# taz.de -- „Le sel des larmes“ bei der Berlinale: Arschloch-Moves inbegrif… | |
> Männliches Liebesleiden ist das große Thema in Philippe Garrels Filmen. | |
> Auch in seinem neuen Werk wird Liebe mit großem L geschrieben. | |
Bild: Souheila Yacoub (Betsy) mit Logann Antuofermo (Luc, r.) | |
Luc (Logann Antuofermo), ein junger Mann, kommt aus der Provinz nach Paris, | |
bequatscht an der Bushaltestelle eine junge Frau, Djemila (Oulaya Amamra) – | |
im Film kommen die Namen freilich erst später –, erst die Blicke, die Fahrt | |
mit dem Bus, das Zögern, das Hinterhergehen, das Austesten, er hat | |
Interesse an ihr, ja, sie hat Interesse an ihm, um fünf ist sie frei. | |
Sie sehen sich wieder, mit einem intimen Tête-à-tête ist es schwierig, er | |
ist nur kurz in Paris, sie wohnt zu Hause, man macht es möglich, aber als | |
Djemila sich bei Lucs Griff Richtung Hose zugeknöpft gibt, ist er | |
enttäuscht, es gebe doch andere Möglichkeiten, sagt Djemila noch, aber er | |
haut einfach ab. Es wird nicht Lucs letzter Arschloch-Move bleiben. | |
Luc ist Tischler, das hat er bei seinem Vater gelernt, er ist in Paris zur | |
Aufnahmeprüfung an der Ecole Boulle, der Kunsthandwerk-Akademie. Das | |
Ergebnis erfährt er erst Monate später, muss zurück in die Provinz, Djemila | |
ruft ihn dann doch wieder an, er verspricht ihr ein Wiedersehen, aber da | |
kommt ihm Geneviève (Louise Chevellotte) dazwischen. | |
Wo Djemila zögert, da kennt sie kein Vertun. Seit Jahren haben sie sich | |
nicht gesehen, jetzt genügen ein Blick- und ein Wortwechsel, ein kurzer | |
elliptischer Schnitt, und sie liegt nackt in der Wanne. Erst spielen seine | |
Finger mit ihr, dann platscht es und die Kamera schwenkt züchtig zur Seite. | |
Geneviève steigt dann nackt aus der Wanne, steht später nackt unter der | |
Dusche, was Lucs männlicher Blick sichtlich goutiert. Ein Blick, den die | |
gewohnt impressionistische Kamera von Roberto Berta hier und auch an | |
anderen Stellen, obwohl sie mehr im Sinn hat als nur Luc und Lucs Blick, | |
keineswegs konterkariert. | |
## Verantwortungslose Männer | |
Vielmehr wird das alles, die ganze Geschichte von Luc, auf sehr breiter | |
Leinwand in edlem Schwarzweiß hingepinselt, und je länger man diesem | |
ziemlich toxischen Luc bei seinen Fährnissen zuschaut, desto drängender | |
wird die Frage: Warum eigentlich wird mir das hier so ausführlich und dann | |
letztlich nur aus seiner Sicht präsentiert? | |
Die Konstellationen sind aus Philippe Garrels Werk, der seit Langem mehr | |
oder weniger denselben Film immer wieder anders noch einmal dreht, längst | |
vertraut. | |
Der Mann, der sich in Liebesleiden verstrickt, an denen er Schuld trägt, | |
weil er nicht wissen will, was aus dem folgen muss, was er tut, weil er | |
keine Verantwortung übernimmt, weil er egozentrisch bis narzisstisch ist, | |
im Namen der Kunst oder im Namen der Liebe – dieser Mann ist der typische | |
Garrel-Protagonist. | |
Zuletzt, in „L’amant d’un jour“ (2017), hatte Garrel das aus | |
Frauenperspektive erzählt, mit weiblicher Off-Stimme, die das Geschehen | |
scheinbar allwissend kommentiert. Hier ist die Männerstimme aus „L’ombre | |
des femmes“ (2015) zurück, und es ist wieder ein Mann, der bleibt, während | |
die Frauen kommen und gehen. | |
Zwar füllt der Erzähler diesmal eher Ellipsen, hält sich mit Einsichten ins | |
Innere des Helden ziemlich zurück. An einer Stelle jedoch heißt es, so | |
ungefähr: „Luc begriff nach seinen Erfahrungen mit Djemila und Geneviève, | |
dass er die Liebe noch nicht kennengelernt hatte.“ | |
Der raunende Liebesdiskurs ist an dieser Stelle nicht ironisch markiert, so | |
wenig wie im kitschigen Titel. Also doch nichts weiter als zum tausendsten | |
Mal: die Liebe des Mannes mit ganz großem L? Dabei ist der Erzählton | |
insgesamt schnippisch, der Erzähler wahrt kritische Distanz zu seinem Luc. | |
Man wünschte sich nur, er ließe statt einer Frau nach der anderen einfach | |
mal seinen öden Protagonisten zurück. Lieber hätte man etwa die weitere | |
Geschichte Djemilas erfahren, die nur noch einmal, stumm, aber markant, | |
auftreten wird. Aber Garrel bleibt natürlich Garrel und folgt lieber den | |
sehr ausgetretenen Pfaden. | |
23 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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