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# taz.de -- Purim-Feierlichkeiten in Israel: Kaum Feiern zum Fest der Freude
> Angesichts der Geiseln in Gaza ist die Stimmung zum jüdischen Fest Purim
> in Israel gedrückt. Doch eine biblische Botschaft scheint wichtiger denn
> je.
Bild: Mit Kostümen, Alkohol und guter Stimmung wird normalerweise Purim begang…
Tel Aviv taz | Einav hat sich nicht verkleidet. Mit ihrer dreijährigen
Tochter auf dem Arm beobachtet sie eine Traube von Feiernden, die sich um
eine der Bars auf dem Karmelmarkt in Tel Aviv versammelt haben. Gebannt
schaut Einavs Tochter zu den als Waldelfinnen, Batman und Harry Potter
verkleideten Tänzern, die zwischen den Marktständen singen und trinken.
„Ich fühle mich zerrissen“, sagt ihre Mutter. „Purim ist das Fest der
Freude, doch mit dem Krieg und den Geiseln noch immer in Gaza ist die
Trauer überall.“
Auf dem Markt wäre für gewöhnlich am Freitagabend vor Purim kaum ein
Durchkommen. Diesmal jedoch sind nur wenige zum Feiern gekommen. Fast ein
halbes Jahr ist es her, dass tausende Hamasmitglieder die Grenze zum
Gazastreifen durchbrochen und Massaker mit rund 1200 Toten in den
israelischen Grenzorten anrichteten. Der israelischen Armee ist es
[1][trotz einer brutalen Gegenoffensive] bisher weder gelungen die Hamas zu
zerstören, noch den Großteil der Geiseln zurückzubringen. Der Krieg
überschattet die sonst ausgelassenen Purim-Feierlichkeiten im ganzen Land.
„Wir werden uns trotzdem morgen im kleinen Kreis verkleiden“, sagt Einav.
„Denn Purim ist auch das Fest der Hoffnung.“ Sie kenne die Nachrichten über
eine bevorstehende Hungersnot in Gaza und die laut palästinensischen
Angaben mehr als 30.000 getöteten Palästinenser. Doch sie habe erst diese
Woche gelesen, dass einer Umfrage zufolge noch immer 70 Prozent der
Palästinenser den Hamas-Überfall gutheißen würden. „Für sie habe ich
überhaupt keine Gefühle“, sagt Einav. „Für die anderen 30 Prozent tut es
mir leid, ich will keinen Krieg.“ Die Umfrage wurde vergangenen Mittwoch
vom palästinensischen Meinungsforschungsinstituts PCPSR in Zusammenarbeit
mit der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht. Die Forscher weisen darauf
hin, dass die Befragungen wegen der andauernden Kämpfe nicht in allen
Teilen des Küstenstreifens möglich waren.
Ein Stück die Marktstraße hinunter stehen Orel und Dvir bei Schawarma und
Bier. Die 20-jährigen Wehrdienstleistenden tragen ihre Sturmgewehre um die
Schultern und sind aufgekratzt. „Klar werden wir uns verkleiden und
feiern“, sagt Orel. „Wir müssen am Sonntag zurück zur Armee, das ist unse…
Möglichkeit, den Kopf freizubekommen.“ Sein Freund Dvir ruft dazwischen:
„Sag, dass wir dabei auch an die Geiseln denken.“ Orel wird für einen
Augenblick ernst. „Auch wir haben Freunde in diesem Krieg verloren“, sagt
er.
## An Purim wird gefeiert – mit viel Alkohol und Verkleidungen
Die Purimfeiern in Israel sind gewöhnlich die ausgelassensten der jüdischen
Feiertage. Gedacht wird der biblischen Geschichte über die Rettung
persischer Juden vor einem Massaker. [2][Laut dem Buch Esther] erhält der
persische König Ahasveros von seinem Großwesir Haman den Rat, alle Juden
seines Reiches zu töten. Der Plan wird von Esther vereitelt, die den König
von dem Plan abbringen kann.
Die wundersame Rettung wird an Purim unter anderem damit gefeiert, so viel
Alkohol zu trinken, bis man nicht mehr zwischen dem bösen Haman und dem
guten Mordechai, Esters Cousin, unterscheiden kann. Vor allem
ultraorthodoxe Juden nehmen dieses Gebot sehr ernst und betrinken sich
mitunter bis zur Besinnungslosigkeit.
Traditionell finden in mehreren israelischen Städten große Paraden mit
kunstvoll gestalteten Wagen und Kostümen statt. Tel Aviv und Holon jedoch
hatten diese bereits im Vorfeld aus Rücksicht auf die Angehörigen von
Geiseln und gefallener Soldaten abgesagt. Auch der Bürgermeister von
Jerusalem, Mosche Lion, entschied am Donnerstag nach einem Treffen mit
Verwandten von Entführten die offiziellen Feierlichkeiten zumindest
einzuschränken. Die Parade soll in verkleinerter Form am Dienstag
stattfinden.
Allgegenwärtig ist die Purimgeschichte auch am Samstagabend auf dem Platz
der Geiseln vor dem Tel Aviver Kunstmuseum. Tausende Demonstranten fordern
auf zwei Kundgebungen ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln und
protestieren gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
## Hoffen auf ein Purim-Wunder
Bis Samstag verhandelte eine israelische Delegation in der katarischen
Hauptstadt Doha über Vermittler mit der Hamas. Israel habe laut einem
Bericht des Senders Kanal 12 einen Kompromissvorschlag der
US-amerikanischen Vertreter akzeptiert, der nun von der Hamas gebilligt
werden müsse.
„Wir beten, dass Purim uns die wundersame Wendung bringt, die wir dringend
brauchen“, sagt Tamar Tzohar, die Großmutter des noch immer [3][in Gaza
gefangenen] Omer Neutra auf der Bühne in Tel Aviv. Nadav Rudaeff, der Sohn
des noch immer in Gaza gefangen gehaltenen Lior Rudaeff fügt hinzu: „Wir
haben seit dem 7. Oktober nichts von unserem Vater gehört, wir brauchen
eine Einigung.“
Auch wenn sich die Angaben des von der Hamas geführten
Gesundheitsministeriums im Gazastreifen nicht unabhängig prüfen lassen: Die
Zehntausenden getöteten und verwundeten Menschen in Gaza geben in diesem
Jahr auch dem düsteren neuten Kapitel der Purim-Geschichte Aktualität. Der
biblischen Geschichte zufolge schließt sich an die Rettung vor der
Vernichtung ein Gegenschlag an, bei dem die geretteten Juden gegen ihre
Gegner vorgehen und Zehntausende töten.
Auch wenn die Ereignisse historisch nicht belegt sind und in der
folkloristischen Erzählung von Purim und besonders für Kinder das letzte
Kapitel gerne ausgelassen wird, spricht sich Yehuda Kurtzer, der Leiter des
jüdischen Forschungszentrums Schalom Hartman Institut im Gespräch mit dem
US-Sender NPR dafür aus, es zu lesen und über die Konsequenzen
nachzudenken.
## Was bedeutet es, Macht zur Verfügung zu haben?
Ihm zufolge würden sich viele in Israel derzeit im ersten Teil der
Geschichte als verletzlich und angegriffen fühlen. „Die Macht, die ihnen
zur Verfügung steht, ist demnach eine, mit der sie sich selbst
verteidigen“, sagt Kurtzer.
Das neunte Kapitel aber zeige auch, was es bedeute, tatsächlich [4][Macht
zur Verfügung zu haben]. Ihm zufolge diene das Gebot von Purim, sich zu
betrinken bis gut und böse nicht mehr zu erkennen seien, nicht nur der
Fröhlichkeit des Festes. „Es zeigt auch, dass die Grenze zwischen beidem
oft nicht so klar ist, wie man es sich wünscht.“
24 Mar 2024
## LINKS
[1] /Vereinigte-Staaten-im-UN-Sicherheitsrat/!5999635
[2] https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/EST.1/Ester-1
[3] /Sexualisierte-Gewalt-der-Hamas/!5994549
[4] /Finanzierung-der-UNRWA-nach-Vorwuerfen/!5996443
## AUTOREN
Felix Wellisch
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