# taz.de -- Korte zum Niedergang der Linkspartei: „Es geht jetzt um alles ode… | |
> Jan Korte zieht sich als Parlamentarischer Geschäftsführer zurück. Er | |
> warnt vor dem Zerfall der Linkspartei – und geht in Sachen Wagenknecht | |
> eine Wette ein. | |
Bild: Will sich einen proletarischen Cannabis-Club suchen: Jan Korte von der Li… | |
taz: Herr Korte, Sie haben angekündigt, sich aus der Spitze der | |
Linksfraktion zurückzuziehen. Haben Sie die Hoffnung in Ihre Fraktion, in | |
Ihre Partei oder in beide verloren? | |
Jan Korte: Nichts davon. Keineswegs habe ich meine Hoffnung verloren. Es | |
sind vor allem persönliche Gründe, die mich dazu gebracht haben, etwas | |
kürzer treten zu wollen. Ich merke, dass der Akku leer ist. Vor allem ist | |
die Zeit dafür einfach gekommen. | |
Mit gerade mal 46 Jahren? | |
Na ja, ich bin mit 28 Jahren in den Bundestag gekommen, gehöre dem | |
Fraktionsvorstand seit 2009 an und bin seit sechs Jahren erster | |
Parlamentarischer Geschäftsführer, so lange wie keine und keiner aus den | |
anderen Fraktionen. Außerdem ziehe ich mich ja nicht aus der Politik | |
zurück. Selbstverständlich werde ich auch weiter um Die Linke kämpfen. Denn | |
das bin ich der Partei, der ich sehr viel zu verdanken habe, schlicht | |
schuldig. | |
Aber hat Ihr Rückzug nicht doch auch etwas mit dem traurigen Zustand der | |
Linkspartei im Bundestag zu tun? Schon [1][2012 beklagte der damalige | |
Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi], in der Fraktion herrsche Hass. Seitdem | |
hat sich die Situation nicht verbessert, sondern verschlechtert. | |
Dass es Hass in der Linksfraktion gibt, halte ich für Quatsch. Sicher, es | |
gibt Leute, die wünschen sich gegenseitig die Pest an den Hals. Dass es | |
sehr anstrengend ist, äußerst divergierende Strömungen zusammenzuhalten, | |
gebe ich zu. Aber ich halte das immer noch für notwendig. | |
Sie halten es also auch weiterhin für richtig, dass die Linksfraktion von | |
einem rein machtpolitischen Bündnis des Reformerlagers um Dietmar Bartsch, | |
zu dem auch Sie gezählt werden, mit Sahra Wagenknecht und ihrer | |
Anhängerschaft dominiert wird? | |
Zum einen, um mal hier ganz offen zu reden, gibt es kein Reformerlager | |
mehr. Das hat sich zerlegt, wie andere Strömungen auch. Zum anderen gibt es | |
in der Fraktion keine Bündnisse mehr. Stattdessen versuchen viele kleine | |
Interessengrüppchen, ihre Latifundien zu sichern. Ich bleibe trotzdem | |
dabei, dass es wichtig ist, die Fraktion zusammenzuhalten. Wenn die | |
Linksfraktion zerfallen sollte, würde das der Linken schwer schaden. Jeder, | |
der damit leichtfertig spielt, der hat zu wenig Ahnung von Politik. | |
Das Einzige, was noch Konsens in Ihrer Partei zu sein scheint, ist die | |
Feststellung, dass sie sich [2][in einer existenziellen Krise] befindet. | |
Sehen Sie da noch irgendeinen Ausweg? | |
Dass wir in diesem Punkt alle einer Meinung sind, ist doch schon ein | |
Fortschritt. Bei manchen hat es ja etwas gedauert, bis sie das begriffen | |
haben. Wir müssen, bei allen kleinteiligen Auseinandersetzungen, endlich | |
mal im Hinterkopf behalten, dass wir ja aus einem gemeinsamen Grund in | |
diese Partei und in die Fraktion gekommen sind. Weil wir alle, durch die | |
Bank, eine gerechte, bessere Gesellschaft wollen. Weil wir Armut nicht | |
akzeptieren und weil wir die Ausbeuter verabscheuen. Und genau deshalb | |
werden wir auch gebraucht. Tatsächlich geht es jetzt um alles oder nichts. | |
Da darf es keine Illusionen geben. | |
Und wenn die Linkspartei nun zerfällt? | |
Dann könnte es die nächsten 15 bis 20 Jahre keine relevante linke Partei | |
mehr geben in diesem Land. Deswegen irritiert es mich, wie einige da mit | |
dem Feuer spielen. | |
Das scheint aber einen Teil in Ihrer Partei und gerade auch in Ihrer | |
Fraktion wenig zu interessieren. Da wird [3][intensiv über eine | |
konkurrierende Wahlliste zur Europawahl diskutiert]. | |
Das kann ich in keiner Weise nachvollziehen. In dieser Frage bin ich ein | |
totaler Parteidogmatiker: Mit einer Partei, der man alles verdankt, was man | |
