# taz.de -- Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln: „Sie hoffen, dass wir au… | |
> Dem Kulturzentrum Oyoun wurden nach Antisemitismus-Vorwürfen die | |
> Fördergelder gestrichen. Geschäftsführerin Louna Sbou sagt: zu Unrecht. | |
Bild: Nach dem Willen des Senats soll das Kulturzentrum Oyoun in Neukölln bis … | |
taz: Frau Sbou, das Oyoun hat die Senatskulturverwaltung verklagt, weil sie | |
Ihnen die Zuwendungen gestrichen hat. Sie haben erst beim | |
Verwaltungsgericht (VG) verloren, jetzt auch beim Oberverwaltungsgericht | |
(OVG) Berlin. Was heißt das? | |
Louna Sbou: Verloren haben wir nicht, ganz im Gegenteil. Das OVG meint | |
zwar, dass wir uns nicht ausreichend damit auseinandergesetzt hätten, dass | |
es sich laut VG schon aus formalen Gründen nicht um eine Zusicherung für | |
vier Jahre Förderung gehandelt habe. Aber das stimmt nicht, das VG hat | |
genau gegenteilig entschieden. | |
Sie sagen, es gab eine Förderzusage für vier Jahre, die Kulturverwaltung | |
bestreitet das und hat die Förderung zum Jahresende eingestellt. Sie haben | |
als Beleg eine E-Mail vorgelegt. | |
Genau, wir haben eine E-Mail samt Anhang, der digital unterschrieben wurde, | |
und wir haben sämtliche Gespräche und den E-Mail-Verkehr, die alle diese | |
Zusicherung bestätigen. Das VG hat darum auch gute Gründe dafür gesehen, | |
dass es eine Förderzusage für vier Jahre gibt. Trotzdem hat es uns in der | |
Eilentscheidung leider keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährt, damit wir | |
die Förderung bis zum Entscheid in der Hauptsache weiter ausgezahlt | |
bekommen. Darum machen wir nun eine Anhörungsrüge, notfalls legen wir | |
Verfassungsbeschwerde ein. | |
Mit welchem Argument? | |
Es gibt ein internes Gutachten der Kulturverwaltung, das im Rahmen des | |
Prozesses erstellt wurde. Daraus ergibt sich, dass es eine verbindliche | |
Förderzusage bis Ende 2025 gibt – und dass es auch nach intensiver | |
juristischer Untersuchung keinen haltbaren Grund gab, den Vertrag wegen | |
„Antisemitismus“ oder ähnlichem zu widerrufen. Diese Akte hat die | |
Kulturverwaltung dem VG erst nach Abschluss des Eilverfahrens vorgelegt – | |
auch wir durften sie erst vor kurzem einsehen. Bis heute weigert sich die | |
Kulturverwaltung, die vollständige Akte offenzulegen. | |
Was machen Sie nun damit? | |
Das Hauptverfahren läuft ja noch, wo endgültig entschieden wird. Mit diesem | |
Gutachten der Verwaltung haben wir jetzt noch bessere Argumente zur Hand. | |
Das Problem: Bis das VG entscheidet, kann es Jahre dauern. Darum hoffe ich | |
sehr, dass es mit der Anhörungsrüge beim OVG klappt und wir bald wieder | |
Gehälter für unsere Leute zahlen können. | |
Lassen Sie uns über die Ursache des Streits reden. Es ging um [1][eine | |
Veranstaltung der Jüdischen Stimme], ein paar Wochen nach dem Angriff der | |
Hamas auf Israel. Die Kulturverwaltung wollte, dass Sie den Verein | |
ausladen. Warum haben Sie das abgelehnt? | |
Wir haben uns 2019 mit einem Konzept beworben, in dem wir ganz klar gemacht | |
haben, wofür wir stehen, was deutsche Erinnerungskultur für uns bedeutet, | |
was Dekolonialität, was Antirassismusarbeit und was pluralistische | |
