| # taz.de -- Kurator:innen des Festivals „Pop-Kultur“: „Pop ohne Humor ist… | |
| > In Berlin beginnt das Festival „Pop-Kultur“. Seine Kurator:Innen | |
| > sprechen über die Herausforderungen von Diversität, Bekenntniszwang und | |
| > Humor. | |
| Bild: Sie haben das Programm des Festivals zusammengestellt: Von links nach rec… | |
| taz: Neben der Nachwuchsförderung hat sich das „Pop-Kultur“-Festival die | |
| allerorten bemühte Diversität auf die Fahnen geschrieben. Wie setzen Sie | |
| das kuratorisch um? | |
| Christian Morin: Wie wir unser Programm gestalten, ist ziemlich einzigartig | |
| – allein dadurch, das wir unterschiedliche Perspektiven mitbringen. Die | |
| werfen wir in einen Topf und rühren um. So kommt eine Mischung aus | |
| Debatten, Konzerten, Auftragsarbeiten, Lesungen und Ausstellung zustande, | |
| die es so anderswo nicht gibt. | |
| taz: Zuletzt sind Teile des Kulturbetriebs zur Kampfzone geworden. Auch in | |
| der Popszene lassen sich nie da gewesene Verwerfungen beobachten, ausgelöst | |
| durch aktivistische Boykottkampagnen. Nun gehört Weltverbesserung zwar von | |
| jeher zur DNA der Popkultur, doch vor allem die sozialen Medien befördern | |
| inhaltliche Verkürzung. Wie geht Ihr Festival damit um? | |
| Yesim Duman: Angesichts der politischen Entwicklungen hierzulande finde ich | |
| zumindest eine Positionierung gegen rechts sehr wichtig. Letztlich ist ja | |
| vieles, was in der Kunst passiert, eine Reaktion darauf, wie die Politik | |
| gerade agiert. | |
| Morin: Kunst eröffnet ja auch Möglichkeiten für Mehrdeutigkeit und zur | |
| Dekonstruktion: Dinge in einen absurden Zusammenhang zu stellen, um neue | |
| Sichtweisen zu produzieren. Fragen nicht nur mit Ja oder Nein zu | |
| beantworten, sondern weitere Fragen zu stellen. Aber ich sehe durchaus, | |
| dass aktivistische Rollenmodelle gerade jungen Leute auch Kraft geben | |
| können, weil sie vermitteln „Man kann seine Stimme hörbar machen.“ Das ist | |
| wichtig. | |
| Pamela Owusu-Brenvah: Auf jeden Fall ist es krass, wie sich Leute bisweilen | |
| positionieren müssen. Manche möchten nur Musik machen und werden dadurch | |
| automatisch in Diskurse reingezogen, weil sie sich nicht zu etwas äußern. | |
| Wenn das in anderen Jobs auch so wäre – da hätte wirklich niemand Lust | |
| drauf. | |
| taz: Seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober haben sich in der | |
| Clubkultur und auch im Pop die Fronten verhärtet. Mit dem Konflikt im Nahen | |
| Osten hatte das Pop-Kultur-Festival schon früher zu tun, weil es mehrmals | |
| Boykottaufrufe der israelkritischen BDS-Lobby gab. Nun sind Akteure wie | |
| „Strike Germany“ dazugekommen, die Kulturschaffende auffordern, | |
| Institutionen zu boykottieren, die Förderung vom deutschen Staat erhalten. | |
| Was ist da zu erwarten? | |
| Morin: Wir kommunizieren klar, dass wir ein gefördertes Festival sind. | |
| Außerdem kennt man uns inzwischen ein bisschen. Wir bieten allen an, mit | |
| uns vorab über Zoom zu sprechen und dann zu entscheiden, ob sie auftreten | |
| möchten. Uns geht es auch bei dieser Thematik darum, Austausch zu | |
| ermöglichen. Dieses Jahr wird etwa die israelische Rapperin Eden Derso | |
| auftreten, und der queere palästinensische Singer-Songwriter Bashar Murad. | |
| taz: Bei der Vorstellung Ihres Programms fiel der Satz „Pop ohne Humor ist | |
| Politik.“ | |
| Duman: Den habe ich mir vom Meme-Künstler Daniel Wiegärtner und dem | |
| Kollektiv „Galerie Arschgeweih“ geborgt. Er wird mit der bildenden | |
| Künstlerin Sveamaus über die digitale Kulturpraxis von Humor reden. | |
| [1][Wenn man sich gesellschaftspolitischen Themen nähert – und die tauchen | |
| im Pop ja oft auf –, kann man Konfliktlinien vielleicht aufweichen.] | |
| Letztlich geht es bei uns auch um Wohlfühlformate, etwa bei der Karaoke in | |
| der Çaystube, in dem auch ohne Ticket zugänglichen Hof der Kulturbrauerei. | |