ist, sollte man anders umgehen. | |
Trotzdem verkündet Ihre Fraktionskollegin Wagenknecht, dass mit der | |
Linkspartei nichts mehr anzufangen sei und sie sich [4][bis spätestens Ende | |
des Jahres entscheiden] wird, ob sie es wagen will, einen Konkurrenzladen | |
aufzumachen. | |
Mir geht die permanente Beschäftigung mit Sahra Wagenknecht unendlich auf | |
die Nerven. Es gibt offenbar Leute, die wachen mit dem Bild von ihr auf und | |
gehen mit diesem Bild abends wieder ins Bett. Das hat obsessive Züge, | |
sowohl auf der einen Seite bei jenen, die sie für Gott halten, aber auch | |
auf der anderen, die sie für den Teufel hält. | |
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ausgerechnet die prominenteste | |
Linken-Politikerin nicht nur [5][Ihre Partei permanent schlechtredet], | |
sondern eben auch [6][öffentlich die Gründung einer neuen Partei | |
anvisiert]. | |
Ich gehe davon aus, dass sie das nicht tun wird. | |
Dann lassen Sie uns doch eine Wette abschließen: um eine Flasche Champagner | |
oder eine Kiste Bier? | |
Die Kiste Bier natürlich. | |
[7][Auf ihrem Höhepunkt 2009 hatte die Linkspartei mehr als 78.000 | |
Mitglieder] und kam bei der Bundestagswahl auf 11,9 Prozent. Heute sind es | |
nur noch um die 50.000 Mitglieder und nicht einmal mehr 5 Prozent. Wie | |
erklären Sie sich diesen Niedergang? | |
Ich glaube, dass bereits 2009 die ersten Fehler gemacht wurden. Wir konnten | |
Rekordergebnisse bei Arbeitern und Arbeitslosen erzielen, weil wir für sie | |
die Lücke füllten, die die SPD durch ihren neoliberalen Kurs unter Schröder | |
und Müntefering … | |
Stichwort Agenda 2010. | |
… geöffnet hat. Doch dabei waren wir vor allem eine Projektionsfläche. In | |
der Praxis wurden unsere Diskussionen zunehmend abgehoben und ritualisiert. | |
Die Lebensrealität derjenigen, als deren Vertretung wir uns sahen, geriet | |
zunehmend aus dem Blick. Damit verbunden waren wir in der Folgezeit nicht | |
in der Lage, adäquat zu analysieren, wie die Gesellschaft und übrigens auch | |
die Produktionsverhältnisse sich verändert haben. Die Vorstellung davon, | |
was Rolle und Aufgabe der Linken sein sollte, ist heute verschwommen und | |
widersprüchlich. Wir haben ein inhaltliches Problem, wir haben ein | |
strategisches Problem und wir haben ein Funktionsproblem. In der Summe ist | |
das natürlich eine harte Nuss. | |
Woran liegt das? | |
Wir sind damals auf einer Erfolgswelle geschwommen und haben gedacht, wir | |
könnten einfach immer so weitermachen. Dabei haben wir nicht erkannt, wie | |
fragil diese Partei eigentlich ist, die sich ja aus Menschen zusammensetzt, | |
die aus unterschiedlichen linken Traditionen und Vorstellungswelten kommen. | |
Der Glaube, das wird schon so einfach zusammenwachsen, war zu naiv. | |
Mit einem Wahlerfolg nach dem nächsten war es ab dem Jahr 2011 auch vorbei | |
… | |
… dann brachen unsere inneren Widersprüche auf. Auf die Grundsatzfrage, | |
wofür diese Partei eigentlich da ist, haben wir keine gemeinsame Antwort | |
mehr gefunden. Es ist eine alte Krankheit: Je schwächer die Linke ist, umso | |
mehr beharkt sie sich in Grabenkämpfen. Mittlerweile haben unsere | |
Diskussionen einen pathologischen Zustand erreicht. Es gibt bisweilen eine | |
Verkommenheit im Umgang miteinander, die ich nicht für möglich gehalten | |
habe. Ich finde zum Beispiel die öffentlichen Angriffe auf Janine Wissler, | |
Martin Schirdewan und Dietmar Bartsch unterirdisch, genauso, wie ich es | |
daneben finde, Sahra Wagenknecht in die rechte Ecke zu stellen. Da ist | |
einigen jedes Maß verloren gegangen. | |
[8][Bartsch und Gysi haben gerade einen Aufruf veröffentlicht], in dem sie | |
zu Selbstbeherrschung und Selbstdisziplin aufrufen. Meinen Sie, dass | |
Durchhalteparolen reichen? | |
Ich finde nicht, dass da nur Durchhalteparolen drinstehen. Es gibt in dem | |
Aufruf keinen Satz, den ich nicht unterschreiben würde. | |
Na ja, es ist eine Ansammlung von Allgemeinplätzen. | |
Meinetwegen. Aber es ist eine Ansammlung von richtigen Allgemeinplätzen, | |
