| # taz.de -- Krise im Gesundheitswesen: Kinderkliniken werden zu Notfällen | |
| > In Berlins Kinderkliniken sind aus Mangel an Pfleger*innen Betten | |
| > gesperrt. Sie können Kinder teils nicht aufnehmen – selbst wenn das nötig | |
| > wäre. | |
| Bild: Auch wer röchelt und hustet, muss wieder nach Hause | |
| BERLIN taz | Stellen Sie sich vor, Ihr Kind ist krank, Sie bringen es ins | |
| Krankenhaus und die Ärzt*innen würden das Kind gern stationär aufnehmen, | |
| um zu sehen, was ihm fehlt – aber es gibt keinen Platz. Sie und das Kind | |
| werden nach Hause geschickt. Das könnte Ihnen in Berlin passieren: Viele | |
| Betten in Kinderkliniken sind gesperrt, weil nicht genug Pflegepersonal da | |
| ist. | |
| Die Krankenhäuser können Kinder daher teils nicht aufnehmen: „Wir müssen | |
| Kinder nach Hause schicken, die wir zur Beobachtung eigentlich gern über | |
| Nacht dabehalten würden“, sagt Beatrix Schmidt, Chefärztin der Kinder- und | |
| Jugendmedizin am St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof und Delegierte des | |
| Verbands leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen | |
| Deutschlands. Kinder würden aus Platzmangel in andere Kliniken verlegt, oft | |
| am anderen Ende der Stadt oder in Brandenburg: „Unsere Ärztinnen | |
| telefonieren sich die Hände wund. Kürzlich war eine Assistenzärztin zwei | |
| Stunden am Telefon, um einen Platz für ein Kind zu kriegen.“ | |
| Die Kinder- und Jugendärzt*innen warnen in einem Brief davor, dass die | |
| medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Berlin dadurch | |
| gefährdet sei. „Das ist eine Katastrophe“, sagt der Kinderarzt und Sprecher | |
| der Berufsverbands Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske. Mancherorts sei | |
| die Hälfte der normalen Betten gesperrt. Bei einer Verlegung in ein anderes | |
| Krankenhaus muss außerdem der Transport organisiert werden. Und das ist gar | |
| nicht so einfach. Die Berliner Feuerwehr stößt wortwörtlich an ihre | |
| Grenzen: Denn nach Brandenburg transportiert sie nicht. Da brauche man | |
| einen externen Anbieter, es müsse ein Arzt oder eine Ärztin mitfahren, | |
| kurz: „Allein mit der Organisation des Transports geht sehr viel Zeit | |
| drauf“, sagt Maske. | |
| Das Problem zeige sich jetzt so dringlich, „weil der Sommer zu Ende geht“, | |
| sagt Chefärztin Schmidt: „Jetzt zum Winter, wo wieder mehr Kinder krank | |
| werden, fällt das auf.“ Infektionskrankheiten aller Art, vor allem | |
| Atemwegsinfekte, seien im Winter häufiger. Gerade im Vergleich zum letzten | |
| Jahr, als sie wegen Lockdown, Homeschooling und Masken deutlich weniger | |
| Patient*innen im Krankenhaus gehabt hätte. | |
| ## Brandenburger Kliniken helfen aus | |
| In Brandenburg spürt man die Situation in Berlin bereits seit Jahren: „Wir | |
| können bestätigen, dass wir regelmäßig Kinder aus Berlin und dem Berliner | |
| Umland aufnehmen“, sagt Dr. Hans Kössel, Chefarzt an der Klinik für Kinder- | |
| und Jugendmedizin am Klinikum Westbrandenburg in Brandenburg an der Havel. | |
| Es handele sich um zehn bis 15 Fälle pro Jahr, werde jedoch von Jahr zu | |
| Jahr mehr. „Das ist ein Strukturproblem. Es gibt zu wenig Kinderbetten für | |
| die Wintersaison“, sagt Kössel. | |
| Die Ursachen dafür brauen sich schon lange zusammen: Da sei seit Jahren der | |
| Abbau an Stellen in der Pflege, sagt Schmidt. Neue Pfleger*innen kämen | |
| wiederum nicht genug nach: „Menschen, die Kinderkrankenpfleger werden, | |
| wollen vor allem was mit Kindern machen und nicht speziell Pflege.“ | |
| Angesichts der Arbeitsbedingungen in der Pflege wanderten sie oft in andere | |
| Berufe ab, die sie mit ihrer Ausbildung machen können. | |
| Eine Lösung für den Mangel an Pflegepersonal sollen die gesetzlich | |
| festgelegten Pflegepersonaluntergrenzen sein. Die bestimmen ein Maximum an | |
| Patient*innen, die ein*e Pfleger*in betreuen darf. Ist diese Quote | |
| nicht zu erfüllen, wird das Bett gesperrt. 2019 wurden sie eingeführt, seit | |
| diesem Jahr dürfen in der Pädiatrie sechs Kinder auf eine Pflegekraft | |
| kommen. Vorher hätte sich ein*e Pfleger*in oft um bis zu 14 Kinder | |
| kümmern müssen. „Ich finde es gut, wenn man festlegt, wie eine adäquate | |
| Versorgung aussehen könnte“, so Schmidt. Aber das Personal dafür sei nicht | |
| da. | |
| ## Auch langfristig fehlen Kinderpfleger*innen | |
| „In einer Zeit mit so furchtbarem Pflegenotstand zu verlangen, Pfleger | |
| einzustellen, die es nicht gibt, ist wie eine Katze, die sich in den | |
| Schwanz beißt.“ Schmidt hält einen Schlüssel von sieben oder acht Kindern | |
| pro Pflegekraft für machbar. Eine Einschätzung, die Birgit Pätzmann-Sietas | |
| vom Berufsverband Kinderkrankenpflege nicht teilt: „Eine Aufweichung von | |
| Personaluntergrenzen ist nicht sinnhaft. Es wird einfach nicht genug | |
| ausgebildet.“ | |
| Gerade in Berlin könne man die Spezialisierung auf Pädiatrie in der | |
| Pflegeausbildung nur in wenigen Kliniken machen. Die langfristige Lösung: | |
| mehr Pflegepersonal. Das Geld dafür sei in ihrem Krankenhaus da, doch man | |
| finde einfach niemanden, um sie zu besetzen, sagt Schmidt: „Sie arbeiten im | |
| Schichtdienst, verdienen nicht viel, kriegen Unmengen von Patienten“, | |
| erklärt sich das Schmidt. Für sie ist klar: „Der Beruf muss attraktiver | |
| gemacht werden.“ | |
| In zwei Jahren könnte sich das Nachwuchsproblem verschärfen. Dann sind die | |
| ersten Jahrgänge seit der Reform der Pfleger*innenausbildung 2020 | |
| fertig. Statt drei verschiedener Ausbildungen zu Gesundheits- und | |
| Krankenpfleger*in, Altenpfleger*in und Gesundheits- und | |
| Kinderkrankenpfleger*in gibt es seit der Reform nur noch eine | |
| Ausbildung mit der Option, sich am Ende zu spezialisieren. Schmidt und | |
| Maske befürchten, dass sich dann weniger Menschen auf die | |
| Kinderkrankenpflege spezialisieren. | |
| 4 Oct 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Plett | |
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