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# taz.de -- Pop-Kultur-Festival in Berlin: Zeigen, was gehen kann
> Auch in der zehnten Ausgabe eröffnete das Festival Pop-Kultur
> Möglichkeitsräume. Als großer Gewinn erwies sich der Fokus auf Musik aus
> Afrika.
Bild: Yemi Alade, Superstar aus Nigeria, euphorisierte die Crowd
Puh, da muss die Popkultur doch schön ächzen, angesichts dessen, was
Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihr alles aufbürden will: „Wer Pop
will, will Vielfalt, will eine demokratische Gesellschaft“, konstatierte
sie in ihrer Rede anlässlich [1][Eröffnung des Pop-Kultur-Festivals].
Leider muss man das doch für Wunschdenken halten. Nicht zuletzt Rechte und
Islamisten haben das Emotionalisierungspotenzial von Pop längst in ihre
Strategien integriert und gehen mit einer entsprechender Ästhetik auf
Seelenfang. Mal abgesehen davon, dass es sich in letzter Zeit gezeigt hat,
dass es Teilen der angeblich so offenen Popwelt an Ambiguitätstoleranz
mangelt – und an der Bereitschaft, im „Zweifel für den Zweifel“ zu sein.
Vielleicht einigt man sich besser darauf, dass der Pop weder sozialer Kitt
noch das Allheilmittel ist, mit dem sich Diversität herbeizaubern lässt,
aber im besten Fall immerhin Möglichkeitsräume eröffnet. Und genau darauf
versteht sich Popkultur, wozu man das Festival anlässlich seines zehnten
Geburtstags ruhig mal beglückwünschen kann.
Wieder wurden von Mittwoch bis Freitag auf dem Gelände der Berliner
Kulturbrauerei unterschiedlichste Formate präsentiert; neben Konzerten
verschiedenster Genres gibt es Talks, etwa zu Memes, rechter Esoterik oder
[2][Chancen und Risiken von KI], Ausstellungen und einiges mehr. Ein
Alleinstellungsmerkmal dieses Festivals sind die sogenannte Commissioned
Works, also Auftragsarbeiten, die es Musiker:innen erlauben, sich einem
Thema zu widmen, ohne gleich dessen ökonomische Verwertbarkeit im Blick
behalten zu müssen.
Teilhabe von Menschen mit Handicap
Zeigen, was gehen kann – so ließe sich der programmatische Ansatz des
Festivals auch umschreiben. Sei es nun beim geschlechtergerechten Booking,
das bei der ersten Ausgabe 2015 noch ziemlich bestaunt wurde – worüber man
aus heutiger Sicht wiederum staunt, auch wenn da natürlich in weiten Teilen
des Popbetriebs immer noch Luft nach oben ist. Oder bei der Teilhabe von
Menschen mit Handicap. Ganz nonchalant und nebenbei vermittelt Popkultur
zudem, was die auch im Pop globalisierte Welt an Schauplätzen jenseits
hierzulande Etablierten bereithält.
So gesehen ein großer Gewinn, dass das Kurator:innenteam einen Fokus
auf den afrikanischen Kontinent setzt. Gleich zum Auftakt gibt es einen
sensationellen Auftritt von Kabeaushé, den man angesichts des flirrenden
Hochsommer-Gefühls beim Karaoke an der Çaystube, dem
Umsonst-und-draußen-Teil des Festivals, fast verpasst hätte.
In seiner Performance zerschreddert der Musiker aus Nairobi – aktuell lebt
er in Berlin, seine ultrahybride Pop-Performance hat er jedoch im
Dunstkreis [3][des umtriebigen Nyege-Nyege-Kollektivs] im ugandischen
Kampala entwickelt – Hip-Hop und Rave-Elemente und reichert diese mit etwas
Avantgarde und Afrofuturismus an. Prince darf man ebenso in der
Ahnengalerie vermuten wie Ziggy Stardust.
Als deutlich mainstreamkompatibler, aber nicht minder kurzweilig erweist
sich am Donnerstagabend der Auftritt von Yemi Alade. Der Superstar aus
Nigeria eröffnete Anfang des Jahres als erste Frau überhaupt den Africa Cup
of Nations, heute euphorisiert sie eine erstaunlich textsichere Crowd mit
ihrem Mix aus Afropop, Highlife und Dancehall-Beats. Flankiert ist sie von
zwei grandiosen Tänzerinnen, die humorvoll, bisweilen fast selbstironisch
performen. Zum Ende nimmt ihr Auftritt dann eine gospelige Wendung, das
Publikum singt ihr ironiebefreit nach: „Love and Peace“.
Reichlich beseelte Gesichter
Überhaupt blickt man in diesen drei Tagen in reichlich beseelte Gesichter.
So auch beim Auftritt [4][des Münchener Quartetts mit dem schönen Namen
What Are People For] – einem Projekt mit Tentakeln in die Welt von Kunst
und Theater. Ihnen gelingt der Spagat, rumpeligen Art Pop gleichzeitig bunt
und dark klingen zu lassen. Mit ihrem Song „Bring Back The Dirt“ stellen
sie eine berechtigte Frage, die man gleich an eine zunehmend
durchalgorithmisierte Popwelt weiterreichen will: „Why Are you so Squeaky
Clean?“
Weniger ein Wechselbad der Gefühle, dafür höchst immersiv ist der Auftritt
der Berliner Band Hope. Deren reduzierte Synthese von Postrock und Ambient
wird mit Unterwasserwelten der britischen Videokünstlerin Emma Critchley
bebildert und findet in erhabenen und etwas unheimlichen Bildern ein
stimmiges Echo.
Nicht jedes Commissioned Work ist so gelungen: Christin Nichols war einst
Teil des Duos Prada Meinhoff, gerade erschien ihr zweites Soloalbum. Sie
arbeitet auch Schauspielerin, doch in der Performance „The longer I stare
at you the less you make sense“ wähnt man sich eher im Schultheater.
Der Titel scheint unfreiwillig Programm zu sein. Es geht darin um die
Frage, wie viel Erfolg ein:e Künstler:in braucht, um die eigene Arbeit
als wertig zu empfinden. Doch wie das Ganze aufgelöst wird, kriegt die
Autorin nicht mehr mit, zu viele Cringe-Momente voll lauwarmer Gags zwingen
vorher zur Flucht.
Gelungene Jubiläumsausgabe
Alles in allem bleiben schön kaleidoskopartige Impressionen von dieser
gelungenen Jubiläumsausgabe. Das Geburtstagswetter trägt seinen Teil zu der
Vergnügtheit bei, mit der man sich durch die lauen Nächte treiben lassen
kann.
Und manchmal reicht es auch, wenn sich ein Möglichkeitsraum als Klangkokon
erweist, in dem man sich einfach fallen lassen kann. Mit beatgetriebenen
psychedelischem Shoegaze, der wohlig vertraut wirkt, bringt britische
Postpunk-Duo The KBV das Festival über die Ziellinie.
1 Sep 2024
## LINKS
[1] /Kuratorinnen-des-Festivals-Pop-Kultur/!6031984
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[3] /Nyege-Nyege-im-Festsaal-Kreuzberg/!5937392
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## AUTOREN
Stephanie Grimm
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