Tatsache,
dass er sie beim Sex belauschen kann, involvieren sie ihn bald – allerdings
mit klarem Machtgefälle: Der Freund muss ihren zunehmend sadistischen
Befehlen gehorchen. Als dem gelangweilten Paar auch das nicht mehr reicht
und der Freund zugleich versucht, aus seiner hörigen Rolle zu entfliehen,
kommt es zur Katastrophe.
Nicht alle Geschichten sind so brutal wie dieser Auftakt, doch alle einen
die Motive: Macht, Hierarchien, Sex, Beziehungen, Gewalt, Schuld und
menschliche Abgründe. „Ein netter Typ“, die längste Geschichte, kann als
Gegenstück zur titelgebenden Story gelesen werden, dieses Mal geschildert
aus der Perspektives eines Mannes. Sie handelt von Ted, der sich selbst als
genau das sieht: als einen netten Typen, der sich zugleich beim Sex aber
vorstellt, den Frauen Schmerzen zuzufügen.
## Ein erniedrigter Star
So ähnlich die Motive, so unterschiedlich sind doch die Storys; auch
übernatürliche Elemente kommen bei Roupenian vor. Da ist die Frau, die sich
mit einem Spruch einen nackten Mann herbeizaubert, den sie in ihrem Keller
gefangen hält und unermüdlich quält, weil sie für jeden weiteren
Zauberspruch sein Blut und seine Tränen benötigt. Da ist der
Junggesellinnenabschied, wozu ein arbeitsloser Schauspieler, in ihrer
Kindheit einst ein Star, gebucht und erniedrigt wird. Und da ist der Mann,
der sich auf ein anonymes Tinder-Date mit einer Frau mit Todeswunsch
einlässt.
Natürlich, viele Kurzgeschichtensammlungen enthalten die ein oder andere
Story, die den Verdacht aufkommen lassen, ihre einzige Funktion sei das
Füllen der Seiten. Auch Roupenian ist da keine Ausnahme; die Geschichte
„Nachtläufer“ über einen kenianischen Geist, der einen Lehrer tyrannisier…
fällt thematisch aus dem Band heraus und ist wohl in erster Linie auf den
längeren Aufenthalt der Autorin in Kenia zurückzuführen. Ebenso merkwürdig
mutet die Geschichte mit dem (herzlich unpoetischen) Titel „Der Spiegel,
der Eimer und der alte Knochen“ an, in der sich eine Prinzessin aus genau
diesen Gegenständen ihre große Liebe bastelt.
## Fast schmerzhaft erhrlich
Von diesen Ausnahmen abgesehen, ist „Cat Person“ ein gelungenes Buch. Die
Texte sind in nüchterner Sprache verfasst, reduziert und fast schmerzhaft
ehrlich. Sie verraten wenig von den Biografien der Figuren und noch viel
weniger von den geografischen Umgebungen. Dafür konzentrieren sie sich voll
auf die Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten. Dabei macht die Autorin
keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, auch ihre weiblichen
Figuren sind verkorkst und machtgierig.
Kristen Roupenian beweist einen scharfen Blick für zwischenmenschliche
Beziehungen in ihren düstersten Formen, für unangenehme Wahrheiten, die
unter der Oberfläche verborgen sind. In den stärkeren Geschichten
verzichtet sie auf übernatürliche Elemente oder setzt diese nur punktuell
ein. Denn gerade im Alltäglichen, im Banalen entblößt Roupenian gekonnt das
Abgründige.
## Ideen von Stärke und Schwäche
Nicht alle Storys haben die gleiche Ambivalenz wie „Cat Person“. Dennoch,
trotz der Kürze sind die meisten Figuren komplex und auf vielerlei Weise
interpretierbar; nicht selten stellt Roupenian die Vorstellungen von Stärke
und Schwäche auf den Kopf. Handeln sie aus dem Wunsch nach Akzeptanz, aus
der Suche nach Liebe heraus? Oder sind sie einfach nur kaltblütig, grausam
und sadistisch?
Und hier ist noch eine Frage, die man beim Lesen hat: Hält Roupenian der
Gesellschaft einen gnadenlosen Spiegel vor, in den keiner blicken möchte?
Wenn man denn will, kann man „Cat Person“ zumindest einen bitteren Hinweis
entnehmen: Egal wie harmonisch und freundlich ein Mensch im Grunde ist, er
oder sie wird trotzdem andere unterdrücken und ihnen Schmerzen zufügen, um
das eigene Verlangen zu stillen. Oder, um es mit der Icherzählerin der
Geschichte „Vernarbt“ zu sagen: „Ich hatte alles, was man sich nur wünsc…
konnte. Ich erfand neue Bedürfnisse, nur um sie zu befriedigen.“
22 Jan 2019
## AUTOREN
Isabella Caldart
## TAGS
Buch
Schwerpunkt #metoo
Kristen Roupenian
Kunst
Kolumne Bei aller Liebe
Literatur
Schwerpunkt #metoo
Gina-Lisa Lohfink
Twitter / X
Lesestück Recherche und Reportage
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