# taz.de -- Lesbenfeindliche Gewalt: Doppelt und dreifach unsichtbar | |
> Berliner*innen berichten in einer Befragung von lesbenfeindlicher Gewalt | |
> und Übergriffen. Die wenigsten davon landen in der Statistik. | |
Bild: Die Dunkelziffer lesbenfeindlicher Übergriffe ist wahrscheinlich sehr ho… | |
Queer sein ist das Coolste, wenn man im Pride Month zu Tausenden die Straße | |
entlangtanzt und sich gegenseitig beim Existieren anfeuert. Weniger cool | |
ist, wenn man später auf dem Heimweg [1][blöd angemacht oder angegriffen] | |
wird. Wenn niemand mehr zuguckt. Ob Queers klarkommen, hat mit Sichtbarkeit | |
zu tun. Im „liberalen“ Berlin oder sonst wo. Es passiert überall alles. | |
Der Justizsenat in Berlin hat diese Woche einen [2][Bericht zu Gewalt und | |
übergriffigem Verhalten gegen LGBT] vorgelegt. Dafür wurden Statistiken von | |
Polizei und Hilfestellen analysiert, aber auch Berliner*innen befragt. Die | |
Studie legt einen Fokus auf lesbenfeindliche Gewalt, insbesondere wurden | |
Angaben von Personen erhoben, die sich als weiblich, trans oder divers | |
sowie lesbisch, bi oder queer einordnen. | |
Vorherige Forschung ging bereits davon aus, dass die Dunkelziffer besonders | |
hoch ist bei lesbenfeindlicher Gewalt. Und tatsächlich: Von den 188 | |
Befragten berichtet über ein Drittel von spezifisch lesbenfeindlicher | |
Gewalt oder übergriffigem Verhalten im zurückliegenden Jahr. Während eine | |
große Mehrheit angab, dass sie derlei mit Freund*innen oder in der Familie | |
aufarbeiten, hatte sich kaum jemand an Beratungsstellen gewandt oder | |
Anzeige erstattet (je 3 Prozent). | |
Es gibt dafür viele Gründe. In der Befragung am häufigsten genannt war die | |
Vermutung, „dass die Polizei nichts unternimmt“, und die Einschätzung, dass | |
der „Vorfall nicht wichtig genug“ sei. Es fiele jetzt leicht, den | |
Betroffenen die Schuld zu geben. Dafür, dass sie ihre – ich spreche mal | |
kurz weniger soziologisch – Scheißerfahrungen lieber im vertrauten Umfeld | |
bereden, als sie im Dienste der Statistik irgendwo einzureichen. Ist ihr | |
gutes Recht. | |
## Ganz verschieden unsichtbar | |
Das Ergebnis ist dennoch, dass wir lesbenfeindliche Gewalt kaum zu fassen | |
bekommen. Rechnet man die Anteile aus der Befragung hoch, dann passieren | |
jährlich Tausende oder Zehntausende lesbenfeindliche Übergriffe in Berlin. | |
2018 wurden aber bloß 48 Fälle durch Polizei und Beratungsstellen | |
verzeichnet. | |
Unsichtbarkeit kann ein Resultat [3][verschränkter Diskriminierungen] sein: | |
hier Sexismus und Homophobie. Bei Gewalt oder übergriffigem Verhalten gegen | |
Frauen haben wir gesellschaftlich eine erhöhte Toleranzschwelle; bei | |
Homophobie eine gewisse Neigung, Verständnis für die Homophoben zu zeigen. | |
Beides kann sich gegenseitig verstärken. Ist die Person trans oder | |
nonbinär, kommt eine weitere Kategorie hinzu. Je mehr Dimensionen sich | |
verschränken, desto unwahrscheinlicher auch, dass Vorfälle korrekt | |
eingeordnet werden. Weil wir dazu neigen, nur eine Kategorie auf einmal zu | |
bedenken. | |
Das ist keine simple Rechnung à la „je mehr Diskriminierungsaufnäher, desto | |
schlimmer“. Schwule Männer mit stereotyp „männlicher“ Außenwirkung sin… | |
gewisse Weise auch unsichtbar. Aber auf andere Art als eine lesbische, | |
bisexuelle oder queere Frau, deren Gewalterfahrung sich in keiner Statistik | |
niederschlägt. | |
11 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Aktivistin-ueber-Gewalt-gegen-Trans/!5730266 | |
[2] https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitte… | |
[3] /30-Jahre-Intersektionalitaet/!5591480 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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