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# taz.de -- Klimacamp in Sachsen: Auch Ökos brauchen ihre Handys
> Antifa, Rassismus, Sexismus. Die Themen auf dem Camp in Pödelwitz gingen
> weit über den Klimaschutz hinaus. Es wurde viel diskutiert und getanzt.
Bild: Braunkohle wegbassen: die Tanzdemo
Neukieritzsch taz | Eine „kleine gelebte Utopie“ waren das „Klimacamp
Leipziger Land 2019“ und die „Degrowth-Sommerschule“ für Julia. Unter dem
Motto „Alle Dörfer bleiben“ setzten sich VeranstalterInnen und
TeilnehmerInnen für eine antirassistische und antifaschistische
Klimagerechtigkeit ein. „Hier ist ein Ort, an dem alles zusammenkommt, was
ich mir unter gesellschaftlichem Miteinander vorstelle“, sagt sie.
Im sächsischen Pödelwitz [1][fanden vom 3. bis 12. August über 120
Workshops und Kurse statt]. Im Camp und in der Sommerschule wurden
klassische Klimathemen Themen wie „Ihr habt's versaut. Wie können wir das
zusammen wieder geradebiegen?“, aber auch Rassismus, Postkolonialismus,
Sexismus und Neue Ökonomie diskutiert. Die Antifa wurde erstmals
eingeladen, um gemeinsam ein Schwerpunktthema zu gestalten. Das hat,
abgesehen vom Rechtsruck in Sachsen, eine gewisse Logik, weil die blaue
Partei den Kohleausstieg ablehnt.
Unweit des Camps liegt der Tagebau Vereinigtes Schleenhain der
Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag). Die Aktivisten brauchen
keine Kohle, sie erzeugten ihren Strom selbst. Sie haben ein Windrad
gebaut, bei dem sogar die Kupferspulen selbst gewickelt wurden. Und Strom
ist wichtig, denn „auch Ökos brauchen ihre Handys“, wie Julia beobachtet
hat. Leider seien die fünf Ladestationen ständig besetzt gewesen.
Nina Beck vom rund 60-köpfigen Orga-Team ist Pressesprecherin des Camps.
Ihre Lieblingsveranstaltungen waren die „Tanz und Schwitz für
Pödelwitz“-Demo und das Anti-Rassismus-Podium. Sie erzählt, dass es „jeden
Abend Livemusik gab und viel getanzt wurde. Nur nach dem AntiRa-Podium
nicht. Da diskutierten wir weiter.“
## „Toxic“ gegen Kohle
Die Tanz-Demo mit rund 500 TeilnehmerInnen endete vor dem
Braunkohlekraftwerk Lippendorf. [2][Dort wurde eine Choreografie von
Britney Spears Hit „Toxic“ aufgeführt]. Bewacht wurde die Tanzeinlage der
KlimaaktivistInnen von Polizisten, die teils in Einsatzfahrzeugen mit
laufendem Motor saßen.
Marco Böhme, der für die Linke im sächsischen Landtag sitzt, war als
Aktivist und parlamentarischer Beobachter der Polizei im Camp und auf der
Demo. Er erzählt, dass „viele Anwohner der Dörfer, durch die die Demo zog,
herauskamen und sich mit den tanzenden AktivistInnen unterhielten. Die
meisten Reaktionen waren positiv, bei einigen von ihnen haben wir
hoffentlich einen Denkprozess angestoßen“. Bis auf die Räumung eines von
„Vereinigt gegen Schleenhain“ – einer Gruppe, die sich selbst nicht dem
Camp zugehörig bezeichnet – besetzten Tagebaubaggers am Montag habe es
keine Polizeieinsätze gegeben, sagt Böhme.