Gesellschaft bedeuten. Und warum es so wichtig ist, dass intersektionale | |
Perspektiven einen Raum bekommen, auch wenn es unbequem ist, im | |
historischen Kontext vielleicht eine Wunde aufzukratzen – und dass das zum | |
Heilungsprozess dazugehört. Für uns war es nie ein Thema, bestimmte Gruppen | |
auszuladen oder sie mundtot zu machen. Für uns war ganz klar, dass es in | |
einer liberalen Demokratie, wie es Deutschland sein soll, möglich sein | |
muss, dass es Räume für Ansichten wie die der Jüdischen Stimme gibt. | |
Sagen Sie, der Senat muss sich grundsätzlich raushalten aus dem, was die | |
von ihm finanzierten Häuser machen? | |
Ich denke, die Förderrichtlinien des Landes Berlin oder auch des Bundes | |
bilden eine sinnvolle demokratische Grundlage. Grundsätzlich gehören | |
Kunstfreiheit, Staatsferne, Transparenz zu den wichtigsten | |
Fördergrundsätzen. Die Kunst- und Meinungsfreiheit der geförderten Häuser | |
darf nicht eingeschränkt werden. | |
Wo hört für Sie denn Meinungsfreiheit auf? | |
Es kann auf jeden Fall nicht sein, dass Kunstfreiheit da aufhört, wo es für | |
den Kultursenator politisch zu brisant wird, wie es Kulturstaatssekretärin | |
Sarah Wedl-Wilson bei einem Treffen mit uns gesagt hat. | |
Das hat sie gesagt? | |
Ja. Das war bei einem internen Video-Call. Wir waren alle total perplex. | |
Das Meeting wurde dann abrupt beendet. | |
Trotzdem: Fällt es für Sie unter die Kunst- oder Meinungsfreiheit, den | |
Terror der Hamas zu verharmlosen? | |
Was heißt das zum Beispiel? | |
Etwa, wenn man [2][wie Judith Butler sagt, die Hamas sei eine „legitime | |
Befreiungsbewegung“], oder den Terror vom 7. Oktober „Gefängnisausbruch“ | |
nennt wie die Jüdische Stimme. | |
Ich persönlich würde das nicht sagen. Aber es gibt Menschen und Gruppen, | |
die das tun – und es gibt im internationalen Kontext auch wissenschaftliche | |
Arbeiten, die solche Statements stützen. Wir hier bei Oyoun sind keine | |
Expert*innen, können jedoch beobachten, dass der 7. Oktober international | |
anders kontextualisiert wird als in Deutschland. Dieser Perspektive wollen | |
wir Raum geben. | |
Richtig ist, dass die Nahost-Frage in Deutschland auch innerhalb der Linken | |
umstritten ist. Warum ist das Oyoun kein Haus, in dem darüber konstruktiv | |
gestritten werden kann? | |
Das kann man. Es gibt hier auch Veranstaltungen, wo das passiert ist, zum | |
Beispiel von Amnesty International Deutschland, die sich ganz anders | |
positionieren als Amnesty International im globalen Kontext. Die | |
Bundeszentrale für politische Bildung war auch hier. Wir geben durchaus den | |
Raum für Stimmen, die wir kritisch sehen oder mit denen wir weniger | |
d'accord sind. Es gab auch Diskussionsrunden zu antideutschen Positionen, | |
nicht zuletzt bei unserem Festival im Dezember 2023. Ich finde das | |
Argument, dass Antideutsche den Staat Israel als eine Art | |
Ersatznationalismus nutzen, sehr spannend. Wir haben auch im Team Menschen, | |
die mehr dem antideutschen Spektrum zuzuordnen sind – und das ist okay. Wir | |
können uns darauf einigen, dass Gewalt keine Lösung ist und es immer eine | |
Möglichkeit gibt, dass wir aufeinander zugehen und in Dialog treten. Ich | |
