# taz.de -- Klimagerechtes Enteignen von Wohnungen: Enteignen ist besser für d… | |
> Hilft es in der Klimakrise, Wohnungskonzerne zu enteignen? Ja, sagen | |
> Befürworter:innen: Nur so ließen sich soziale und ökologische Fragen | |
> verbinden. | |
Bild: Ist lila-gelb das neue grün? | |
BERLIN taz | Immobilienkonzerne zu vergesellschaften, um die Klimakrise zu | |
bekämpfen – das hört sich erst mal nach einem Widerspruch an. Denn | |
energetische Sanierungen sind unter Mieter:innen verhasst, weil sie mit | |
Mietsteigerungen einhergehen. Warum sollte also ausgerechnet eine | |
demokratische Selbstverwaltung des Wohnraums dazu führen, dass sich | |
Mieter:innen solche Maßnahmen selbst auferlegen? | |
Doch bei dem Gedankengang handelt es sich um einen Trugschluss, wie aus | |
einer [1][Podiumsdiskussion] am Montag im rappelvoll besetzten Café Refugio | |
in Neukölln hervorging. Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen | |
debattierten dort mit dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Werner Graf, | |
sowie dem stadtpolitischen Sprecher der SPD, Mathias Schulz, über | |
klimagerechtes Enteignen. | |
Die Frage ist von [2][enormer Relevanz]. Deutschlandweit gehen rund ein | |
Drittel des gesamten Energieverbrauchs auf das Konto des Gebäudesektors, | |
erklärte Barbara Metz, Vorsitzende der Deutschen Umwelthilfe – etwa beim | |
Bauen oder Heizen der Wohnungen. „Hier müssen wir dringend Energie sparen“, | |
sagte sie. Wenn aber die Kosten für energetische Sanierungen auf | |
Mieter:innen umgelagert werden, würden soziale und ökologische Ansätze | |
gegeneinander ausgespielt. | |
Laut Lisa Vollmer von Deutsche Wohnen & Co (DWE) enteignen kann | |
Vergesellschaftung ein Weg aus dieser Miserie sein. „Die Stadt hätte sofort | |
Zugriff auf 250.000 Wohneinheiten.“ Anders als Immobilienkonzerne müsste | |
mit öffentlichen Wohnraum keine Rendite erzielt werden – das Geld stehe | |
also für Modernisierungen zur Verfügung, ohne dass Mieter:innen blechen | |
müssten. Dann würden sich Mieter:innen auch für energetische Sanierungen | |
entscheiden. „Die Vergesellschaftung ist die Antwort auf die soziale und | |
ökologische Frage“, sagte Vollmer – und erntete dafür tosenden Applaus vom | |
jungen Publikum. | |
## Fehler liegt im System | |
Diesem Optimismus stand die Vorsicht der beiden Politiker gegenüber. Der | |
Grüne Graf warnte davor, Vergesellschaftung nicht als „eierlegende | |
Wollmilchsau“ zu romantisieren. Es könne noch „acht bis neun Jahre“ daue… | |
bis die ersten vergesellschafteten Wohnungen in öffentlicher Hand seien. Zu | |
erwarten seien Klagen und zum Beispiel Schwierigkeiten, die zu | |
vergesellschaftenden Wohnungen in einem Kataster zu erfassen. „2030 sind | |
die Klimakipppunkte aber bereits erreicht“, sagte er – auch dafür gab es | |
Applaus. Gebraucht werde ein „vielschichtiges Projekt“, das sich nicht auf | |
eine Maßnahme beschränke. | |
Dass innerhalb der bestehenden Organisation des Wohnungsmarkts | |
sozialverträgliche energetische Sanierungen aber kaum möglich sind, machte | |
der Humangeograf Sören Weißermel von der Uni Kiel deutlich. Die Politik sei | |
„vom Investitionswillen profitorientierter Konzerne abhängig“ und habe | |
deshalb die sogenannte Modernisierungspauschale geschaffen. Diese erlaube | |
Vermietern, Modernisierungskosten durch 8-prozentige Mieterhöhungen auf | |
