Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aus taz FUTURZWEI: #EinsamsterMenschDerWelt
> Irgendwann hielt unsere Autorin den Hass nicht mehr aus und deaktivierte
> ihren Twitter-Account. Aber das ist die falsche Reaktion, merkte sie.
Bild: Raus aus Twitter, zurück in die Natur? Das ist auch keine Lösung
Eines Tages hatte mich das Leben auf Twitter so mürbe gemacht, dass ich
raus musste. Ich hielt das ganze System aus Aufmerksamkeitsökonomie,
Alltagszynismus und vor allem den Hass nicht mehr aus und deaktivierte
meinen Account.
Die Zeit danach war die entspannteste, die ich seit Langem gehabt hatte.
Aber keine Sorge: Das wird hier kein Text darüber, wie der Verzicht auf
soziale Medien mein Seelenheil rettete. Nein, nein. Ich nehme das Ende
vorweg: Ich bin wieder auf Twitter und der Hass ist der gleiche wie vorher.
Und trotzdem geht es mir besser. Und das liegt an einer entscheidenden
Veränderung.
Grundsätzlich gibt es ja vieles, was ich an Twitter und den 33
Möglichkeiten der Vernetzung dort mag. Freundschaften, Jobs, Liebe: Das
soziale Netzwerk hat mir in diesen Hinsichten mehr gegeben, als ich je
erwartet habe. Twitter ist auch, dass wildfremde Menschen zusammenhalten
und miteinander sprechen. Ich denke nach wie vor, dass Twitter ein
kreativer Ort des zivilgesellschaftlichen Engagements sein kann: Von
#aufschrei bis #metoo und [1][#metwo] oder auch zuletzt [2][#unten] gibt es
in Deutschland in den letzten Jahren viele Debatten, die hier entsprungen
sind.
Doch neben den schönen Seiten des Menschseins gibt es eben auch die andere:
Es wird gemeckert, geschrien, belächelt, bekämpft, gestritten und vor allem
gehasst – auf so kreative und nachhaltige Art und Weise, dass man das fast
bewundern muss.
## Tausende Follower für Frauenhass
Manche Männer auf Twitter haben sich mit Frauenhass Tausend Follower
erschrieben, andere posten leidenschaftlich unter jeden aktivistischen
Hashtag, dass Angela Merkel ein Teil der jüdischen Weltverschwörung sei.
Manche machen sich gleich mehrere Accounts, nur um ihnen fremden Personen
auf Twitter zu sagen, dass sie sich doch lieber umbringen sollen. Einmal
habe ich beobachtet, wie sich ein Mann eine komplett erfundene Identität
verschaffte, um als angebliche Frau gegen Feminismus zu hetzen.
Kaum eine Woche vergeht, in der ich nicht Vergewaltigungsdrohungen,
Verleumdungen bei Arbeitgebern oder so drastische rassistische,
antisemitische oder transfeindliche Beleidigungen beobachte, dass sie im
analogen Leben vollkommen unsagbar wären. Auf Twitter bleiben sie jedoch
fast immer ohne Konsequenzen für die Hassenden. Im Gegenteil: Die
Tech-Seite Motherboard [3][berichtete Anfang des Jahres], dass sogar das
zur Unterbindung von Hass eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz von
rechten Gruppen dazu genutzt wird, ihre Opfer anzuklagen.
Twitter scheint das alles egal. Es war dieser Mix aus digitaler Gewalt und
gleichzeitiger Schutzlosigkeit davor, der mich so stresste, dass er aus
„Leben im Netz“ irgendwann ein bloßes „Überleben im Netz“ machte. Men…
schrieben anonym die widerlichsten Dinge über mich, kontaktierten
Freundinnen oder sogar Vorgesetzte, bedrohten mich schließlich sogar – und
Twitter ließ alles geschehen. In dieser Hinsicht ist man dort der einsamste
Mensch der Welt – und der ohnmächtigste.
In meinem Exil jenseits von Twitter dachte ich darüber nach, was ich
eigentlich gewollt hatte und warum es schieflief. Dauernd hatte ich
versucht, andere Leute dazu zu bewegen, das System zu verändern: das
Unternehmen Twitter, die Gesetzgebung oder gar die Menschen, die den Hass
verbreiteten. Null Erfolg.
## Empörung, Wut und Hass klickt besser
Zuallererst gab ich die Hoffnung auf, dass Twitter als Unternehmen jemals
ein Interesse daran haben wird, dass es marginalisierten Gruppen auf ihrer
Plattform gut geht. Der Hass gehört mindestens zum Geschäftsmodell –
maximal ist er längst Kollateralschaden im Profitstreben jener Medien, für
die Interaktionen mehr zählen als Integrität. Interaktionen bedeuten in der
Branche Geld und da ist es egal, ob die Klicks durch Empörung, Verzweiflung
oder aufrichtiges Interesse kommen. Im Gegenteil: Empörung, Wut und Hass
klickt besser.
Hass ist erst dann nicht mehr rentabel, wenn soziale Plattformen nicht mehr
der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegen. Das wird entweder durch ein
rentableres Geschäftsmodell geschehen oder durch politischen Druck. Aber
nicht durch meinen persönlichen Rückzug. „Lösch doch einfach deinen
Account“, wurde mir schon öfter in Artikeln des deutschen Feuilletons
vorgeschlagen. Die Argumentation ist üblicherweise: Sich aus der
kapitalistischen Logik von Twitter und Co rausziehen, so unsere Daten
schützen und in der Konsequenz das System verändern.
