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# taz.de -- Ende Gelände vor Gericht: Strafverteidiger ohne Robe
> Bei den Prozessen zur Garzweiler-Besetzung wird nicht nur über
> Hausfriedensbruch verhandelt. Sondern auch darüber, wer die Aktivisten
> vertreten darf.
Bild: Protest in Garzweiler
Berlin taz | Knapp eineinhalb Jahre nachdem im August 2015 rund 1.000
Aktivisten der Bewegung „Ende Gelände!“ in den Braunkohletagebau Garzweiler
bei Köln eingedrungen sind, beginnt am Amtsgericht Erkelenz die juristische
Aufarbeitung der Proteste. Das kleine Amtsgericht in Nordrhein-Westfalen
wird dabei zum Schauplatz einer ganzen Reihe von Strafprozessen. Es geht um
das Durchbrechen von Polizeiketten, um verschiedene Formen der Vermummung
und um das Abseilen von einer Autobahnbrücke.
Das Gericht beschäftigen aber nicht nur diese strafrechtlichen Fragen,
sondern auch eine besondere Form der Verteidigung: In den Strafprozessen
sollen statt zugelassener Rechtsanwälte nach dem Willen der Angeklagten
sogenannte Laienverteidiger zum Einsatz kommen – Aktivisten aus den eigenen
Reihen, die selbst keine Anwaltszulassung besitzen und prinzipiell auch
keine abgeschlossene juristische Ausbildung.
Grundsätzlich können nach geltender Rechtslage im Strafprozess aber nur
zugelassene Rechtsanwälte und Juraprofessoren verteidigen. Eine Lücke
wollen die Aktivisten im Absatz 2 des Paragrafen 138 der
Strafprozessordnung entdeckt haben. Dort heißt es: „Andere Personen können
nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden.“
Am Amtsgericht in Erkelenz wird die Theorie nun in der Praxis erprobt. Nach
den ersten Prozesstagen zeichnet sich bereits ab, dass die von den
Aktivisten angestrebte neue Form der Verteidigung auch auf Widerstand
treffen wird. Gleich in mehreren Verfahren gibt es Streit um die Zulassung
der Laienverteidiger.
## Aktivist stellt Rechtssystem immer wieder auf die Probe
Einer von ihnen ist der Aktivist Jörg Bergstedt, der mit Aktionen wie
Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr oder Containern von
Supermarktresten die Grenzen des Rechtssystems immer wieder auf die Probe
stellt und sich seit Jahren für die Laienverteidigung engagiert.
Zwar sind Bergstedt und zwei Mitstreiter am ersten Verhandlungstag in
Erkelenz vom Gericht zunächst ohne Einwände als Laienverteidiger zugelassen
worden. Während des zweiten Termins kündigte die Staatsanwaltschaft aber
überraschend an, die Zulassung wiederaufzuheben. Ihre Begründung: Bergstedt
und seine Mitstreiter seien vorbestraft und deshalb nicht geeignet, die
Laienverteidigung zu übernehmen. Bergstedt bestätigt das für seine Person,
sieht aber keinen Zusammenhang zu seiner Befähigung als Laienverteidiger.
Außerdem habe die Staatsanwaltschaft Zweifel an der juristischen Sachkunde
der Laienverteidiger geäußert. Auch das will Bergstedt nicht gelten lassen
und gibt den Vorwurf zurück. Die Staatsanwaltschaft habe anscheinend von
der Form der Laienverteidigung bislang noch nichts gehört.
Der zweite Verhandlungstermin in Erkelenz wurde abgebrochen. Die zuständige
Staatsanwaltschaft in Mönchengladbach wollte sich nicht äußern. Auf die
Entscheidung des Gerichts wartet Bergstedt noch. Gegen seinen Ausschluss
wäre eine Beschwerde möglich. In einem anderen Verfahren der „Ende
Gelände“-Prozesse hat er bereits eine Ablehnung erhalten.
Wer als Laienverteidiger zugelassen werden kann, das haben die Gerichte und
die Rechtswissenschaft noch nicht genauer konkretisiert. Die bisher
ergangenen Entscheidungen betrafen Fälle von Laienverteidigern mit
juristischer Ausbildung. Mal ging es um einen pensionierten Richter, mal um
einen gescheiterten Jurastudenten. Die Form der Laienverteidigung, wie sie
die Aktivisten in Erkelenz erproben, ist noch neu.
## Es geht auch ohne Robe
Aus der Sicht von Jörg Bergstedt steht in Erkelenz für die
Laienverteidigung einiges auf dem Spiel. „Die Staatsanwaltschaft versucht
das Modell der Laienverteidigung aus der Welt zu schaffen“, sagt er. Diese
sei aber ein wichtiges Mittel der alternativen Prozessführung. Bergstedt
und seine Mitstreiter in Erkelenz treten nach eigenen Angaben bereits seit
rund sechs Jahren als Laienverteidiger auf und sind an zahlreichen
Gerichten bereits erfolgreich zugelassen worden. Als Laienverteidiger stehe
ihm das volle Akteneinsichtsrecht zu, andererseits gingen seine Freiheiten
sogar weiter, so Bergstedt. Schließlich müsse er nicht Mitglied in der
Rechtsanwaltskammer sein. „Ich muss deshalb auch keine Robe tragen.“
Bei einem Blick auf die von Bergstedt mitbetriebene Website
laienverteidigung.tk wird deutlich, dass es vor allem um eine politische
Idee geht. Die Laienverteidigung soll Raum für eine Selbstermächtigung der
Angeklagten schaffen und aus dem Gerichtssaal eine politische Bühne machen.
„Ziel ist, Prozesse zur Einschüchterung politischer AktivistInnen offensiv
zu gestalten und zu verhindern, dass wie am Fließband durchgeurteilt werden
kann“, heißt es dort.
Die Pressestelle am Landgericht Mönchengladbach sieht diese Taktik
gelassen. „Solange das mit zulässigen Mitteln geschieht, ist das nicht zu
beanstanden“, sagte ein Sprecher.
24 Dec 2016
## AUTOREN
Markus Sehl
## TAGS
Braunkohle
Protest
Garzweiler
Strafverteidiger
Schwerpunkt Ende Gelände!
Justiz
Braunkohletagebau
Kohleausstieg
RWE
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