| # taz.de -- Russisches Strahlenschiff verschrottet: Tschernobyl des Polarmeers … | |
| > Ein mit Brennelementen vollgestopfter Frachter war lange ein radioaktiver | |
| > Hotspot am Barentsmeer. Nun wurde die „Lepse“ im Zwischenlager | |
| > verschrottet. | |
| Bild: Jetzt verschrottet: die Lepse (rechts) | |
| Stockholm taz | „Schön, dass die Geschichte so endet“, freut sich Oscar | |
| Njaa von der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona: „Der hohe | |
| Norden ist nun ein sicherer Platz geworden.“ Nach fast drei Jahrzehnten ist | |
| die Sanierung einer der gefährlichsten radioaktiven Hinterlassenschaften | |
| der Sowjetunion endlich abgeschlossenen worden. Von der 85 Jahre alten | |
| „Lepse“, die in Medien den Beinamen „schwimmendes Tschernobyl“ erhalten | |
| hatte, ist nur noch strahlender Schrott übrig. | |
| Bellona war 1993 auf das rostige Schiff aufmerksam gemacht worden, das nur | |
| wenige Kilometer vom Zentrum der nordrussischen Halbmillionenstadt Murmansk | |
| am Kai lag, vollgestopft mit Atommüll. 1936 war der Frachter „Lepse“ vom | |
| Stapel gelaufen, während des Zweiten Weltkriegs gesunken und wieder gehoben | |
| worden. | |
| Seit 1962 hatte er erst als Versorgungsschiff für die „Lenin“, den ersten | |
| sowjetischen Atom-Eisbrecher gedient. Seit Ende der 1980er Jahre fungierte | |
| die „Lepse“ als schwimmendes Atommülllager für abgebrannte Brennelemente | |
| sowjetischer Atom-Eisbrecher und Atom-U-Boote. | |
| Die sowjetische Methode zur „Entsorgung“ von Atommüll war damals entweder | |
| die Lagerung an Land – teilweise ungesichert unter freiem Himmel – oder auf | |
| Schiffen. Neben der „Lepse“ gab es noch zwei weitere. Viele abgebrannte | |
| Brennelemente und Atomreaktoren wurden einfach im Nordmeer versenkt. | |
| ## Größte nukleare Müllkippe der Welt | |
| Vor allem das Meeresgebiet rund um die Arktisinsel Nowaja Semlja, auf der | |
| auch Atombomben-Tests stattfanden, hatte sich mit der Zeit in einen | |
| regelrechten „Atommüllfriedhof“ verwandelt. Das polare Barentsmeer galt als | |
| größte nukleare Müllkippe der Welt. Vermutlich war geplant, auch die | |
| „Lepse“ dorthin zu schleppen und zu versenken oder am Strand ihrem | |
| Schicksal zu überlassen. Das Chaos nach dem Ende der Sowjetunion | |
| verhinderte das wohl. | |
| Moskau war mit dem verantwortungslosen Umgang mit Strahlenmüll auch nicht | |
| allein. Alle Atommüll produzierenden Länder – auch Deutschland – versenkt… | |
| bis zum Verbot 1994 Nuklearmüll im Meer. Die Einleitung radioaktiver | |
| Abwässer ist bis heute erlaubt. | |
| Die Situation in Nordwestrussland galt aber schon aufgrund der schieren | |
| Menge ungesicherter Lagerplätze für Zehntausende von Brennelementen, | |
| Unmengen anderen Strahlenmülls und fast 200 ausgemusterten Atom-U-Booten | |
| mit ihren Kernreaktoren als Sonderfall. Norwegen reagierte zuerst und bot | |
| Russland Hilfe an. | |
| Ganz uneigennützig war das nicht. Mehrere dieser Lager waren nur wenige | |
| Kilometer von der norwegisch-russischen Grenze entfernt. Man fürchtete | |
| auch, dass eine mögliche radioaktive Belastung des Barentsmeers den | |
| norwegischen Fischfang auf unabsehbare Zeit gefährden könnte. | |
| ## Hilfe für Russland | |
| Neben verschiedenen nationalen Programmen der skandinavischen Staaten, mit | |
| denen finanziell oder mithilfe eigener Spezialisten die Entschärfung | |
| einzelner besonders gefährlicher Hotspots in Angriff genommen wurde, | |
| stellte ab 2003 auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung | |
| (EBRD) mit der Northern Dimension Environmental Partnership ein | |
