# taz.de -- Politische Bedeutung von Archiven: Den Kugeln ausgeliefert | |
> Bei einer Diskussion in Hamburg sprachen sudanesische Künstler:innen | |
> und Archivar:innen. Sie versuchen das Kulturerbe des Landes zu | |
> bewahren. | |
Bild: Das Kurzfilmfestival Hamburg widmet künstlerischen Dokumentationen der s… | |
Gewöhnlich betrachten wir Archive als Einrichtungen, die Vergangenes | |
verwalten, sehen verstaubte Ordner vor dem inneren Auge. Wie gegenwärtig | |
und hochpolitisch Archive indessen sein können, zeigt sich derzeit im | |
Sudan. Dort ist die Bewahrung der jüngsten Vergangenheit ein Gegenentwurf | |
zu [1][den Verheerungen des Bürgerkriegs]. | |
Insbesondere die Kreativen des Landes, Künstler:innen, Architekt:innen, | |
Filmemacher:innen halten die Aufbruchstimmung der Demokratiebewegung | |
fest und schreiben so an der Geschichte des Landes mit. | |
Dreißig Jahre lang herrschte Präsident Omar al-Baschir im Sudan. Als im | |
Frühjahr 2019 das sudanesische Militär den Diktator stürzt und umsetzt, was | |
zuvor Hunderttausende protestierende Sudaner:innen gefordert hatten, | |
fällt ein Funke Hoffnung auf das Land. Vier Jahre später, im April 2023, | |
ist der demokratische Funke erloschen, bekämpfen sich die sudanesische | |
Armee (SAF) und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und | |
zwingen mehr als acht Millionen Menschen zur Flucht. | |
Mohamed Munaf hat sich vorgenommen, die Zeugnisse der Proteste von 2019 für | |
kommende Generationen zu bewahren, berichtet er am Samstag, per Video | |
zugeschaltet, bei einer Diskussionsrunde [2][zur Lage im Sudan] im Rahmen | |
des Kurzfilmfestivals Hamburg. | |
Als Manager des vom Goethe-Institut Sudan initiierten Archivierungsprojekts | |
„Sikka“ und Teil eines zehnköpfigen Kollektivs trägt er private Fotos der | |
Straßenproteste in der Hauptstadt Khartum zusammen, führt Interviews mit | |
Beteiligten oder veröffentlicht Protestgedichte [3][im Online-Archiv von | |
Sikka.] | |
Viel Überzeugungsarbeit nötig | |
Sich politisch zu äußern sei schon zu Zeiten al-Baschirs eine | |
Herausforderung gewesen, heute sei es riskanter denn je, sagt Munaf. So | |
habe das Sikka-Team erst nach langer Überzeugungsarbeit sudanesische | |
Künstler:innen dafür gewinnen können, von ihren Erfahrungen während der | |
Proteste zu berichten. | |
Umso tragischer ist es, dass im Chaos [4][des Bürgerkriegs] die Hälfte des | |
gesammelten Materials verloren ging. Aufgeben will Munaf aber nicht: „Wenn | |
wir diese Arbeit nicht tun, könnten wir unsere Geschichte verlieren.“ | |
Mit „Fragile Spuren: Archive im Konflikt“ widmet die 40. Ausgabe des | |
Kurzfilmfestivals Hamburg den künstlerischen Dokumentationen der | |
sudanesischen Revolution eine eigene Ausstellung. Dort zu sehen ist auch | |
die Videoarbeit „Suddenly TV“ der US-Filmemacherin Roopa Gogineni, in der | |
sie zwei junge Männer durch das Protestgeschehen 2019 begleitet. Mit einer | |
Pappkartonkamera inszenieren sie sich als Filmteam, vermitteln den | |
Demonstrierenden so ein Gefühl öffentlicher Aufmerksamkeit, die ihnen | |
international versagt bleibt. | |
An der Diskussionsrunde nimmt auch die Architektin Zainab Gaafar teil. Sie | |
treibt die Frage um, wie sich das kulturelle Erbe Sudans außerhalb musealer | |
Einrichtungen erhalten lässt. Alltagspraktiken, Kleidung oder Musik | |
erzählten im Zweifel mehr über die Zeit vor dem Krieg als schriftliche | |
Dokumente. | |
Ungeschützte Sammlungen | |
Nur: Wie lässt sich so ein immaterielles Archiv realisieren? Im Sudan ist | |
diese Frage auch deshalb virulent, weil auf Institutionen nicht mehr zu | |
zählen ist. Wo mittlerweile die Hälfte der Bewohner:innen Khartums | |
geflohen ist, bleiben bedeutende kulturhistorische Sammlungen, wie sie etwa | |
das Nationalmuseum beherbergt, ungeschützt zurück. | |
Die Hauptstadt des Sudans ist heute eine andere. Die mittlerweile in | |
Hamburg lebende Fotografin und Filmemacherin Eythar Gubara sah die Stadt | |
zuletzt zwei Wochen vor Ausbruch des Krieges. Sie sei froh, dass sie die | |
Schönheit ihrer Geburtsstadt in Erinnerung bewahre, sagt sie. So trage | |
jede:r ein Archiv persönlicher Geschichten mit sich. Und vielleicht lasse | |
sich einmal aus der Vielfalt der einzelnen Stimmen ein Bild des Sudans vor | |
dem Krieg zusammensetzen. Diese Geschichtsschreibung der Vielen sei mehr | |
als alles andere Aufgabe von Archiven und Archivar:innen. | |
10 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Lehmann | |
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