| Es geht darum, Begegnungen möglich zu machen, die sonst nicht stattfinden | |
| würden. | |
| taz: Wo sehen Sie sich konzeptionell am stärksten gefordert? | |
| Morin: Nach wie vor beim Thema Inklusion. Damit verbundene | |
| Herausforderungen sind kompliziert. Was bedeuten körperliche | |
| Einschränkungen im Detail? Wie kann man allen Teilhabe ermöglichen? Wir | |
| sind nicht aus der Community und müssen uns dieses Wissen erst aneignen und | |
| Leute mit Handicap mit ins Boot holen. Es ist eine Laboratoriumssituation, | |
| immer wieder mischen wir Neues rein und müssen experimentieren. Und manches | |
| funktioniert eben nicht. Das ist der Freiraum, den wir dank der Förderung | |
| haben, dass wir mit einer Idee auch mal scheitern dürfen. | |
| taz: 2024 betrug die Förderung aus verschiedenen Töpfen noch mal 1,3 | |
| Millionen Euro. Allerdings ist angesichts der Haushaltslöcher abzusehen, | |
| dass es nächstes Jahr deutlich weniger wird – im Moment ist mit etwa zehn | |
| Prozent Kürzungen zu rechnen. | |
| Morin: Das Geld ist bereits weniger geworden, weil Kosten für Gagen, | |
| Reisen, die ganzen Gewerke, die am Festival hängen, explodiert sind. Damit | |
| sind alle konfrontiert, die in dem Bereich arbeiten. Wir müssen umdenken | |
| und schauen, wo noch Geld herkommen kann. Wo wir etwa mit anderen Festivals | |
| kooperieren können, um Reisekosten zu teilen. Wir werden jedenfalls | |
| weiterhin ein buntes Programm machen. | |
| taz: Das ist dieses Jahr auch abzulesen daran, wie wichtig afrikanische | |
| Musik für die globale Popkultur geworden ist – was sich hierzulande in den | |
| Line-ups anderer großer Festivals aber kaum niederschlägt. | |
| Owusu-Brenya: Da sind wir ganz vorn. Mit der nigerianischen Sängerin Yemi | |
| Alade und dem ghanaischen Shootingstar Black Sherif haben wir | |
| Künstler:innen im Programm, deren Konzerte etwa in England binnen | |
| Sekunden ausverkauft sind, aber in Deutschland noch kaum in Erscheinung | |
| treten. Das hängt damit zusammen, dass es in dem Bereich nicht die üblichen | |
| Strukturen gibt. Auch wenn viele Manager:Innen von afrikanischen | |
| Künstler:Innen mittlerweile in London sitzen. Man muss erst mal | |
| herausfinden, wer zuständig ist. Fast alle Kontakte laufen über Whatsapp, | |
| mit E-Mails kommt man nicht weit. [2][Einige sind, durch den Anklang, den | |
| sie in Europa finden, erst zu Stars in ihrer afrikanischen Heimat gewonnen | |
| – gerade, wenn sie abseits gesellschaftlicher Normen unterwegs sind.] Viele | |
| Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent sind sehr konservativ, | |
| allein durch den Einfluss der Kirchen. Deswegen ist jemand wie Lady Donli, | |
| [3][die in Nigeria als alternative gilt,] sehr interessiert daran, bei uns | |
| aufzutreten. | |
| Morin: Wie wirtschaftliche und soziale Wege organisiert sind, das ist eine | |
| immer wieder spannende Frage, sie nachzuverfolgen. Wer definiert überhaupt, | |
| wo das Zentrum aufhört und wann die Peripherie beginnt? Warum ist eine | |
| Kellerband aus London sofort mit einer Logistik ausgestattet und kann durch | |
| Europa touren, während die Band aus Warschau, die ein ähnliches | |
| künstlerisches Konzept verfolgt, niemand kennt – einfach, weil es dort noch | |
| keine ähnlich professionellen Strukturen gibt. | |
| taz: Also schafft Ihr Festival auch alternative Netzwerke? | |
| Morin: Man muss das gar nicht paternalistisch sehen – im Sinne von „Wir | |
| geben Starthilfe“. Am Ende ist die Entscheidung immer eine künstlerische. | |
| Wir wollen Künstler:innen präsentieren, die überzeugen. Wenn man mit | |
| offenen Ohren durch die Welt geht, sich an anderen Orten neue Sachen | |
| anguckt und online recherchiert, findet man tatsächlich überall Spannendes. | |
| 27 Aug 2024 | |
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| Stephanie Grimm | |
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