# taz.de -- Letzte Generation orientiert sich um: „Die Straßenblockaden hatt… | |
> Aktivist Raphael Thelen spricht im Interview über den neuen Namen und die | |
> neue Strategie der Gruppe. Er verteidigt aber auch die früheren Aktionen. | |
Bild: Das war mal: Straßenblockade der Letzten Generation in Berlin 2023 | |
taz: Herr Thelen, die [1][Letzte Generation] benennt sich um und [2][heißt | |
jetzt Neue Generation], außerdem wollen Sie Ihre Aktionen ändern. Warum? | |
Raphael Thelen: Wir haben – wie viele andere Akteure der Klimabewegung – | |
bewiesen, dass die Politik unsere Lebensgrundlagen nicht schützt. Wenn die | |
Regierung zwischen Profit und Klimaschutz wählen muss, entscheidet sie sich | |
immer für den Profit. Das liegt nicht daran, dass in der Politik nur | |
schlechte Menschen sitzen. Sondern an einem System, in dem Geld Macht | |
bedeutet und sich in den Händen weniger konzentriert. Das führt zu einem | |
systematischen Problem: Unsere Stimmen werden nicht gehört – die von | |
Unternehmen und reichen Menschen dagegen überproportional oft. | |
Wohin das führt, sehen wir in den USA: [3][Jemand wie Elon Musk kann mit | |
einem Vermögen von 400 Milliarden Dollar einen Präsidentschaftskandidaten | |
finanzieren], der dann an die Macht kommt – und dafür gibt es | |
Steuererleichterungen für Reiche und der Planet wird immer weiter | |
ausgebeutet. Dagegen wehren wir uns, das ist unser Kern. Und wir sagen: Wir | |
brauchen eine neue Generation der Demokratie. Wir müssen dafür sorgen, dass | |
die Menschen in der Politik wieder gehört werden. | |
taz: Wie wollen Sie das anstellen? | |
Thelen: Wir starten mit Protestaktionen in ganz Deutschland, dezentral über | |
die nächsten Monate. Wir gehen auf die Straße, um auf die unheilige Allianz | |
zwischen Rechten und Reichen aufmerksam zu machen. Ende Mai stellen wir zum | |
ersten Mal unser eigenes „Parlament der Menschen“ auf die Bundestagswiese. | |
Man kann sich das wie ein großes Kuppelzelt vorstellen. Dort bringen wir | |
Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammen, um zu beraten, wie der | |
Einfluss von Geld und Lobbyismus zurückgedrängt werden kann. | |
taz: [4][Es gab in Deutschland 2021 schon mal einen „Bürgerrat Klima“] | |
unter der Schirmherrschaft des gerade verstorbenen ehemaligen | |
Bundespräsidenten Horst Köhler, organisiert vom Verein Bürgerbegehren | |
Klimaschutz und der Gruppe Scientists for Future. Und auch zum Programm der | |
Letzten Generation gehörte schon lange die Idee eines Gesellschaftsrats. | |
Was ist jetzt neu? | |
Thelen: Das Problem der Bürger- oder Gesellschaftsräte in der Vergangenheit | |
war nicht, dass sie nicht funktionierten. Im Gegenteil, der Klimarat in | |
Frankreich, in Irland und auch [5][die ganzen Bürgerräte in Deutschland] | |
zeigen: Wenn die Menschen sich demokratisch zusammensetzen, [6][kommen sie | |
mit Lösungen um die Ecke, die für die Probleme unserer Zeit angemessen | |
sind]. Die Ergebnisse gehen meistens über alles hinaus, was die Regierungen | |
je vorgeschlagen haben. Das Problem ist, dass sie bisher immer ignoriert | |
wurden. | |
taz: Warum sollte sich das mit Ihrer Idee und unter einem Kanzler Friedrich | |
Merz ändern? | |
Thelen: Bisherige Bürgerräte hatten eine Bekanntheit von 6 Prozent in der | |
Bevölkerung. Die Letzte Generation hat eine Markenbekanntheit von 80 | |
Prozent. Wenn wir eines richtig gut können, dann ist es, Aufmerksamkeit zu | |
erzeugen. | |
taz: Warum geben Sie dann Ihren Markennamen auf? | |
Thelen: Wir sind die Neue Generation, weil wir Bock haben auf einen | |
Aufbruch. Das Problem der Linken ist gerade stark, dass wir keine | |
Zukunftserzählung haben. Das Einzige, was die Linke zusammenhält, ist gegen | |
rechts zu sein. Wir setzen dem eine Vision entgegen. Wir wollen die | |
Menschen langfristig einbinden: Ein Parlament der Menschen kann es in jeder | |
Stadt geben. Du kannst dich vor jedes Rathaus setzen und vor Ort | |
miteinander austauschen. | |
taz: Die Abgeordneten des Bundestags wurden demokratisch gewählt. Wie soll | |
ein Bürgerrat aus Ihrer Gruppe legitimiert sein? | |
Thelen: Wir losen doppelt aus. Zuerst eine Stichprobe von 600 bis 1.000 | |
Menschen aus unserem Unterstützerkreis, danach wird noch einmal nach Alter, | |
Geschlecht, Bildungsgrad und so weiter gelost, um eine möglichst | |
repräsentative Gruppe zu bilden. | |
Wir wissen, dass es am Anfang nicht perfekt sein wird. Aber mit der Zeit | |
kommen immer mehr Menschen dazu, aus denen gelost wird und das Parlament | |
der Menschen kommt Schritt für Schritt einem repräsentativen | |
Mini-Deutschland näher. Am Ende werden wir trotzdem schneller repräsentativ | |
