# taz.de -- Linkenpolitikerin zu Parteitags-Absage: „Alles Digitale ist hackb… | |
> Der Linken-Vorstand kann sich keine Legitimationsprobleme leisten, findet | |
> Kandidatin Julia Schramm. Sie plädiert deshalb für dezentrale Parteitage. | |
Bild: Julia Schramm, Fraktion DIE LINKE im Mai 2020 | |
taz: Der Parteitag der Linken wurde kurz vor knapp abgesagt. War es | |
fahrlässig, so lange auf einen Präsenzparteitag zu setzen? | |
Julia Schramm: Es ist für mich absolut nachvollziehbar, dass [1][so lange | |
wie möglich darauf gesetzt wurde]. Es geht schließlich um Personenwahlen, | |
das ist digital einfach schwer umzusetzen. | |
Die Demokraten in den USA haben ihren Nominierungsparteitag doch auch | |
[2][weitgehend online hinbekommen] und digital abgestimmt. Warum klappt das | |
in Deutschland nicht? | |
In Deutschland ist es generell nicht einfach. Hier herrschen eine gewisse | |
Technikskepsis und größere Bedenken in Bezug auf Datenschutz. Da ist auch | |
per se nicht falsch, macht aber Prozesse träger. Und dazu kommt: Die | |
Demokraten haben mehr Geld als die Linke. Wir könnten vielleicht sichere | |
Personenwahlen zum Beispiel mit der Identifikation per Fingerabdruck | |
organisieren. Aber das muss man technisch umsetzen. | |
Lassen sich digitale Abstimmungen so organisieren, dass das Wahlgeheimnis | |
gewahrt bleibt, also nicht rückverfolgbar ist, wer wen gewählt hat? | |
Grundsätzlich ist alles, was digital ist, auch hackbar. Es gibt aber auf | |
jeden Fall Möglichkeiten, Wahlen so unhackbar wie möglich zu machen. Das | |
ist aber eine Frage der Ressourcen. Gerade bei so schwierigen Themen wie | |
Personenwahlen ist der Aufwand riesig. Die Linke ist ja eine Partei, die | |
sich gern streitet, also eine lebendige Parteikultur hat. Das heißt: | |
Parteitage so safe zu machen, dass alle das Ergebnis eines solchen | |
digitalen Parteitages auch akzeptieren, ist aufwändig. Der Aufwand wäre in | |
diesem Fall zu groß gewesen. Die Wahl der Vorsitzenden wäre vielleicht noch | |
händelbar, es treten ja nur zwei aussichtsreiche Kandidatinnen an. Aber | |
schon bei den Stellvertreter:innen und im erweiterten Parteivorstand gibt | |
es viele konkurrierende Kandidaturen. Bei knappen Ergebnissen könnte es zu | |
Unmut kommen. | |
Führt also kein Weg an einem Präsenzparteitag vorbei? | |
Jein. Es gibt mehrere Optionen, die gerade geprüft werden. Briefwahlen | |
etwa, aber die wären wegen der vielen Wahlgänge schwierig. Entscheidend | |
ist, dass wir dieses Jahr noch wählen. Wir können nicht auf das nächste | |
Frühjahr ausweichen. | |
Weshalb nicht? Die Bundestagswahl ist erst im Herbst. | |
Für die Union ist jeder Tag mit Angela Merkel eine Beruhigung der Lage. Bei | |
uns ist es schwerer. Die designierten neuen Vorsitzenden können nicht | |
loslegen und die alten können nichts anstoßen. Wir müssen mit einem | |
Aufbruch ins Superwahljahr starten. Deshalb sollte man jetzt auf eine | |
hybride Formen setzen. | |
Was könnte die Linke von den Piraten lernen? | |
Von den Piraten lernen heißt zunächst, sich nicht zu zerfleischen. Aber | |
viele inhaltliche Debatten kann man online führen. Wir sollten versuchen, | |
diese zunehmend ins Internet zu verlegen. Das hat bei den Piraten | |
tatsächlich ganz gut funktioniert. | |
Welche Instrumente der Liquid Democracy könnte die Linke übernehmen? | |
Gerade Programmdebatten oder Satzungsfragen können besser online | |
vorbereitet werden. Die können statt auf Facebook geführt zu werden auf | |
dafür eingerichtete Portale umgeleitet werden. Personenwahlen sind etwas | |
anderes. | |
Hätten die Piraten solche in dieser Situation nicht digital durchgeführt? | |