| [1][multilaterales Programm] auf die Beine, um Russland beim Rückbau und | |
| der Dekommissionierung nuklearer Anlagen und einer sicheren Entsorgung von | |
| abgebrannten Brennelementen und anderem Atommüll zu helfen. | |
| Die „Lepse“ erwies sich dabei als spezielles Problem. Von den knapp 650 | |
| Brennelementen an Bord waren vor allem nach einem Störfall an einem der | |
| „Lenin“-Reaktoren viele in einem stark beschädigten Zustand auf die „Lep… | |
| verladen worden. | |
| Solche beschädigten Brennelemente führten zu einer hohen Strahlenbelastung | |
| für die Besatzung. Man ging deshalb dazu über, Brennelementecontainer im | |
| Lagerraum einfach mit Zement einzubetonieren. Das machte das Schiff nicht | |
| nur gefährlich instabil, auch normales Entladen wurde unmöglich. | |
| Nachdem man sie 2012 von Murmansk zu einer Marinewerft am Barentsmeer | |
| geschleppt und mit den Sanierungsarbeiten begonnen hatte, stellte sich | |
| schnell heraus, dass der Rumpf des gesamten Schiffs aufgesägt werden | |
| musste, um die Ladung Stück für Stück zu entfernen. | |
| ## Nun im Zwischenlager bei Murmansk | |
| Von einer „technisch komplexen und herausfordernden Aufgabe“ sprach deshalb | |
| auch Balthasar Lindauer, EBRD-Abteilungsleiter für nukleare Sicherheit im | |
| vergangenen Jahr. Anfang Juni konnte die Arbeit zur Beseitigung „der | |
| ernsten Gefahr für Menschen und Umwelt in der Barentsmeer-Region“ (EBRD) | |
| endgültig abgeschlossen werden. | |
| „Ein wirklich bedeutendes Ereignis“, sei das „Ende diesen Strahlenschiffs… | |
| nach 27 Jahren Projektzeit, sagt Andrei Zolotkov, Leiter des Bellona-Büros | |
| in Murmansk, der früher auf der „Lepse“ gearbeitet hatte. Der | |
| Strahlenschrott, der von dem Schiff noch übrig ist, wandert nun in ein von | |
| Deutschland mit 600 Millionen Euro mitfinanziertes und mitkonstruiertes | |
| [2][atomares Zwischenlager in der Sajda-Bucht nördlich von Murmansk]. | |
| 7 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ebrd.com/what-we-do/sectors/nuclear-safety/nuclear-window.html | |
| [2] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/bericht-sichere-ents… | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Norwegen | |
| GNS | |
| Atommüll | |
| Sowjetunion | |
| Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Artenschutz | |
| Grönland | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Eisbären | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Atomschrott im Nordmeer: Russlands vergessenes Erbe | |
| Nukleare Sprengköpfe und Atom-U-Boote aus dem Kalten Krieg lagern im | |
| Nordmeer. Seit dem Angriff auf die Ukraine kümmert sich niemand mehr darum. | |
| Studie zu Fischerei: Haie, fürchtet die Spanier | |
| Spanien ist laut WWF der weltgrößte Exporteur von Haifleisch. Immer öfter | |
| würden die gefährdeten Tiere gezielt gefischt. Auch Deutsche greifen zu. | |
| Sieg der SozialistInnen in der Arktis: Klimawandel in Grönland | |
| Bei der Wahl hat die Opposition gewonnen. Es zeigt: Die GrönländerInnen | |
| wollen keinen großflächigen Abbau ihrer Rohstoffe durch internationale | |
| Konzerne. | |
| Klimaklage gescheitert: Greenpeace verliert in Norwegen | |
| Der oberste Gerichtshof in Oslo sieht in neuen Öl- und Gaslizenzen in der | |
| Barentssee keinen Verfassungsverstoß. Es ist eine Niederlage für | |
| Umweltschützer. | |
| Eisbären in bewohnten Gebieten: Invasion der hungrigen Bären | |
| Am Nordpolarmeer dringen immer mehr Eisbären in bewohnte Gebiete. Der | |
| Klimawandel und Abschüsse erhöhen den Druck auf die bedrohte Art. |