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# taz.de -- Kundgebung vor Landgericht Braunschweig: Polizei im falschen Film
> Die Polizei hat verhindert, dass vor dem Landgericht Braunschweig ein
> justizkritischer Film gezeigt wird. Filmemacher und Anmelder wollen
> klagen.
Bild: Mehr Demo als Kinogenuss: Filmvorführung vor dem Landgericht Braunschweig
Hamburg taz | In Braunschweig hat die Polizei am Donnerstag die
Open-Air-Vorführung eines justizkritischen Films nach wenigen Minuten
abgebrochen. Der besondere Charme dabei: Die Aufführung fand vor dem
Landgericht statt, aus dem der Film mit heimlich gemachten Tonaufnahmen
berichtet.
Die Veranstaltung war als Kundgebung angemeldet worden unter dem Titel:
„Wer die Macht hat, braucht sich um das Recht nicht zu scheren. Für eine
[1][Welt ohne Justiz und Strafe]“. Anmelder und Filmemacher wurden von der
Polizei mitgenommen und vier Stunden festgehalten. Im Stoppen der von etwa
25 Leuten besuchten Vorführung und ihrer Inhaftierung sehen sie die
Versammlungsfreiheit verletzt. Sie kündigten Klage an.
Bei dem Film „[2][Unter Paragraphen II“ geht es darum, zu zeigen, „wie die
bittere Realität in den Gerichtssälen aussieht], wenn die Angeklagten
untergebuttert und ihre Rechte verdreht werden“ – so kündigte es einer der
Macher, Ruben Gradl, in der taz an.
Gegenstand des Films sind zwei Prozesse: Bei dem einen zu einer
Abseilaktion über der A39 bei Wolfsburg wurde den Aktivisten Nötigung
vorgeworfen. Bei dem anderen war der Teilnehmer einer Fahrraddemo vom
Wolfsburger Polizeichef aus dem Auto heraus angesprochen worden, worauf der
Radler „Ach, fahr weiter Alter“ gesagt haben soll. Damit handelte er sich
eine Anzeige wegen Beleidigung ein.
## Filmen und Fotografieren nur vor Verhandlungen erlaubt
Der [3][Dokumentarfilmer und Aktivist Jörg Bergstedt] achtete streng
darauf, den Film über die beiden Prozesse nicht justiziabel zu machen. So
sind Film- und Fotoaufnahmen in Gerichtssälen vor Beginn einer Verhandlung
sehr wohl erlaubt. Der Richter bittet die Kameraleute und Fotografen aber
irgendwann, den Saal zu verlassen. Nur solche Aufnahmen sind in dem Film
auch zu sehen. Darüber hinaus zeigt [4][er Fotos und eingeblendete
Textdokumente sowie Tonaufnahmen aus der Verhandlung].
Letztere sind zwar verboten, die Verbreitung der Aufnahmen ist aber „nur
strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte
Interessen eines anderen zu beeinträchtigen“. Weiter heißt es in Paragraph
201 des Strafgesetzbuches: „Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die
öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen
gemacht wird.“
Bergstedt versteht seine Filme, den aktuellen und den Vorgänger „[5][Unter
Paragraphen]“, als Lehrfilme, die auch zeigten, wie man sich vor Gericht
wehren könne. Der erste Film werde bei Trainings zur Selbstverteidigung vor
Gericht gezeigt.
Die Filmvorführung sei abgebrochen worden wegen Verstoßes gegen das
Kunsturheberrechtsgesetz und der Verletzung des Persönlichkeitsrechts,
sagte ein Sprecher der Polizei Braunschweig der taz. Auch werde ein Verstoß
gegen das Versammlungsrecht geprüft.
Nach dem Kunsturheberrechtsgesetz dürfen „Bildnisse nur mit Einwilligung
des Abgebildeten verbreitet werden“. Verstöße dagegen werden nur auf Antrag
verfolgt. Wer einen solchen gestellt hat, konnte und wollte die Polizei
nicht sagen. Das wirft Rätsel auf, denn der Film ergreift Partei für die
Angeklagten, indem er etwa eine Protestaktion im Saal zeigt. Und die
Richterin muss hinnehmen, dass Aufnahmen von ihr gemacht werden.
## Vier Stunden festgehalten, fotografiert und vermessen
Bergstedt wehrt sich gegen die [6][Darstellung der Polizei], er und der
Anmelder seien „aufgrund versammlungsrechtlicher Verstöße und weiterer
Straftaten“ aus der Versammlung ausgeschlossen und „weiteren
strafprozessualen Maßnahmen“ unterzogen worden. „Versammlungsrechtliche
Verstöße wurden vor Ort nicht formuliert“, behauptet er. Sie gingen
überdies an ihm selbst vorbei, da er nicht Anmelder sondern nur Teilnehmer
gewesen sei.
Irritierend findet Bergstedt, dass die Polizei ihn und den Anmelder auf die
Wache brachte. Sei seien der Polizei bekannt gewesen und hätten sich
überdies schon vor der Vorführung ausweisen müssen. Reine Schikane sei es
gewesen, dass sie vier Stunden auf der Wache festgehalten, fotografiert
sowie vermessen und ihre Fingerabdrücke genommen wurden.
„Es wurden die Personen mitgenommen, die im Verdacht standen, strafbare
Handlungen begangen zu haben“, sagt dazu der Sprecher der Polizei
Braunschweig.
Bergstedt wundert auch, dass die Polizei die Filmvorführung so schnell
gestoppt hat. Bis Minute fünf seien noch überhaupt keine Filmaufnahmen aus
dem Saal zu sehen gewesen. Dass die Polizei das nicht abgewartet habe, lege
nahe, dass sie den „Angriff auf die Versammlung“ geplant habe. Die
Verhinderung einer Versammlung sei aber selbst eine Straftat, resümiert
Bergstedt.
18 Oct 2023
## LINKS
[1] /Fritz-Bauer-Ausstellung-in-Braunschweig/!5818527
[2] /Oekoaktivist-ueber-Dokumentarfilm/!5962436
[3] /Anonyme-Aktivistin-im-Gefaengnis/!5826379
[4] https://www.youtube.com/watch?v=UydE2MuQ2YU
[5] https://www.youtube.com/watch?v=C-nWjn6g8zM
[6] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11554/5624867
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Justiz
Gerichtsprozess
Gericht
Grundrechte
Versammlungsfreiheit
Landgericht
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