gegen die ich nichts sagen kann. Die Frage ist: Was machen wir daraus? | |
Was ist Ihre Antwort? | |
Wider allen Abgesängen werden die beiden Kreisstädte in meinem Wahlkreis | |
jetzt von linken Oberbürgermeisterinnen regiert. Im Oktober 2021 hat Silvia | |
Ristow in Bernburg die Stichwahl gewonnen, Mitte März dieses Jahres | |
Christina Buchheim in Köthen, jeweils mit deutlichem Vorsprung. Die Linke | |
kann also gewinnen – wenn es ihr gelingt, die Menschen mit ihren Sorgen und | |
Nöten ernst zu nehmen, sie ganz konkret und nicht von oben herab belehrend | |
anzusprechen. Daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, das würde ich mir | |
wünschen. | |
Und die wären? | |
Wir müssen aufhören, uns selbst ideologisch in die eine oder andere | |
Richtung zu verengen. Die Linke muss wieder für all jene attraktiv werden, | |
die unter den ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland | |
leiden. | |
Nämlich? | |
Für die Malocherin in Bitterfeld, die Angst hat, ihren Arbeitsplatz zu | |
verlieren, für die von Grundsicherung lebende Familie in Bremerhaven, die | |
nicht weiß, wie sie über die Runden kommen soll – und selbstverständlich | |
auch für den Studierenden in Berlin, der sich bei Fridays for Future | |
engagiert oder für die Rettung von Geflüchteten einsetzt. Wie das gelingen | |
kann, demonstriert gerade Jean-Luc Mélenchon in Frankreich, von dem wir | |
viel lernen könnten. Wir dürfen Milieus nicht gegeneinander ausspielen – | |
und schon gar nicht aus der Partei heraus beschimpfen. | |
Um doch noch einmal auf sie zurückzukommen: Sahra Wagenknecht orientiert | |
sich lieber an Vorbildern wie der dänischen Ministerpräsidentin Mette | |
Frederiksen oder dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil | |
aus Österreich, zwei rechten Sozialdemokrat:innen, die eine | |
sozialpaternalistische Politik mit gesellschaftspolitisch rechtsoffenen | |
Positionen verbinden. | |
Darin sehe ich keine Perspektive für eine linke Partei. Wer einen | |
linksliberalen Kurs fährt, der die soziale Frage ignoriert, endet | |
letztendlich irgendwann im Hintern der Herrschenden, davon bin ich auch | |
nicht überzeugt. Warum aber eine Politik für die ganz unten verbunden | |
werden muss mit dem Reflex, den Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte oder | |
gegen den menschengemachten Klimawandel als Lifestylezeugs abzutun, | |
leuchtet mir nicht ein. | |
Russlands Überfall auf die Ukraine [9][hat die Gräben entscheidend | |
vertieft]. Selbstverständliches scheint für Teile Ihrer Partei nicht | |
selbstverständlich zu sein, etwa die Forderung nach dem Rückzug der | |
russischen Truppen. Wie ist das möglich? | |
Es ist völlig unumstritten in der Partei, dass Russland die Ukraine | |
angegriffen hat, also wer Aggressor und wer Opfer ist. Daher kann und will | |
ich mir nicht vorstellen, dass irgendwer bei uns nicht will, dass die | |
russischen Truppen nicht schnell wieder abziehen. Dass dieser fürchterliche | |
Krieg bei uns und in der Friedensbewegung aber zu heftigen Diskussionen | |
führt, ist logisch. | |
Was ist die linke Antwort? | |
Selbstverständlich müssen wir Positionen korrigieren, allerdings ohne zu | |
Renegaten zu werden. Auch wenn ich Russland scharf verurteile, ist das doch | |
kein Grund, plötzlich die Nato toll zu finden. Und wenn ich höre, wie | |
diffamierend bei den Grünen und großen Teilen der SPD jetzt über Brandts | |
Entspannungspolitik gesprochen wird, da kotze ich im Strahl. Auch halte ich | |
es weiter für völlig falsch, die Bundeswehr hochzurüsten. Da bin ich froh, | |
dass es noch eine Partei im Bundestag gibt, die diesen Wahnsinn nicht | |
mitmacht. | |
Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie die gewonnene Zeit nach Ihrem | |
Ausscheiden aus der Fraktionsspitze nutzen wollen? | |
Aber ja! Zum einen freue ich mich darauf, dass ich bald mehr Zeit habe, um | |
angeln zu gehen. Und außerdem will ich mir einen proletarischen | |
Cannabis-Club suchen. | |
23 Apr 2023 | |
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