| # taz.de -- Kinderbuchautorin über NS-Zeit: „Ich wollte diese Sprache nicht … | |
| > Judith Kerr hat mit ihrem Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ | |
| > Generationen geprägt. Ein Gespräch über das Leben bei Tee und Keksen. | |
| Bild: In Berlin geboren, in London zu Hause: die Schriftstellerin Judith Kerr b… | |
| Judith Kerr bietet Tee und Schokoladenkekse an, die Katze muss schlecht | |
| gelaunt den Sessel für den Gast räumen. Kerr erzählt mit großer Klarheit | |
| von ihrer Familie und ihrer Arbeit, das Jahr 2019 und das Jahr 1933 sind | |
| gleichermaßen lebendig. Ganz selten benutzt sie ein englisches Wort, weil | |
| sie nicht gleich auf das deutsche kommt. | |
| taz am wochenende: Ich war sehr unsicher, in welcher Sprache wir uns | |
| unterhalten würden. In Ihren Familienerinnerungen beschreiben Sie einen | |
| Besuch in Deutschland, über 20 Jahre nach der Flucht vor den Nazis. Da | |
| betonten Sie Ihren englischen Akzent, um auf keinen Fall für eine Deutsche | |
| gehalten zu werden. | |
| Judith Kerr: Ich fühle das heute nicht mehr. Aber damals war es nicht so | |
| lange nach den Nazis, und die Frau in dem Hotel war natürlich auch ein Nazi | |
| gewesen. Ich wollte ganz Englisch sein, ich wollte diese Sprache nicht | |
| mehr. | |
| Gibt es noch etwas Deutsches in Ihnen, etwas von Ihren deutschen Wurzeln? | |
| Wahrscheinlich, ich weiß es nicht. Hauptsächlich erinnere ich mich, was das | |
| Deutsche betrifft, an meinen Vater, weil ich immer mit ihm Deutsch | |
| gesprochen habe, weil er nicht gut Englisch sprach. Mit meiner Mutter haben | |
| wir Englisch gesprochen. Sie sprach ausgezeichnet Englisch, aber es muss | |
| merkwürdig für sie gewesen sein, plötzlich mit ihren Kindern eine Sprache | |
| zu sprechen, die die Kinder besser können, obwohl meine Mutter das nie | |
| zugegeben hat. | |
| Weil es die Rollen innerhalb der Familie vertauscht? | |
| Das kommt in jeder Familie zum Schluss. Ich habe ja Glück gehabt, es geht | |
| mir noch gut, aber die Kinder fühlen sich verantwortlich für mich. Ich | |
| fühle mich auch verantwortlich für die Kinder, man macht sich immer Sorgen | |
| um die Kinder, aber sie verstehen die Welt besser als ich. | |
| Sie haben geschrieben, dass Familien, die eine Fluchtgeschichte wie die | |
| Ihre haben, eine besondere Nähe hätten. Wie würden Sie die beschreiben? | |
| Ich glaube, dazu braucht man nicht Flüchtling zu sein. Vielleicht einfach | |
| eine Familie, bei der es Schwierigkeiten gibt, so dass die Familie sich ein | |
| bisschen anders fühlt als die anderen Menschen drumherum. Es kann sein wie | |
| bei uns: Deutsche in Paris. Deswegen habe ich die drei Bücher über unsere | |
| Flucht geschrieben. Ich wollte eigentlich nur über die Zeit schreiben, als | |
| alles noch gut ging. Tatsächlich ging es nicht gut, aber wir wussten das | |
| nicht, mein Bruder und ich; wir wussten nicht, wie schlimm es war. Ich | |
| erfahre immer noch mehr und mehr. | |
| Jetzt noch? | |
| Für meine Biografie habe ich Briefe gelesen von meinem Vater, von denen ich | |
| nichts wusste, aus der Zeit in der Schweiz und in Paris. Mein Bruder und | |
| ich wussten beide nicht, wie mein Vater sich angestrengt hat, Geld zu | |
| verdienen, weil er nie darüber sprach. Meine Mutter musste Jobs bekommen | |
| und sprach immer darüber: Warum hat der noch nicht geantwortet, soll ich da | |
| noch einen Brief schreiben, telefonieren? | |
| Und der Vater? | |
| Mein Vater, der schrieb immer. Ich wusste nicht, dass er, wenn irgendetwas | |
| in der Zeitung stand, was im Krieg passiert war, einen Vers darüber | |
| geschrieben hat und ihn am selben Tag zur BBC brachte. Die haben es aber | |