Gäbe es die Piratenpartei heute noch in der Stärke von vor 10 Jahren, wären | |
sie sicherlich Vorreiter bei dem Thema. Die Piraten haben sich aber bei | |
ihrem Parteitag 2013 gegen digitale Demokratieformen entschieden. | |
Aus welchen Gründen? | |
Am Ende waren es politische und persönliche Streitereien. Grundsätzlich war | |
ihre Organisationsform aber sehr flexibel. Parteien, die finanziell prekär | |
sind und etablierte Strukturen haben, haben es generell schwerer einfach so | |
die Abläufe zu ändern. | |
Damit meinen Sie jetzt aber die Linke? | |
Ja. Wir haben wenig Geld – wir nehmen nämlich keine Konzernspenden im | |
Gegensatz zu allen anderen Parteien – und feste Abläufe. Es ist schwierig | |
von jetzt auf gleich umzuswitchen. Ich weiß aber, dass alle Beteiligten ihr | |
Bestes geben. | |
Welche der möglichen Alternativen a) Briefwahl b) dezentrale Parteitage c) | |
Präsenzparteitag im Frühjahr wäre Ihrer Meinung nach am sinnvollsten für | |
die Linke? | |
Ich glaube, es wäre nicht schlau, einen großen Präsenzparteitag im nächsten | |
Frühjahr zu planen. Dezentrale Parteitage sind eine ganz gute Möglichkeit. | |
Man könnte einen Showroom einrichten, in dem sich alle Bewerberinnen | |
gleichberechtigt vorstellen können. Wichtig wäre, dass wir noch in diesem | |
Jahr wählen. | |
Wie soll das technisch funktionieren? | |
Die Delegierten sind ja gewählt. Es könnten also mehrere kleine Parteitag | |
mit rund 50 Teilehmer:innen stattfinden. Die Wahlkommission könnte mit | |
verschlossener Urne zu den Delegierten reisen und die Voten einsammeln. | |
Womöglich müsste unsere Satzung so geändert werden, dass relative | |
Mehrheiten reichen, so dass es nur einen Wahlgang braucht. | |
Hört sich sehr Oldschool an. Gibt es wirklich keine digitalen | |
Möglichkeiten? | |
Wir würden die Bundeskanzlerin ja auch nicht im Internet wählen. | |
Das steht bei der Linken derzeit nicht an. | |
Das stimmt, aber die jetzigen Vorstandswahlen sind für uns zentral. Der | |
Vorstand muss die Partei ins Superwahljahr 2021 führen, das wird eine | |
riesige Aufgabe. Da können wir uns keine Legitimationsprobleme leisten und | |
müssen die ganze Partei mitnehmen. | |
28 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Politik-in-der-Corona-Pandemie/!5724472 | |
[2] /Parteitag-der-US-Demokraten/!5708571 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## TAGS | |
Digital | |
Parteitag | |
Die Linke | |
Piratenpartei | |
Die Linke | |
Parteitag | |
Janine Wissler | |
Friedrich Merz | |
Die Linke Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Parteitag der Linkspartei: Linke plant Neuwahl am 27. Februar | |
Am 26. und 27. Februar will die Linkspartei eine neue Führung wählen und | |
den Leitantrag verabschieden. Nach ESC-Vorbild: digital und dezentral. | |
Linken-Parteitag und die Coronakrise: Never ending Amtszeit | |
Die Linke musste ihren Parteitag erneut absagen, einen Ersatztermin gibt es | |
noch nicht. Die Parteispitze geht in die zweite Verlängerung. | |
Politik in der Corona-Pandemie: Linken-Parteitag abgesagt | |
Wegen steigender Infektionszahlen hat die Linkspartei die Wahl der neuen | |
Parteispitze abgesagt. Wann und wie die Vorstandswahlen nachgeholt werden, | |
ist noch offen. | |
Kritik an verschobenem CDU-Parteitag: Merz macht auf Trump | |
Der CDU-Politiker holzt weiter gegen die Entscheidung, den Parteitag wegen | |
der Coronakrise zu verschieben. Das „Parteiestablishment“ wolle ihn als | |
Chef verhindern. | |
Parteitag der Berliner Linken: Unter radikalen Bedingungen | |
Ein Jahr vor der Wahl schärft die Linke ihr antikapitalistisches Profil. | |
Das Treffen ist auch ein Test, ob Parteitage in Coronazeiten funktionieren. |