Ein großes Thema auf dem Camp war „Awareness“. Der Begriff bezeichnet den
achtsamen und respektvollen Umgang miteinander. Er beinhaltet auch den
bewussten Umgang mit Diskriminierungs- und Herrschaftsverhältnissen. Das
„Awareness“-Team hatte ein Zelt, das jeden Tag von acht Uhr morgens bis
zwei Uhr nachts mit zwei bis vier Menschen besetzt war. Dieser Ruhe- und
Rückzugsraum mit Kissen, Massage und Schokolade wurde „von sehr vielen
Menschen genutzt. Hier wird auch emotionell Erste Hilfe geleistet“, sagt
eine Aktivistin aus dem Team. „Hier können Menschen mit einer neutralen
Person über alles Mögliche reden, damit es ihnen danach besser geht.“
Sie nennt ein Beispiel, das dokumentiert, dass auf dem Camp Konventionen
herrschten, die deutlich von der gesellschaftlichen Norm abweichen: Eine
Frau fühlte sich durch zwei Männer, die mit nacktem Oberkörper herumliefen,
gestört. Daraufhin wurden sie vom „Awareness“-Team angesprochen und über
„männliche Privilegien aufgeklärt. Die beiden hatten dafür kein
Problembewusstsein“. Nach dem Gespräch „zog sich einer ein Shirt an, der
anderen suchte sich aus der Bikini-Box ein Bikinioberteil aus und zog es
an“.
## „Shit Crew“
Am Montag stieß die Infrastruktur des Camps, bei dem über 1.000 Menschen,
waren an ihre Grenzen. An der Essensausgabe musste man eineinhalb Stunden
warten. Das Orga-Team reagierte schnell, änderte die Mitmachstruktur und
hängte Listen aus, um Menschen zu finden, die sich nicht nur passiv,
sondern nun auch aktiv am Camp beteiligten. Julia entschied sich fürs
Gemüseschnibbeln, was sie ab da jeden Tag von 10 bis 12 Uhr mit 40 weiteren
Menschen machte. Gesucht wurden auch Leute, die sich um die Sauberkeit der
sanitären Anlagen kümmerten, das nannte sich dann „Shit Crew“.
Nina hat auch „von Menschen aus der Region“ viel gelernt. Unter anderem von
Jens Hauser von der Bürgerinitiative (BI) ProPödelwitz über konkrete
rechtliche und kommunalpolitische Belange beim Kampf gegen den Tagebau. Der
erste Grüne in der Kommunalvertretung ist einer von nur noch 27 von ehemals
120 BewohnerInnen von Pödelwitz. Hauser kämpft seit 2009 gegen die
Umsiedlung durch die Mibrag, die das Dorf abbaggern will – trotz des
beschlossenen Kohleausstiegs. Auf Hausners Einladung war das Camp bereits
2018 in Pödelwitz. Seitdem engagiert sich ein breites Bündnis für
#Pödelwitzbleibt. Nina berichtet, dass sich auch andere BewohnerInnen aus
den Dörfern der Region mit der BI solidarisiert haben und aufs Klimacamp
gekommen seien.
„Ich fand eigentlich alles toll“, sagt eine junge Aktivistin mit
Herzchenbrille. Andere sehen das etwas differenzierter. Julia hat die
„unglaublich starke und positive Energie und der sehr respektvolle Umgang
der Menschen miteinander beeindruckt“. Und die Umsetzung des
Hygienekonzepts des Camps: die Teller bei der Essensausgabe wurden nicht
wiederbefüllt, überall Spender mit Desinfektionsmittel und saubere
Toiletten. Damit „sollte vermieden werden, dass sich das ganze Camp
ansteckt, wie das auf einem Klimacamp im Rheinland passiert ist“, erzählt
Julia. Insgesamt fand sie das Camp mit seinem großen Angebot „total schön
und total krass!“ Ein Feedback, dass sinngemäß von vielen TeilnehmerInnen
kam.
Neben der inhaltlichen Arbeit sei der Spaß wichtig, sagt Nina. In diesem
Sinne wurde nach dem Abschlussplenum noch bis in die frühen Morgenstunden
getanzt und gefeiert.
Aaliyah Bah-Traoré ist politische Referentin und Empowerment-Trainerin. Sie
spricht über „Koloniale Kontinuitäten im Klimaaktivismus“. Normalerweise
ist der Geräuschpegel bei diesen Veranstaltungen ziemlich hoch, erzählt
Julia. „Als sie gesprochen hat, waren alle still.“ Seit Jahren sprächen
Menschen aus dem globalen Süden über den Klimawandel, gehört würden sie
nicht. Dann seien Greta und die Fridays for Future gekommen und alle würden
sich plötzlich für Klimawandel interessieren. Sie nennt das „White days for
future“.
13 Aug 2019
## LINKS
[1] https://event.klimacamp-leipzigerland.de/2019/schedule/
[2] /Protest-gegen-Braunkohle/!5617800
## AUTOREN
Patrick Loewenstein
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