# taz.de -- „Kinder im Exil“ im Abgeordnetenhaus: Nach Hause in die Fremde | |
> Eine neue Ausstellung porträtiert Kinder prominenter Familien, die vor | |
> den Nazis fliehen mussten. Ihre Schicksale weisen direkt ins Heute. | |
Bild: Emigrierte mit ihren Kindern vor den Nazis nach Paris: Anna Seghers | |
In Judith Kerrs autobiografischem Kindheitsroman „Als Hitler das rosa | |
Kaninchen stahl“ gibt es eine Stelle, da fragt die Protagonistin Anna ihren | |
Vater: „Ist ein Flüchtling jemand, der von zu Hause hat weggehen müssen?“ | |
Und der Vater antwortet: „Jemand, der in einem anderen Land Zuflucht | |
sucht.“ Die Ohnmacht der Vertriebenen ist zugleich ihre Chance: Es ist | |
genau dieses Spannungsverhältnis von Fluchterfahrungen, das die | |
Wanderausstellung „Kinder im Exil“ der Akademie der Künste erkundet. Ab | |
kommendem Mittwoch gastiert sie im Foyer des Berliner Abgeordnetenhauses. | |
Da gibt es zunächst den historischen Teil: Hier sind die Geschichten von 26 | |
Kindern versammelt, die mit ihren prominenten Familien vor den Nazis | |
fliehen mussten. | |
Viele Berliner Schicksale sind darunter: Da ist die Brecht-Tochter Barbara, | |
die 1933 mit ihren Eltern zunächst nach Dänemark ins Exil geht und dann | |
weiter in die USA zieht, wo sie schließlich zum ersten Mal als | |
Schauspielerin in einer „Galilei“-Aufführung ihres Vaters auf der Bühne | |
steht. Da ist George Wyland-Herzfelde, Neffe des Künstlers John Heartfield, | |
der auf dem Wannsee Schlittschuh laufen lernt, im Prager Exil ernsthaft zu | |
trainieren anfängt und später in den USA Eiskunstläufer wird. Und da ist | |
Judith Kerr, die mit ihren Eltern aus Berlin nach London emigriert, als | |
Kind den englischen Nebel nicht ausstehen kann – und bis heute als | |
Illustratorin dort lebt. | |
Sieben große Holzkörper, die ein bisschen so aussehen wie Sprossenwände in | |
einer Schulturnhalle, versammeln die Spuren dieser Kinderleben im Exil: | |
Familienschnappschüsse, Briefe an die Verwandtschaft, herzallerliebste | |
Kinderpoesie (Barbara Brecht) und Zeichnungen (Judith Kerr) für die Eltern | |
zu Weihnachten. | |
Sie habe den Fokus bewusst auf die Kinder der Promis gelenkt, sagt die | |
Kuratorin Gesine Bey, „weil es wenig beachtete Perspektiven sind“. Man | |
sieht die Kinder auf den Fotos, Brecht schreibt Gedichte an seine Kinder – | |
aber sie kommen selbst nicht zu Wort. Oder erst später, als Erwachsene, wie | |
Kerr in ihrem autobiografischen Roman. | |
Kindheiten im Exil, sagt Bey, stünden ganz besonders „immer irgendwie | |
zwischen den Stühlen“: Kinder sollen sich möglichst schnell einleben, in | |
der Schule die Sprache lernen, ihre Zukunft liegt in der Fremde: „Die | |
meisten sind auch im Exil geblieben“, sagt Bey. Und doch werden sie durch | |
die Eltern immer daran erinnert, dass sie etwas zurückgelassen haben. | |
Da sei diese „Gespaltenheit, sagt auch die Filmemacherin Constanze Witt. | |
Sie hat mit Neuköllner FünftklässlerInnen einen Film produziert, der nun in | |
einem zweiten Teil der „Kinder im Exil“-Ausstellung gezeigt wird. | |
Die Eltern der Neuköllner SchülerInnen kommen aus neun verschiedenen | |
Herkunftsländern, und die Frage nach der eigenen Identität sei bei den | |
Kindern ein großes Thema gewesen, sagt Witt: „Wer bin ich, und wer bin ich | |
in meiner Familie?“ | |
## Pralinen von der Oma | |
Die Kinder haben sich schließlich mit dem Lyriker Erich Arendt beschäftigt, | |
der vor den Faschisten ins kolumbianische Exil floh. Dort machten Arendt | |
und seine Frau Käthe einen Laden auf, in dem sie Pralinen nach dem Rezept | |
von Käthe Arendts Oma verkauften. In dem Film spielen die Kinder diese | |
Anekdote nach und fragen sich über die Arendts: „Wie sollten sie jemals in | |
diesem Land zu Hause sein?“ | |
Eine Antwort, die die Kinder schließlich bei dem DDR-Dichter finden, sei | |
natürlich die, sagt Witt: „Ankommen bedeutet auch, selbst etwas geben zu | |
können, auf eigenen Füßen zu stehen.“ | |
Den Teil mit den Schülerarbeiten sollte es in der Ausstellung, die bereits | |
seit 2016 auf Tour durch verschiedene europäische Städte ist, ursprünglich | |
gar nicht geben. Aber dann habe sie „die Gegenwart eingeholt“, sagt | |
Kuratorin Bey. 2015 kamen jeden Tag Tausende Flüchtlinge in Deutschland an, | |
das Thema Exil war jeden Tag Aufmacher in den Nachrichten. Also schickte | |
die Akademie der Künste KünstlerInnen in 23 Schulklassen und ließ sie mit | |
den Kindern, viele von ihnen Geflüchtete, Schicksale von emigrierten | |
KünstlerInnen aus der NS-Zeit aufarbeiten. | |
Der Ausstellung konnte gar nichts Besseres passieren. Die Filme und | |
Collagen der Kinder holen die vergilbten Dokumente und | |
Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Nazizeit ins Heute: Es geht um den jeden | |
Tag tausendfach und überall auf der Welt wiederholten Versuch, aus der | |
Fremde ein Zuhause werden zu lassen – damals wie heute. | |
6 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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