| # taz.de -- Krankenhaus-Reform: Die Verschlimmbesserung | |
| > Lauterbachs Gesetzesentwurf soll die Versorgung effizienter gestalten. | |
| > Doch die Berliner Kinderkliniken könnten zu den Verlierern des Gesetzes | |
| > gehören | |
| Bild: Längst ist das Gesundheitssystem selbst zum Notfallpatient geworden | |
| Berlin taz | [1][Unterfinanzierte Kliniken], überlastete Beschäftigte und | |
| eine Behandlungsqualität, die immer öfter zu wünschen übrig lässt – auch… | |
| Berlin ist das Gesundheitssystem am Limit. Erlösung bringen soll eigentlich | |
| [2][die große Krankenhausreform] von Bundesgesundheitsminister Karl | |
| Lauterbach (SPD). Weniger Ökonomisierung, mehr Spezialisierung, mehr | |
| Qualität – so das Versprechen des | |
| Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG), dessen Entwurf am | |
| Dienstag dem Bundestag übergeben wurde. Doch in Berlin wächst die Sorge, | |
| dass die Reform statt zu helfen die Versorgungssituation noch weiter | |
| verschärfen wird. | |
| „Wir mussten im letzten Winter schon triagieren. Welches Kind braucht in | |
| der Nacht eine Atemversorgung, welches nicht?“, sagt Songül Yürek, | |
| Kinderärztin und Sprecherin der Initiative der Berliner Kinderkliniken, auf | |
| einer Pressekonferenz des KHVVG-kritischen Bündnisses „Krankenhaus statt | |
| Fabrik“. Die Kindernotfallversorgung überschreite jedes Jahr ihre | |
| Belastungsgrenze, sagt Yürek am Dienstag. „Weil wir keine freien Betten | |
| mehr hatten, mussten wir Kinder nach Bernau und Nauen verlegen.“ | |
| Die Krankenhausreform könnte die Situation noch verschlimmern, befürchtet | |
| Yürek. „Wir werden vielleicht nicht geschlossen, aber die Belastung wird | |
| definitiv größer, weil wir die Menschen aus dem Umland mit versorgen | |
| müssen.“ | |
| Der Grundgedanke von Lauterbachs ambitioniertem Reformprojekt ist es | |
| eigentlich, [3][die Gesundheitsversorgung effektiver und qualitativer zu | |
| organisieren]. Im internationalen Vergleich hat Deutschland | |
| überproportional viele Krankenhäuser, ist bei der Versorgungsqualität aber | |
| eher durchschnittlich. Der Grund: Das derzeitige Fallpauschalensystem (DRG) | |
| belohnt aufwendige Spezialbehandlungen. Da Krankenhäuser ökonomisch nicht | |
| darauf verzichten können, bieten selbst kleinere Kliniken Behandlungen an, | |
| für die sie eigentlich nur unzureichend Kompetenz haben, und schaffen | |
| Geräte an, für die sie eigentlich kein Geld haben. | |
| ## Kahlschlag droht | |
| Mit der Einführung der sogenannten Leistungsgruppen will das KHVVG mit | |
| diesen Fehlanreizen aufräumen. In Zukunft sollen nur noch Häuser | |
| spezialisierte Behandlungen, etwa bei Krebs, Schlaganfällen oder | |
| Hüftoperationen durchführen können, die bestimmte Qualitätsmerkmale | |
| erfüllen. Zum Beispiel eine eigene „Stroke Unit“ im Falle von | |
| Schlaganfällen. Durch die Bündelung von Kompetenz und teurem Equipment soll | |
| die Qualität verbessert und Kosten minimiert werden. | |
| Kritiker:innen, wie Verdi-Sekretär Peter Hoffmann, befürchten, dass mit der | |
| Spezialisierung ein Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft einhergeht. | |
| „Insbesondere kleinere Häuser werden Leistungsgruppen verlieren und damit | |
| die nötigen Erlöse nicht mehr erwirtschaften können.“ | |
| Dementsprechend ist die Sorge bei den privaten Trägern groß: „Geht die | |
| Entwicklung im Krankenhaussektor so weiter, droht frei-gemeinnützigen | |
| Kliniken vielerorts das Ende“, sagte Christian Friese von Berlins | |
| DRK-Kliniken in einem Tagesspiegel-Interview Anfang Juni. Das DRK betreibt | |
| in Berlin drei kleinere Häuser in Wedding, Westend und Köpenick. | |
| Ein weiterer Kritikpunkt ist, das mit der Reform die marktorientierte Logik | |
| des bestehenden Fallpauschalensystems nicht gebrochen wird. Für Kliniken | |
| ist es weiterhin ökonomisch am sinnvollsten, möglichst viele lukrative | |
| Spezialbehandlungen durchzuführen. Die Grundversorgung bleibt hingegen auf | |
| der Strecke. Besonders die Kinderkliniken galten bisher als große Verlierer | |
| des DRG-Systems. „Kinder werden akut krank, planbare Operationen gibt es | |
| kaum“, erklärt Kinderärztin Yürek. Demnach seien die Vorhaltekosten im | |
| pädiatrischen Bereich besonders hoch. Um Spitzen wie bei der jährlichen | |
| Erkältungswelle im Winter abzufangen, braucht es im Sommer leere Betten. | |
| Doch durch den Ökonomisierungsdruck seien in den letzten 30 Jahren bereits | |
| ein Drittel der Betten verloren gegangen, obwohl es heute mehr Behandlungen | |
| gebe, sagt Yürek. | |
| Die Kritiker:innen erwarten bei der Umsetzung der Reform einen | |
| Konkurrenzkampf unter den Kliniken um Leistungsgruppen, infolgedessen | |
| weniger profitable Bereiche wie die Kinderversorgung vernachlässigt werden. | |
| Statt weiter auf Marktlogik zu setzen, schlägt Verdi eine volle Übernahme | |
| der Personalkosten vor, unabhängig von den durchgeführten Behandlungen. | |
| „Unsere Forderung ist die Selbstkostendeckung“, sagt Peter Hoffmann. | |
| 25 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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