# taz.de -- Krieg im Kongo: Vertrieben und schutzlos | |
> Am Rand des Tanganyikasees leben hunderttausende Flüchtlinge im Elend. Es | |
> ist ein humanitäres Drama und nur ein Teil einer verdrängten Katastrophe. | |
Bild: Kinder und Strohhütten ohne Latrinen oder Wasser: Vertriebenenlager Kale… | |
Es ist eine humanitäre Katastrophe mit Ansage, aber niemand sah sie mit | |
dieser Wucht kommen. Im Südosten der Demokratischen Republik Kongo, in der | |
bitterarmen Provinz Tanganyika am Rande des gleichnamigen Sees, sind in den | |
letzten zwölf Monaten über eine halbe Million Menschen durch bewaffnete | |
Angriffe verjagt worden, ein Fünftel der Bevölkerung. | |
Zahlreiche Flüchtlinge in Tanganyika – bis zu 250.000, sagen Hilfswerke – | |
haben sich an den Rand der Provinzhauptstadt Kalemie gerettet. Sie leben in | |
leeren Gebäuden, auf verlassenem Brachland, im Busch hinter den Slums, oft | |
ohne sauberes Wasser, ohne Latrinen, ohne Gesundheitsversorgung, viele | |
Kinder sind schwer unterernährt. | |
Dabei könnte die Gegend eine der reichsten des Kongo sein. Das Land ist | |
fruchtbar, der Tanganyikasee ist einer der artenreichsten der Welt, unter | |
der Erde lagern erhebliche Vorkommen begehrter Mineralien wie Coltan, Zinn | |
und Gold. „Konfliktfreies“ Coltan für ethisch unbedenkliche Handys wurde | |
zuerst in den Minen von Tanganyika zertifiziert. Ein schlechter Witz, | |
angesichts der Zustände heute. | |
Die Hauptkontrahenten in Tanganyika sortieren sich entlang ethnischer | |
Linien. Auf der einen Seite die Ureinwohner der Wälder, die Twa-Pygmäen, | |
die seit jeher entrechtet sind. Auf der anderen Seite die Mehrheitsethnie | |
der Luba, die sich hier in Abgrenzung zu den Pygmäen als „Bantu“ bezeichnet | |
– der koloniale Begriff für alle Schwarze in Subsahara-Afrika. | |
## Im Kongo war der kürzeste Weg zur Macht stets der Terror | |
Twa- und Luba-Milizen, mal verbündet und mal verfeindet, gibt es in | |
Tanganyika seit Beginn der Kongokriege 1996. Der damalige Rebellenchef | |
Laurent-Désiré Kabila, der in Windeseile ganz Kongo eroberte, entstammte | |
selbst den Luba von Tanganyika, das damals Nord-Katanga hieß. Sein Sohn | |
Joseph Kabila regiert Kongo bis heute. | |
Kabila-treue Luba-Milizenführer wurden mit Armeeposten belohnt, aber manche | |
unterhielten lieber trotzdem eigene Milizen, bis in die Gegenwart. Im Kongo | |
war es schon immer der kürzeste Weg zur Macht, Bewaffnete anzuheuern und | |
Terror zu verbreiten, um Bevölkerung und Staat zu erpressen. | |
Die Twa-Pygmäen, die ursprünglichen Bewohner der Wälder Zentralafrikas, | |
galten zu Kolonialzeiten als Untermenschen und wurden in Europas Zoos | |
ausgestellt. Auch viele „Bantu“-Afrikaner sehen sie nicht als gleichwertig | |
an, sondern als primitiv. In Kongos Kriegen der vergangenen Jahrzehnte | |
wurden sie von allen Kriegsparteien geschätzt: als Späher in den Wäldern. | |
Aber bis heute haben sie im Kongo keine anerkannten traditionellen Führer | |
und keine Landrechte. | |
Die Geschichte der Erschließung Tanganyikas, wie des gesamten Kongo, ist | |
die der systematischen Landnahme. Die Luba mussten sich den Belgiern fügen, | |
die Twa wiederum den Luba. Wälder wurden zugunsten von Farmen oder | |
Bergwerken gerodet, die Bevölkerungen entrechtet, auch nach der | |
Unabhängigkeit. Ab Mitte der 1990er Jahre verschwand der Staat. | |
Die Wiederherstellung eines autoritären Zentralstaates unter Präsident | |
Joseph Kabila hat die Konflikte in diesem Landesteil neu aufleben lassen. | |
Denn Kabilas Getreue nutzen ihren Status, um ihre private Macht auszubauen, | |
mit selbst geschürter Unsicherheit. Das gilt auch für die Kabila-Familie | |
selbst, der erhebliche wirtschaftliche Interessen in Tanganyika nachgesagt | |
werden. | |
## Ein UN-vermitteltes Friedensabkommen hielt nicht | |
Der neue Krieg zwischen Luba und Twa brach 2013 aus. Zuerst wurden Twa | |
systematisch vertrieben. Sie gründeten Milizen und gingen auf Rachefeldzug. | |
2015 flammte die Gewalt richtig auf, mit Massakern auf beiden Seiten. Ein | |
UN-vermitteltes Friedensabkommen im Februar 2017 hat nicht gehalten. | |
Twa-Milizen mit traditionellen Waffen wie Pfeil und Bogen überfallen | |
Luba-Dörfer, um ihre Familien zu ernähren – die Twa haben kein eigenes | |
Land, viele ernähren sich stattdessen durch Kleinhandel. Luba-Milizen mit | |
Gewehren verjagen die Twa-Händler – sie wissen, dass der Staat ihnen nichts | |
tut. | |
Pygmäenführer sagen, ihre Volksgruppe werde „wie Tiere“ gejagt. Luba-Füh… | |
sagen, Pygmäen würden ihre Felder überfallen. Im Dezember trugen | |
Luba-Kämpfer abgeschnittene Pygmäen-Körperteile als Trophäen durch die | |
Stadt Manono, nachdem Pygmäen Luba-Zivilisten mit Stichwaffen aufgeschlitzt | |
hatten. | |
Nun verlangen die Behörden die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Dörfer, | |
gewähren aber keinerlei Schutz. In der Trockenzeit sind viele der | |
Strohhütten in den Vertriebenensiedlungen rund um Kalemie in Flammen | |
aufgegangen. Es kommt die Regenzeit, die Zeit von Seuchen und Schlamm. | |
1 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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