kann aber nicht nachvollziehen, warum zum Beispiel der Verein Jüdische | |
Stimme in Deutschland boykottiert werden sollte. | |
Zurück zu Ihnen: Das Oyoun sitzt nun ohne Förderung da. Trotzdem arbeiten | |
Sie weiter, am 24. März eröffnet das Projekt „Gadag: Fäden der | |
Erinnerungen“. Wie haben Sie das denn gemacht, ohne Geld? | |
Das geht nur, weil wir jetzt unbezahlt arbeiten – weil wir diese Arbeit so | |
wichtig finden, weiterarbeiten wollen und auch die Künstler*innen nicht | |
hängen lassen werden. „Gadag“ ist Teil unseres kuratorischen Schwerpunkts | |
„Mightier than a Trampled Flower“. In diesem Rahmen hatten wir schon | |
mehrere künstlerische Projekte, die die Rollen von Frauen und queeren | |
Allianzen in Kriegs- und Konfliktzeiten erforschen und offenlegen. | |
Und das ganz ohne Geld? | |
Wir haben dafür Projektgelder von der Lotto-Stiftung – unabhängig von der | |
Grundförderung der Senatsverwaltung für Kultur, die uns gestrichen wurde. | |
Doch auch bei diesen Projekten erschwert die Verwaltung uns jetzt die | |
Umsetzung: Ende Februar erst haben wir erfahren, dass wir „Gadag“ bis Ende | |
April umsetzen müssen statt wie vorher vereinbart bis August. Und wir haben | |
noch ein Projekt von der Kulturverwaltung, das bis 2026 läuft – auch das | |
versuchen sie zu widerrufen. | |
Es gibt also die Grundförderung – darum läuft der Prozess – und es gibt | |
Geld für Einzelprojekte? | |
Ja, die sind unabhängig von der Grundförderung. Wobei diese Einzelprojekte | |
auch beweisen, dass es eine vierjährige Zusage für die Grundförderung gibt. | |
Denn sonst wären die Projekte, die teils bis 2026 laufen, ja gar nicht | |
bewilligt worden. Die Kulturverwaltung selbst hat uns für drei Projekte | |
Gelder bewilligt, die mehrere Jahre laufen. Das widerspricht natürlich | |
ihrer Behauptung, sie habe uns nur eine Grundförderung für ein Jahr | |
gegeben, die Ende 2023 „regulär“ ausgelaufen sei. Und seit wir diesen | |
Zusammenhang vor Gericht aufgedröselt haben, sabotieren sie nun auch die | |
Projektförderungen. Jetzt wurden wir aufgefordert, das Haus zum 15. April | |
zu räumen, obwohl das von ihnen bewilligte Projekt bis 30. April läuft und | |
wir darüber hinaus auch Programm haben. Man könnte meinen, sie wollen ein | |
Scheitern der Projekte erzwingen. | |
Warum? | |
Sie hoffen wohl, dass wir aufgeben. Aber das tun wir nicht, wir kämpfen bis | |
zum Ende. Das sind wir nicht nur uns und den Communities schuldig, sondern | |
auch allen anderen Kultur- und Kunstprojekten, die gerade den Atem anhalten | |
und sich nicht trauen, was zu sagen, aber sehr solidarisch sind uns | |
gegenüber. Es hätte ja bis vor kurzem niemand gedacht, dass die Politik so | |
im Nacken von Kunst und Kultur hängt und so einen Druck ausübt. Ich finde | |
das gefährlich. | |
Weil Kultureinrichtungen Angst um ihre Förderung haben müssen? | |
Es gibt einmal die Einschüchterung, die Kunst und Kulturschaffende erleben, | |
und zugleich eine massive Ausgrenzung. Was zum Beispiel passiert ist | |
[3][nach der Berlinale mit Yuval Abraham]… | |
…dem israelischen Regisseur von „No other land“, der bei der | |
Preisverleihung wie sein palästinensischer Kollegen Basel Adra Israel | |
kritisierte… | |