sein als der Bundestag – das ist ja auch nicht schwer, so weiß, akademisch | |
und männlich geprägt, wie der ist. | |
taz: Ihre Gruppe ist [7][durch Tausende Gerichtsprozesse geschwächt]. Sie | |
selbst wurden für eine Blockadeaktion wegen Nötigung verurteilt. Was hat es | |
gebracht, sich auf die Straßen zu kleben? | |
Thelen: Die Straßenblockaden hatten eine strategische Funktion – und die | |
haben sie erfüllt. Wir haben gezeigt, dass die Regierung selbst dann keinen | |
Klimaschutz umsetzt, wenn es eine klare Bevölkerungsmehrheit für einfachste | |
Maßnahmen wie ein Tempolimit, ein Lebensmittelrettungsgesetz oder ein | |
9-Euro-Ticket gibt. Wir haben die Klimakrise auf jeden Abendbrottisch | |
gebracht. Niemand kann mehr sagen, er habe es nicht gewusst, das war der | |
Erfolg der Straßenblockaden. | |
taz: Haben Sie nicht eher [8][die Gräben in der Gesellschaft vertieft]? | |
Thelen: Nein. Ein Beispiel: Ein Spiegel-Redakteur, der uns kritisiert, hat | |
ein ganzes Buch über Klimaschutz geschrieben. Mit Tech-Optimismus, den ich | |
nicht teile. Aber ohne uns hätte er das Thema vielleicht nie so tief | |
durchdacht. Natürlich hat die Springer-Presse uns diffamiert – genau wie | |
sie Habecks Heizungsgesetz torpediert hat. Dann kommen noch die Lobbys wie | |
die INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Anm. d. Red.) oder der | |
Rat der Familienunternehmer dazu und zerschießen uns. Aber das zeigt nur, | |
welche mächtige wirtschaftliche Interessen gegen uns arbeiten. | |
Wir haben bewiesen, dass selbst eine fortschrittliche Regierung mit den | |
Grünen keinen ausreichenden Klimaschutz macht. Offensichtlich geht es dann | |
um Systemfragen. Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, hören auf, | |
Forderungen zu stellen, und machen es einfach selbst. | |
taz: Warum sollte Ihr neues Modell mit Bürgerräten und Widerstand – denn | |
ein Teil Ihrer Mitstreiter*innen von der Letzten Generation will jetzt | |
ein sogenanntes Widerstandskollektiv für direkte Aktionen bilden – | |
erfolgreich sein? | |
Thelen: Weil es bereits in der Geschichte funktioniert hat. Revolutionen | |
wie die in Ägypten oder Serbien sind langfristig gescheitert, weil sie zwar | |
Druck aufbauten, aber keine alternative Struktur hatten. Nach dem Sturz | |
eines Regimes übernahm dann einfach eine andere Machtgruppe. Ich habe das | |
selbst als Reporter vor Ort miterlebt. Wir sagen: Es braucht beides – | |
Protest und eine demokratische Alternative. Wir wollen die Demokratie | |
demokratischer machen. | |
2 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Generation/!t5833405 | |
[2] /Evolution-der-Klimaproteste/!6068812 | |
[3] /Trumps-neue-Weltordnung/!6069986 | |
[4] /Buergerraete-mischen-sich-ein/!5812973 | |
[5] /Klima-Buergerrraete-in-Schleswig-Holstein/!6041516 | |
[6] /Buergerbeteiligung-in-der-Klimakrise/!5978976 | |
[7] /Klimaaktivisten-vor-Gericht/!6043625 | |
[8] /Umfrage-zu-Klimaaktivisten/!5951393 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Arnhold | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Neue Generation | |
Social-Auswahl | |
Linke Proteste | |
Axel Springer | |
Neue Generation | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Neue Generation | |
Neue Generation | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachfolge der Letzten Generation: Generation Neuanfang | |
Die Aktivisten haben ihre Lektion gelernt – das System sei kaputt, von | |
Lobbys und Konzernen wie Springer verdorben. Jetzt geht es um Demokratie. | |
Blockadeaktion an Springer-Druckerei: Neue Generation – alter Gegner | |
Die Neue Generation startet eine Kampagne gegen den Springer-Konzern. Doch | |
die Blockade einer Druckerei in Berlin kann die Polizei verhindern. | |
Letzte Generation vor Anklage: Angeklagt, weil angeklebt | |
War die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung? Ja, sagt der | |
Generalstaatsanwalt in München und klagt fünf Mitglieder wegen deren | |
Gründung an. | |
Evolution der Klimaproteste: Die Letzte Generation ordnet sich neu | |
Neuer Name, neue Strategie: Die Aktivist:innengruppe Letzte | |
Generation hat sich in zwei Gruppen geteilt. | |
Pro und Contra Letzte Generation: Ist die Letzte Generation gescheitert? | |
Neu ausrichten und umbenennen – das ist das Projekt 2025 der Letzten | |
Generation. War die Gruppierung also erfolglos? Ein Pro und Kontra. | |
Klimaaktivisten vor Gericht: Die verknackte Generation | |
Sie haben immer gewaltfrei protestiert, nun droht Mitgliedern der Letzten | |
Generation eine Haftstrafe. Ein Ex-Schwerverbrecher bereitet sie darauf | |
vor. |