# taz.de -- Krieg und Kulturgüter in der Ukraine: All die nie geschriebenen Te… | |
> Der russische Krieg gegen die Ukraine verschont auch die Kulturgüter | |
> nicht. Um die Bewahrung des kulturellen Erbes ging es in einer | |
> Podiumsdiskussion. | |
Bild: Eine Staue in der ukrainischen Stadt Saporischschja im März 2022 | |
Wenn täglich Menschen in einem Krieg sterben, scheint der Schutz von | |
Objekten und Kulturgütern zweitrangig. Wenn eine Seite diesen Krieg jedoch | |
dadurch legitimiert, der anderen Seite das Recht zu existieren | |
abzusprechen, ihre Geschichte zu negieren, dann ist die Bewahrung | |
ebendieser Kulturgüter besonders wichtig. In Berlin stand das ukrainische | |
Kulturerbe daher am Freitagabend im Fokus einer Podiumsdiskussion, die im | |
Rahmen [1][der vom Goethe-Institut gestarteten Reihe „Goethe im Exil“] im | |
Kunsthaus Acud stattfand. | |
Gleich zu Beginn des Krieges wurde viel zum Schutz von Kunstwerken getan, | |
Gemälde und Skulpturen wurden sicher verwahrt oder außer Landes gebracht, | |
sagt Hanna Rudyk, stellvertretende Direktorin des Chanenko-Museums in | |
Kyjiw, das erst vor wenigen Wochen durch einen Raketenangriff Schaden nahm. | |
Dass die russische Staatsführung [2][mit Absicht auf kulturelle Ziele | |
schießen lässt,] weiß auch Ksenia Paltsun. Sie erzählt von Bauwerken auf | |
der Krim, die die Geschichte der Krimtataren architektonisch bezeugen. | |
Welche Gebäude schützenswert sind, entscheide seit Jahren die russische | |
Besatzungsmacht vor Ort, der wenig an der Bewahrung des Kulturerbes des | |
turkstämmigen Volks liege. | |
Paltsun ist Mitbegründerin der NGO „Mapa Renivstsii“, die historische Daten | |
zu Gebäuden sammelt. Ursprünglich 2019 aus Neugier um die Geschichte der | |
vielen leerstehenden Häuser in Kyjiw als Freiwilligenprojekt gegründet, | |
fertigen die NGO-Mitarbeitenden heute 3-D-Scans jener Bauten an, die beim | |
nächsten Bombenangriff schon in Trümmern liegen könnten. | |
## Eine Form des Widerstands | |
Auch Daria Prydybailo setzt ihre Arbeit fort. Ausstellungen in Kriegszeiten | |
zu eröffnen sei eine Form des Widerstands, so die Geschäftsführerin der NGO | |
„Art Matters Ukraine“, die sich für die Sichtbarkeit ukrainischer Kunst | |
einsetzt. Diese sei nämlich lange ein blinder Fleck gewesen, Prydbailo gibt | |
ein Beispiel aus Dresden. | |
Im dortigen Archiv der Avantgarden etwa würden Künstler wie Kasimir | |
Malewitsch unter „russische Avantgarde“ geführt. Der in Kyjiw im damaligen | |
russischen Zarenreich geborene Malewitsch, der vor allem für sein | |
„Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ bekannt ist, hat sich selbst als | |
Ukrainer bezeichnet. | |
Der Krieg hat für die Sichtbarkeit der Ukraine gewaltsam gesorgt. Dass | |
Ukrainerinnen in Berlin auf einem Podium ohne Russinnen sprechen sei bisher | |
kaum vorgekommen, sagt Eva Yakubowski, Vorstandsmitglied von Vitsche, einem | |
Verein junger Ukrainer:innen in Deutschland. Yakubowski, die vor Wörtern | |
wie Genozid und Konzentrationslagern nicht zurückschreckt, um die aktuelle | |
Situation zu beschreiben, wirkt angriffslustig. | |
Während die Ukraine in diesem Jahr zu Einigkeit gefunden habe, sei Russland | |
nur vereint im Hass, meint sie, unversehens all jene russischen | |
Staatsbürger:innen übergehend, die trotz Repressalien protestieren oder | |
zu zehntausenden das Land verlassen; meist ohne Chance auf Asyl in der EU, | |
[3][die russischen Kriegsdienstverweigerern nicht dieselben Rechte | |
einräumt wie etwa Oppositionellen.] | |
## Nach Russland gebracht | |
Trotz Schutzmaßnahmen wird auch in diesem Krieg Kulturgut zerstört werden. | |
Wie viele Kunstwerke zudem aus den besetzten Gebieten bereits nach Russland | |
gebracht worden sind, ist kaum nachzuvollziehen. Hanna Rudyk will daran | |
glauben, dass ein Sieg der Ukraine die verlorenen Werke zurück ins Land | |
bringen würde. | |
Tragischer als den Verlust von Kulturgütern findet sie ohnehin die durch | |
den Krieg in ihrer Entstehung verhinderten Arbeiten; all die nicht | |
geschriebenen Romane, nicht komponierten Musikstücke und die niemals | |
aufgeführten Theaterstücke. | |
27 Nov 2022 | |
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[1] /Festival-Goethe-Institut-im-Exil/!5883774 | |
[2] /Ukrainische-Stadt-als-Kriegsziel/!5864879 | |
[3] /Streit-ueber-russische-Deserteure/!5890226 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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