…und dann in Israel nicht mehr sicher war aufgrund der | |
Antisemitismusvorwürfe aus der deutschen Politik gegen ihn. So etwas darf | |
nicht unbeachtet bleiben. Ich spüre gerade sehr viel Hass und sehr viel | |
Angst. Kein Wunder, dass viele Linke, auch Jüd*innen, das Land verlassen. | |
Sie verstehen das? | |
Ja, klar. Deutschland ist nicht sicher für progressive, linke, jüdische | |
Intellektuelle. Es ist nicht sicher für Menschen, die nicht der politischen | |
Ideologie der Regierung folgen. Wenn Politiker*innen oder auch Medien | |
unhinterfragt Schuldzuweisungen und Narrative von radikalen Akteuren wie | |
Volker Beck (ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Präsident der | |
Deutsch-Israelischen Gesellschaft) aufgreifen und verbreiten, spielt es den | |
Rechten, der AfD in die Hände. Auch wir im Oyoun bekommen unglaublich viele | |
Hassnachrichten, es kommen immer wieder aggressive Leute hier rein – | |
übrigens besonders oft, wenn gerade wieder ein Hetzartikel über uns im | |
Tagesspiegel erschienen ist. Darum schließen wir jetzt immer ab und haben | |
auch Security. Eine Mitarbeiterin, die bedroht wurde, ist schon aus Angst | |
ins Ausland gegangen. | |
21 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kulturpolitik-im-Nahost-Konflikt/!5968435 | |
[2] /Judith-Butler-und-die-Hamas/!5996786 | |
[3] /Streit-um-die-Berlinale/!5993341 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Antisemitismus-Vorwurf | |
Kulturförderung | |
Joe Chialo | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Antisemitismus-Vorwurf | |
Antisemitismus | |
Kulturförderung | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Kultur in Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kulturzentrum Oyoun in Neukölln: „Politische“ Insolvenz befürchtet | |
Das Kulturzentrum wartet verzweifelt auf zugesagte Lotto-Gelder und | |
vermutet politischen Druck hinter der Verzögerung. Die Lottostiftung | |
verneint das. | |
Antisemitismus-Debatte: Oyoun gegen „Tagesspiegel“ 2:0 | |
Zum zweiten Mal gewinnt das Kulturzentrum ein Gerichtsverfahren um seinen | |
angeblichen Antisemitismus. | |
Kulturzentrum gegen „Tagesspiegel“: „Wichtiger Sieg gegen Diffamierung“ | |
Das Berliner Kulturzentrum Oyoun meldet, es habe gegen den „Tagesspiegel“ | |
eine einstweilige Verfügung erwirkt. Die Zeitung sagt, sie wisse von | |
nichts. | |
Purim-Feierlichkeiten in Israel: Kaum Feiern zum Fest der Freude | |
Angesichts der Geiseln in Gaza ist die Stimmung zum jüdischen Fest Purim in | |
Israel gedrückt. Doch eine biblische Botschaft scheint wichtiger denn je. | |
Debatte um Kulturförderung: Oyoun zeigt die Zähne | |
Das Kulturzentrum weist neue Vorwürfe zurück. Es verklagt die | |
Kulturverwaltung wegen Ende der Förderung und macht Festival mit der | |
„Jüdischen Stimme“. | |
Kulturförderung gecancelt: Das Oyoun wehrt sich | |
Weil es nach Antisemitismus-Vorwürfen keine Förderung mehr vom Senat | |
bekommen soll, bereitet sich das Kulturzentrum auf einen Rechtsstreit vor. | |
Nachfolger der „Werkstatt der Kulturen“: Der misslungene Neustart | |
Die „Werkstatt der Kulturen“ gibt es nicht mehr, am Samstag startet der | |
Nachfolger „Oyoun“. Doch es gibt schwere Vorwürfe gegen die Betreiberinnen. |