Mieter:innen umzulagern – auch über die Refinanzierung hinaus. | |
Die Folge: Menschen, die sich die verteuerten Mieten nicht mehr leisten | |
können, müssen raus – und machen so Platz für zahlungskräftigere Klientel. | |
Verdrängung sei deshalb Resultat davon, dass energetische Sanierungen zum | |
Geschäftsmodell gemacht wurden. Dabei würde nicht einmal geprüft, ob die | |
verwendeten Materialien wirklich klimafreundlich seien. Und auch das | |
Gegenteil der Luxussanierung, die „Nichtinvestition“, sei in angespannten | |
Wohnungsmärkten rentabel – schließlich werden Vermieter:innen ihre | |
Wohnungen los, egal in was für einem schlechten Zustand sie sind. | |
Besonders viel Kritik erntete das Credo der Regierenden Bürgermeisterin | |
Franziska Giffey (SPD): „Bauen, bauen, bauen“. Denn um zu bauen, müsse in | |
Städten wie Berlin meistens zunächst abgerissen werden, erklärte Metz von | |
der Umwelthilfe. In Deutschland würden die abgerissenen Rohstoffe aber | |
nicht wiederverwendet, sondern verbrannt oder gelagert. „Sanierung des | |
Bestands ist deshalb nachhaltiger“, sagte sie – zumal Neubau auch die | |
soziale Frage nicht löse, da zumeist Gewerbeflächen oder Luxuswohnungen | |
entstünden. | |
## Vergesellschaftung „essenzielle Vorraussetzung“ | |
SPD-Mann Schulz und sein Berufskollege Graf, die beide gelobten den | |
Volksentscheid umzusetzen, forderten [3][schärfere Regulierungen]: etwa | |
ökologische Vorschriften für Neubauten, eine Reform der | |
Modernisierungsumlage oder bessere Gesetze gegen Zweckentfremdung und für | |
Milieuschutz. | |
Doch immer wieder mussten sie die mangelnden Kompetenzen der Berliner | |
Landesregierung eingestehen. Vollmer von DWE schleuderte ihnen deshalb | |
entgegen: „Würde die Vergesellschaftung konsequent durchgezogen, müssten | |
sich Politiker auch nicht mehr rausreden, weil sie dann direkt Zugriff auf | |
die Gebäude hätten.“ | |
Auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen seien keine Vorreiter in Sachen | |
energetischer Sanierung, wandte Graf ein – und stellte sich damit gegen die | |
grundsätzliche Kritik, dass öffentlich verwaltete Wohnungen stets besser | |
als privatwirtschaftliche seien. Doch da komme es auf dem politischen | |
Willen an, sagte Vollmer. „Lange waren die Landeseigenen auch keine | |
Vorreiter für bezahlbaren Wohnraum.“ Dem pflichtete Humangeograf Weißermel | |
bei: Vergesellschaftung bilde „keinen Automatismus, aber essesenzielle | |
Voraussetzung“ für die sozial-ökologische Transformation. | |
Einig waren sich Aktivist:innen und Politiker:innen darüber, dass | |
Geld im Kampf gegen die Klimakrise nur eine untergeordnete Rolle spielen | |
darf. Graf, der bezweifelte, dass die energetische Sanierung der | |
vergesellschafteten Wohnungen nur über die nun wegfallende Rendite | |
finanziert werden kann, sagte, die energetische Sanierung werde den | |
Haushalt an seine Grenzen bringen. „Aber das muss dann halt geschehen. Wir | |
werden die Gelder zur Verfügung stellen müssen.“ | |
30 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dwenteignen.de/2022/08/klimagerechtes-wohnen/ | |
[2] /Klimagerechter-Stadtumbau-in-Brandenburg/!5874719 | |
[3] /Mietenkrise-und-Verdraengung/!5847825 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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