# taz.de -- Krieg im Kongo: Ein klein wenig Gerechtigkeit | |
> Die Offensive gegen die ruandischen FDLR-Milizen im Osten des Landes | |
> zeigt Erfolge. Zerstört ist die Miliz, wenn fünf Generäle ausgeschaltet | |
> sind. | |
Bild: Lang andauernder Konflikt: Soldaten der Armee in Goma (Archivbild 2013). | |
GOMA taz | Im Innenhof des Militärgerichts in der ostkongolesischen | |
Provinzhauptstadt Goma riecht es nach Urin und Marihuana. Fast hundert | |
Soldaten lungern zwischen kaputten Fahrzeugen herum. Es ist Zahltag. | |
Endlich, nach drei Monaten ohne Sold. Die Stimmung ist aufgebracht. | |
Hauptmann Sumaili Makelele lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. | |
Gelassen sitzt er in seinem Büro vor einem Stapel bunter Aktenordner voller | |
handgeschriebener Dokumente: Zeugenaussagen, Urteile, Klageschriften. Eine | |
davon ist die von Hauptmann Seraphin Lionceau. Der FDLR-Offizier war der | |
kongolesischen Armee vergangene Woche in der Kleinstadt Kitchanga, 90 | |
Kilometer nördlich von Goma, ins Netz gegangen. | |
Seit zwei Wochen nun führt Kongos Armee (FARDC) Militäroperationen gegen | |
die ruandischen Hutu-Rebellen FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung | |
Ruandas) durch, die sich seit 20 Jahren in Kongos Dschungel verstecken, um | |
gegen die Regierung in ihrer Heimat zu kämpfen. Dabei begehen sie immer | |
wieder Verbrechen an Kongos Bevölkerung. | |
Darunter auch die Massenvergewaltigungen in Luvungi und weiteren Dörfern im | |
Gebiet Walikale Ende Juli 2010. Insgesamt 387 Menschen wurden in vier Tagen | |
vergewaltigt, darunter 300 Frauen, 23 Männer, 55 Mädchen und 9 Jungen. Das | |
älteste Opfer war 79 Jahre, das jüngste gerade einmal 2 Jahre alt. Es war | |
eines der größten Menschenrechtsverbrechen der jüngsten Geschichte. Die | |
Ermittlungen zogen sich Jahre hin, aus Sicherheitsgründen. Die Sachlage war | |
komplex: Drei Milizen und Kongos Armee hatten sich nahe Luvungi um eine | |
Goldmine gestritten und waren an Vergewaltigungen beteiligt. | |
Letztlich hatte die Militärstaatsanwaltschaft in Goma acht Haftbefehle | |
ausgestellt, die der taz vorliegen, darunter gegen FDLR-Hauptmann Lionceau. | |
Ab Ende der Woche muss er jetzt vor dem Militärgericht in Goma Rede und | |
Antwort stehen, versichert zumindest Hauptmann Makelele. | |
## Tot und lebendig | |
Der FDLR-Offizier ist der höchstrangige Gefangene. Insgesamt seien 97 | |
FDLR-Soldaten dingfest gemacht worden, tot und lebendig, bestätigt | |
Armeesprecher Leon Richard Kasonga der taz. „Die Operationen verlaufen sehr | |
gut, wir haben die Kapazitäten und die Erfahrung, die FDLR zu zerstören“, | |
sagt er. Dann rasselt er Namen von Dörfern im Dschungel und in den Bergen | |
herunter, die die Armee von FDLR-Kämpfern befreit hat. Auch 60 FDLR-Frauen | |
und Kinder seien „befreit“ und an das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR | |
übergeben worden, um sie nach Ruanda zu bringen. | |
Kongos Armee steht unter enormem Druck. Vergangenen Donnerstag nahm sie | |
zwei FDLR-Basen ein. Beide Quartiere waren jedoch leer, die Kommandanten | |
längst geflohen. Doch die FDLR ist erst zerstört, wenn die fünf wichtigen | |
Generäle ausgeschaltet sind. Allen voran FDLR-Militärchef Sylvestre | |
Mudacumura, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht | |
wird. Hauptmann Lionceau ist dagegen nur ein kleiner Fisch. | |
Doch immerhin. An der Ernsthaftigkeit der Operationen haben bislang alle | |
gezweifelt. Die UN-Mission im Kongo hatte zusammen mit Kongos Armee einen | |
Operationsplan ausbaldowert. Doch der wurde dann von Kongos Präsident | |
Joseph Kabila in die Tonne getreten. Er bestand darauf, dass seine Armee | |
die Federführung übernimmt, nicht die UN-Blauhelme. Die FARDC-Kommandanten | |
an der Spitze der Operationen haben jedoch laut UN-Ermittlungen Dreck am | |
Stecken von vergangenen Operationen. Die UN kann laut ihren eigenen Regeln | |
nicht mit ihnen zusammenarbeiten. | |
Es muss schnell gehen, bevor Kongos marode Armee wieder an sich selbst | |
scheitert und die Kampfhandlungen wegen Nachschubproblemen im Chaos enden. | |
Die Verhaftung von Lionceau ist ein kleiner Erfolg. Denn nach über vier | |
Jahren haben die vergewaltigten Frauen jetzt eine Chance auf Gerechtigkeit. | |
Noch nie wurde die FDLR für die Verbrechen verurteilt, die sie an den | |
Kongolesen verübt hat. Das könnte der erste Fall sein. | |
3 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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