| nur sehr selten benutzt. | |
| Warum? | |
| Im German department der BBC hatten sie zu der Zeit einen Deutschen. Ich | |
| wusste damals nicht, dass mein Vater einen Riesenkrach mit Kraus hatte… | |
| …Karl Kraus, dem berühmten österreichischen Kritiker. Als Kind weiß man so | |
| etwas nicht. | |
| Es gab Kraus-Freunde und Kerr-Freunde, und der Deutsche in der BBC war ein | |
| Kraus-Freund, da haben sie beinahe nichts von meinem Vater benutzt. Das | |
| muss er gewusst haben. Aber ich wusste das nicht; mein Bruder und ich | |
| hatten immer das Gefühl, unsere Mutter macht alles. Mein Vater schreibt, | |
| wunderbar, aber wir hatten keine Ahnung, wie er sich um Geld bemüht hat. | |
| In allem, was Sie erzählen, schwingt sehr viel Zuneigung für Ihren Vater | |
| mit. | |
| Es ist ja oft so in Familien: Meine Mutter und mein Bruder waren einander | |
| sehr nahe, und mein Vater und ich waren es auch, wir waren einander gleich. | |
| Meine Mutter war sehr stolz auf mein Zeichnen, als ich ein Kind war. Aber | |
| als ich dann wirklich in der Malschule war und nie Geld hatte und immer | |
| schrecklich aussah, hätte sie sich gefreut, wenn ich jemand Vornehmes | |
| geheiratet hätte. Stattdessen waren da immer diese Zeichner, die kein Geld | |
| hatten. Meine Mutter war ein bisschen snobbish, mein Bruder auch. Er wurde | |
| ja ein sehr großer Richter hier, und er hat mir immer andere Richter | |
| vorgestellt, das war schrecklich. | |
| Und Ihr Vater – der berühmte und gefürchtete Kritiker Alfred Kerr? | |
| Mein Vater hat mich immer ermutigt, wenn ich mutlos war. Ich habe ihm | |
| einmal gesagt, als es wieder nicht gutging: Warum mache ich das eigentlich, | |
| ich könnte doch mit meinen drei Sprachen gutes Geld verdienen. Und er hat | |
| gesagt: Wenn du es nicht tätest, würdest du immer weniger gut von dir | |
| selbst denken. Das war natürlich ganz richtig. | |
| Hat er Ihnen das auch vorgelebt – diese Unabhängigkeit, wenn man vor allem | |
| sich selbst und nicht den anderen etwas beweisen will? | |
| Für mich ist der Unterschied, ob man etwas außerhalb mehr als sich selbst | |
| liebt. Ich glaube, wenn ich nicht Zeichnerin geworden wäre, vielleicht | |
| hätte ich dann etwas wie eine Religion gebraucht – God forbid, bloß nicht. | |
| Aber man braucht etwas, das größer ist als man selber, und für mich ist es | |
| das Zeichnen. Für meinen Vater war es das Schreiben. Dann muss man das tun, | |
| so weit wie möglich. | |
| Deswegen war ich überrascht, dass Sie als junge Mutter relativ lange mit | |
| dem Zeichnen pausiert haben. | |
| Es war eine Idee von meinem Mann: Das Fernsehen war ja am Anfang, und die | |
| brauchten jemanden, der diese schrecklichen Stücke lesen musste, die | |
| unverlangt geschickt wurden. Das war besser als Zeichenlehrerin zu sein. | |
| Dann brauchten sie jemanden, um richtige Stücke zu lesen, das war sehr | |
| interessant – und das konnte ich. Ich war die Tochter meines Vaters, ich | |
| kannte den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Stück. | |
| Dann hat man plötzlich gesagt: Schreiben Sie doch selbst mal was. | |
| Haben Sie das Zeichnen nicht vermisst? | |
| In der Zeit habe ich Schreiben gelernt. Das war nicht dasselbe, aber das | |
| war wieder das gleiche Gefühl: dass man etwas lernt, bis man es so weit wie | |
| möglich kann. Es war etwas, was man machen musste und so gut wie möglich | |
| machen musste. Mein Mann hat mich sehr ermutigt, es war eine Welt, die ich | |
| sehr genossen habe, mit Schriftstellern und Schauspielern. Das waren | |
| Menschen wie ich, das waren keine Richter. | |
| Aber hatte das Schreiben die gleiche Dringlichkeit wie das Zeichnen für | |