In anderen Worten: der heilige Dreiklang privilegierter Männer. Nur denen
stehen überall sonst Türen offen, nur die werden sonst überall gehört, nur
die sind auch sonst sichtbar. Kurz: Nur privilegierte Männer können sich
dem Spiel der Aufmerksamkeitsökonomie auf diese Art entziehen.
## Ein Traum für Männer mit Langeweile
Als würde eine Einzelperson genügend Momentum erzeugen können, um ein
global agierendes Imperium zu stürzen. Oder soll ich dann warten, bis mir
Milliarden folgen? Sicher wäre es ein schöner Nebeneffekt, damit auch noch
den Kapitalismus abzuschaffen. Aber das ist ein Traum für Männer in festen
Jobs und mit viel Langeweile.
Außerdem bürdet es gerade denjenigen eine Last auf, die mit verschiedenster
Gewalt – emotional, physisch, psychisch, finanziell – konfrontiert sind.
Für alle anderen besteht ja kein Grund, die Plattform zu verlassen, weil
sie die entweder nicht brauchen oder der Druck, etwas zu ändern, nicht
relevant genug ist. Ihnen kann es egal sein, ob sich Twitter oder das
System ändert.
Nein, ich habe bescheidenere Träume – oder größenwahnsinnigere, je nachdem:
Ich will meine Existenz in den sozialen Medien genießen können. Ich will
dort gut leben. Lange dachte ich, dass ich dafür das System verändern
müsste. Inzwischen weiß ich, dass das gute Leben vor allem beim
Selbstschutz anfängt. Als Individuen können wir weder soziale Netzwerke
verändern, noch den Hass stoppen. Wir können nur damit leben, und den Hass
gleichzeitig als das benennen, was er ist: falsch, gefährlich,
inakzeptabel. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich jeden Tag damit
konfrontieren lassen muss.
Und das ist die entscheidende Veränderung, mit der ich zu Twitter zurück
bin. Ich habe mich selbst verändert. Ich klicke nicht mehr auf Hashtags zu
Hasskampagnen, dagegen filtere ich Antworten an mich von fragwürdigen
Accounts raus. Das geht glücklicherweise mittlerweile.
## Mehr Energie für die guten Dinge
Gleichzeitig bin ich mir des leicht erhöhten Einflusses meines
verifizierten Accounts bewusst, denn Twitter scheint diesen eine Art
Priorität in der Meldung zuzuweisen. Also melde ich fleißig die Drohungen,
Beleidigungen und Belästigungen – auch an Dritte –, die ich noch
mitbekomme. Ich schalte die Accounts stumm, die mich reizen, und
interagiere nicht mehr in sinnlosen Diskussionen.
Ja, ich sehe trotzdem noch immer Hass. Mehr als mir lieb ist. Ja, ich
erlebe noch immer Drama. Ja, ich rolle oft genug mit den Augen.
Und dann schließe ich die App und nutze meine Zeit, um an produktiven
Baustellen zu basteln. Vernetzungstreffen, Textideen, Rechercheprojekte und
vor allem viel Solidarität mit Opfern dieses allgegenwärtigen Hasses.
Mein radikaler Selbstschutz gibt mir die Energie, für die da zu sein, die
ein offenes Ohr oder ein Ventil zum Druckablassen brauchen. Statt mit
Fremden auf Twitter über meine Daseinsberechtigung zu streiten, diskutiere
ich mit Freundinnen im analogen Leben unsere persönliche Weiterentwicklung,
unsere Karrieren.
Also: Seit ich auf Twitter nicht mehr das System, sondern nur die Welt
verändern will, geht’s. Um neue Kraft für konkrete Projekte zu schöpfen,
ist mir das eigene Wohlbefinden wichtiger als digitale Dauerpräsenz. Und
diese Einstellung ist wohl die radikalste und nachhaltig wichtigste, die
ich als junge Frau in Zeiten von rechtsreaktionärem Hass haben kann.
26 Dec 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/TrainTracksEU/status/812306768630075392
[2] /!5550646/
[3] https://motherboard.vice.com/de/article/kznxz3/vom-netzdg-zum-hetzdg-wie-tr…
## AUTOREN
Yasmina Banaszczuk
## TAGS
Twitter / X
taz FUTURZWEI
Hate Speech
Trolle
Soziale Medien
Lesestück Meinung und Analyse
Buch
Dorothee Bär
taz FUTURZWEI
taz FUTURZWEI
## ARTIKEL ZUM THEMA
Literaturdebüt von Kristen Roupenian: Tinder-Date mit Todeswunsch
Eine einzige Kurzgeschichte machte Kristen Roupenian in Zeiten von #MeToo
zum Shootingstar. Nun erscheint ihr Erzählungsband „Cat Person“.
Aus taz FUTURZWEI: „Flugtaxis sprengen Ihre Fantasie“
Wie sehen Sie künstliche Intelligenz, Dorothee Bär? Die
Digital-Staatsministerin über Ängste, Konservativismus und die digitale
Erziehung ihrer Kinder.
Aus taz FUTURZWEI: Lena, Paul, Larana und Benno
Die Hipster, die Engagierten, die Rechtsrebellen, die Normalos:
Annäherungen an Twentysomethings, die jetzt auch schon 30 sind.
Aus taz FUTURZWEI: Was der Dreijährige weiß
Abstraktion kann helfen, Zusammenhänge zu begreifen. Aber sie darf nie der
einzige Blick auf die Gesellschaft sein. Ein Plädoyer für Menschlichkeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.