# taz.de -- Klimaklage gescheitert: Greenpeace verliert in Norwegen | |
> Der oberste Gerichtshof in Oslo sieht in neuen Öl- und Gaslizenzen in der | |
> Barentssee keinen Verfassungsverstoß. Es ist eine Niederlage für | |
> Umweltschützer. | |
Bild: Greenpeace-AktivistInnen vor der Ölbohrinsel „Equinor“ in der Nähe … | |
STOCKHOLM taz | Der norwegische Staat hat nicht gegen die Verfassung | |
verstoßen, als er im Juni 2016 Lizenzen zur Ölprospektion und -förderung in | |
der arktischen Barentssee ausschrieb und diese dreizehn Ölkonzernen | |
erteilte. Das entschied das „Høyesterett“ in Oslo, der oberste Gerichtshof | |
des Landes in einem [1][am Dienstag verkündeten Urteil]. Formal ist die | |
Entscheidung eine Niederlage für die vier Umweltschutzorganisationen, die | |
diese [2][„Klimaklage“ vor vier Jahren] erhoben hatten. Sie können sich | |
allerdings damit trösten, dass eine Minderheit des Gerichts ihnen recht | |
geben wollte. | |
Zentral für die Entscheidung des Gerichts war eine restriktive Auslegung | |
des „Umweltartikels“ der norwegischen Verfassung durch das Høyesterett, das | |
in Norwegen auch die Rolle eines Verfassungsgerichts hat. Dieser Artikel | |
112 garantiert „jedermann“ das Recht zu einer Umwelt, „die der Gesundheit | |
und einer natürlichen Umgebung förderlich“ ist. | |
Der Staat wird ausdrücklich zu einem solchen Umgang mit natürlichen | |
Ressourcen verpflichtet, „die dieses Recht auch für zukünftige Generationen | |
sichern werden“. Zwar lassen sich nach Meinung des Gerichts aus dieser | |
Vorschrift durchaus materielle Rechte herleiten und dieser Artikel | |
beschränke staatliches Handeln. Allerdings sei er lediglich eine Art | |
„Sicherheitsventil“, das nur dann relevant werde, wenn Parlament oder | |
Regierung die sich „daraus ergebenden Verpflichtungen gröblich verletzten“. | |
Dies sei hier „eindeutig“ nicht der Fall. | |
[3][Greenpeace], „Natur og Ungdom“ („Jugend und Umwelt“), die | |
„Besteforeldrenes klimaaksjon“ („Klimaaktion der Großeltern“) und der | |
Naturschutzverband („Naturvernforbundet“) hatten der Regierung in Oslo | |
einen solchen Verfassungsverstoß vorgeworfen, weil angesichts der | |
Klimakrise die Erteilung von Lizenzen für Öl- und Gasfelder mit dem Schutz | |
künftiger Generationen unvereinbar sei: Schon die Ausbeutung der global | |
bereits erschlossenen Lagerstätten für Kohle, Öl und Gas mache die | |
Einhaltung des 2-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens illusorisch. Jede | |
zusätzliche Öl- und Gassuche verbiete sich daher. | |
## Momentan weder Öl noch Gas gefunden | |
Eine derartige Beschränkung des politischen Handlungsspielraums lässt sich | |
aber nach Meinung des Gerichts aus dem Umweltartikel nicht herleiten. Zum | |
einen stelle sich die Frage nach einem zusätzlichen CO2-Ausstoß allenfalls, | |
wenn tatsächlich Öl- und Gaslagerstätten gefunden worden seien und ganz | |
konkret eine mögliche Förderung anstehe. Das sei momentan noch nicht der | |
Fall. | |
Zum anderen hält eine Mehrheit des Gerichts den Artikel 112 nicht für | |
einschlägig, soweit es um den CO2-Ausstoß des von Norwegen exportierten Öls | |
geht. Wie schon die Vorinstanz meint auch das Høyesterett, dass jedes Land | |
nur für den Klimagasausstoß seines eigenen Territoriums verantwortlich sei. | |
Die allein durch die bloße Ölförderung in Norwegen selbst freigesetzten | |
Klimagase würden aber nicht die von den Klägerinnen befürchteten | |
Auswirkungen haben. | |
Damit wies das Gericht auch eine mögliche Parallele zum niederländischen | |
[4][Urgenda-Urteil] zurück, auf das sich die klägerischen NGOs zusätzlich | |
gestützt hatten: Dort sei es um Emissionsziele gegangen und nicht um die | |
Frage, inwieweit ein konkreter staatlicher Beschluss illegal sei. Was | |
diesen norwegischen Beschluss, nämlich die Lizenzerteilung im Jahre 2016 | |
angehe, könne Oslo weder ein Verstoß gegen die Verfassung noch gegen die | |
Europäische Menschenrechtskonvention vorgeworfen werden. | |
## 4 von 15 RichterInnen sehen Konsequenzen für Ölpolitik | |
Eine Minderheit von 4 der 15 RichterInnen sieht das allerdings anders: | |
Regierung und Parlament hätten sowohl die nationalen wie die globalen | |
Konsequenzen der norwegischen Ölpolitik berücksichtigen müssen. Das sei | |
nicht geschehen, weshalb die seinerzeitige Lizenzerteilung ungültig sei. | |
Als „provozierend“ bezeichneten die Kläger das Urteil. Es zeige „keinerl… | |
Verständnis für den Ernst der Klimakrise“. Für die Mehrheit des Gerichts | |
habe die Loyalität zur Ölpolitik der Regierung offenbar schwerer gewogen | |
als das Recht künftiger Generationen, kritisierte Silje Ask Lundberg, | |
Vorsitzende des Naturschutzverbands. | |
Mit seiner restriktiven Auslegung habe das Høyesterett dem Umweltartikel | |
alle Zähne gezogen, kommentierte der Juraprofessor Hans Fredrik | |
Marthinussen: „Der Artikel 112 ist tot. Das Gericht ist noch konservativer, | |
als ich gedacht hatte.“ Sowohl Greenpeace wie auch die „Klimaaktion der | |
Großeltern“ kündigten an, über eine Klage beim Europäischen | |
Menschenrechtsgerichtshof nachzudenken. | |
22 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.domstol.no/globalassets/upload/hret/avgjorelser/2020/desember-2… | |
[2] /Klimaprozess-in-Oslo/!5722309 | |
[3] https://www.greenpeace.org/norway/ | |
[4] /Klage-gegen-Energiekonzern/!5728833 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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