| Sie? | |
| Es war unendlich schwer, vom Zeichnen zu leben, ich musste mich immer | |
| bemühen. Ich habe versucht, Textilentwürfe zu verkaufen. Es ging nicht | |
| schlecht, aber es war schwer, und es ging immer von mir aus. Das Schreiben | |
| kam von anderen Leuten. | |
| Ist das, was Sie jetzt tun, die vollkommene Synthese aus beidem? Sie | |
| zeichnen und schreiben. | |
| Ich bin Zeichnerin. Wenn ich zeichne, weiß ich, was ich tue. Ich werde | |
| besser, das Schreiben wird besser, aber ich hätte nie Bücher geschrieben, | |
| wenn ich nicht über meine Kindheit geschrieben hätte. Als ich die drei | |
| Bände zu Ende geschrieben hatte, dachte ich: Jetzt kann ich Romane | |
| schreiben. Ich dachte, ich schreibe jetzt einen richtigen Roman, nicht über | |
| meine Familie, sondern etwas aus meinem Kopf. Das hat eineinhalb Jahre | |
| gedauert. Es war ein wirklich guter Plot, und es waren gute Charaktere, | |
| aber als ich es halbwegs durchgeschrieben hatte, ging es nicht mehr. Ich | |
| bin keine Schriftstellerin. Da habe ich es aufgegeben und sechs Mog-Bücher | |
| über unsere Katze gemacht. | |
| Sie sagen das so gelassen. War es damals nicht schwierig für Sie, sich das | |
| einzugestehen? | |
| Aber es war nicht schwer. Ich war glücklich verheiratet, ich konnte es mit | |
| Tom besprechen. Ich hatte schon drei oder vier Bilderbücher gemacht und | |
| wusste, dass ich darauf zurückkommen konnte. Wahrscheinlich war ich eine | |
| Zeitlang enttäuscht, aber es gab ja etwas anderes. Man kann mit dem | |
| Zeichnen immer etwas Neues machen. | |
| Mit „the old granny gang“, einem Trupp von Großmüttern, sind vor ein paar | |
| Jahren die alten Damen in Ihrer Arbeit aufgetaucht. | |
| Man sieht so eine alte Dame und sagt, ach ja, es ist eine alte Dame, und | |
| denkt nicht daran, was sie vielleicht alles erlebt hat. Ich kenne sehr | |
| viele alte Damen, und sie sind alle sehr resolut. | |
| In Ihrer Familientrilogie sagt die Mutter zornig zu ihrer Tochter: Du weißt | |
| nicht, was es bedeutet, so alt zu sein – da ist sie 58. Haben Sie früher | |
| darüber nachgedacht, wie es sein würde, alt zu sein? | |
| 58 Jahre ist heutzutage nicht alt. Meine Mutter war 30 Jahre jünger als | |
| mein Vater, und es war ihr sehr wichtig, jung zu sein. Sie sagte uns öfter: | |
| „Ich bin näher an eurem Alter als an eurem Vater.“ Mein Mann Tom war ein | |
| Jahr älter als ich, wir sind zusammen älter geworden. Unsere Freunde waren | |
| mehr oder weniger im selben Alter, wir fühlten uns nicht alt. Wir waren | |
| eben älter und nicht ganz so gesund, wie man einmal gewesen war. Für meine | |
| Mutter aber war es unendlich wichtig. | |
| Weil sie nicht dieses Interesse außerhalb ihrer selbst hatte? | |
| Sie war Komponistin. | |
| Aber sie hat das Komponieren aufgegeben. | |
| Ich habe mir sehr viel Sorgen darüber gemacht. Sie hat zwei Opern | |
| komponiert, die erste wurde auch irgendwo aufgeführt, aber ganz kurz. Ich | |
| erinnere mich, wir sind alle hingegangen, ich war fünf Jahre alt. | |
| Sie waren sicher stolz. | |
| Furchtbar stolz, natürlich. Dann hat sie noch eine komponiert, zu einer | |
| Geschichte meines Vaters. Das war eine sehr gute Geschichte: Einstein | |
| erfindet eine Zeitmaschine. Es gibt eine Panne, und sie kommen in England | |
| herunter und treffen Byron. Der ist 17 Jahre alt und hat noch überhaupt | |
| nichts geschrieben und ist unglücklich verliebt in eine Nanny. Die Leute in | |
| der Zeitmaschine sagen ihm: Komm doch mit uns. Und so kommt er mit ihnen | |
| nach Berlin ins Jahr 1930. Es war eine sehr amüsante Idee, und meine Mutter | |
| hatte es fast zu Ende komponiert, als wir weg mussten. