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# taz.de -- Karneval de Purim im Club Renate: Doch wieder tanzen
> Die Berliner Party Karneval de Purim wurde schon im Vorfeld von
> antisemitischen Verfehlungen überschattet. Am Samstag fand sie im Club
> Renate statt.
Bild: Und dann wird die Maske abgelegt: junge Frau während einer Purim-Feier i…
„Dreh die Karte um“ – mit dieser Aufforderung verschwand eine Person im
Getümmel des Berliner Hauptbahnhofs. Als ich mich dort mit zwei Freundinnen
am Freitagabend in einem Café traf, legte mir ein Fremder eine Karte in die
Hand. Wir schauten uns verblüfft an und folgten dann der Anweisung. „Purim
Sameach“, also in etwa „Frohes Purim“, stand auf ihr drauf.
Diese kleine Aufmerksamkeit stimmte mich auf den anstehenden jüdischen
Feiertag Purim ein. Samstagabend stand nämlich das Fest an, welches ich
beim „Karneval de Purim“ im Club Renate in Berlin zelebrieren wollte.
[1][Purim ist ein Fest der Resilienz]. Die Purim-Geschichte handelt davon,
dass das jüdische Volk vernichtet werden sollte und es schlussendlich
gelang, dies zu verhindern. Die Geschichte fand im persischen Exil vor
ungefähr 2.500 Jahren statt. Sie handelt davon, dass Haman, der Minister
des Königs Achaschwerosch, einen Massenmord an Jüdinnen und Juden plante.
Als Esther, die Frau des Königs, die ihre jüdische Identität ihrem Mann
verschwiegen hatte, und ihr Onkel Mordechai davon mitbekommen, konnten sie
den geplanten Genozid verhindern.
Indem Esther ihrem Mann ihre Identität preisgab und den Plan dem König
schilderte, ließ der König ihn daraufhin am Haman umsetzen. Und so
überlebte das jüdische Volk. Purim ist also ein Fest des Mutes, des Lebens
und der Hoffnung – es gibt genug Gründe, um zu feiern.
Und so verkleidet man sich an einem der beliebtesten jüdischen Feiertage,
es wird getanzt und über den Durst getrunken. Es ist ein Brauch, so viel zu
trinken, dass nicht mehr zwischen dem bösen Haman und dem guten Mordechai
unterschieden werden kann.
So auch die Idee beim Karneval de Purim. Doch diese Purim-Feier ist keine
wie die Jahre zuvor. Es ist nicht einmal ein halbes Jahr her, am 7. Oktober
2023, dass ein Massenmord an Jüdinnen*Juden nicht verhindert werden
konnte. Dieses Mal geplant von der Hamas und nicht von Haman.
1.200 Menschen sind dabei brutal ermordet worden, 364 auf dem
Supernova-Festival. Mehr als 100 Menschen sind immer noch in Gaza als
Geiseln gefangen, wenn sie denn noch leben. Seit dem 7. Oktober ist auch in
Deutschland nichts mehr wie davor: Antisemitismus wird instrumentalisiert
oder praktiziert.
[2][Die Partyreihe „Karneval de Purim“ wurde ebenfalls unfreiwillig in
einen Antisemitismusskandal verwickelt]. Als der Club Zenner als mögliche
Location für die Purim-Party im Dezember angefragt wurde, antwortete ein
Produktionsmanager des Zenner in einer knappen Mail auf Englisch: „Es ist
im Moment weder vernünftig noch klug, eine jüdische Karnevalsparty zu
veranstalten.“
Eine kollektive Strafe für Jüdinnen*Juden für das, was in Israel
passiert – ein Antisemitismusklassiker. Nach einem öffentlichen Statement
des Zenner mit Entschuldigung, Einsicht, dass die E-Mail tatsächlich als
antisemitisch zu bewerten ist, und Versprechen eines internen
Aufarbeitungsprozesses zur Sensibilisierung des Teams wurde die
Entschuldigung durch den Purim-Veranstalter angenommen. Der erste Workshop
zur Diversity-Weiterbildung wurde bereits beim Zenner umgesetzt.
Der Club Renate ist die neue Party-Location für die Purimfeier. Als ich
eine jüdische Freundin fragte, ob sie Lust hätte, zu der Purim-Party
mitzukommen, äußerte sie ihre Bedenken. Sie fürchtete, dass sie ein
Sicherheitsrisiko eingehe, und entschied sich, dieses Jahr zu passen.
Das Besondere am Karneval de Purim ist, dass die Party eine inklusive
jüdische Party ist, die zur Sichtbarkeit, aber auch Normalität des
jüdischen Lebens in Deutschland beitragen möchte, indem nicht
ausschließlich jüdische Menschen eingeladen sind. Die Besonderheit
manifestiert sich dieses Jahr jedoch auch durch ein erhöhtes
Sicherheitsaufkommen und dem Kontext, indem die Party stattfindet.
Dazu schreiben die Veranstalter zwei Tage vor den Festlichkeiten auf ihren
sozialen Netzwerken: „Wir leben in angespannten Zeiten, (…). Techno-Clubs
sind unsere süße Flucht aus dieser traurigen Realität. Hier sind alle
gleich und Identitäten spielen keine Rolle. Wir möchten insbesondere beim
Karneval de Purim einen Safe Space für alle Personen jeglichen Backgrounds
schaffen und heißen unsere arabischen Freunde willkommen, weiterhin ein
Teil davon zu sein, so wie in den vergangenen zehn Jahren (…).“
Ich entscheide mich, mit zwei nichtjüdischen und zwei jüdischen
Freund:innen zur Purim-Party zu gehen. Ein Motto vieler Überlebender des
Massakers auf dem Supernova-Festival lautet „We will dance again“, daher
denke ich während des Tanzens an die vielen Opfer seit dem 7. Oktober.
Auch zehntausende Menschen im Gazastreifen, die durch Gegenschläge des
israelischen Militärs gestorben sind. Tanzen, während Kinder in Gaza
verhungern und Geiseln gefangen sind, fühlt sich nicht richtig an. Tanzen
ist gleichzeitig meine Art, mit Emotionen umzugehen.
Auf dem Nachhauseweg gegen 5 Uhr morgens höre ich einen Schwarm von Tauben
gurren. Ich bilde mir ein, nein wünsche mir, dass es Friedenstauben sind.
25 Mar 2024
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## AUTOREN
Maria Disman
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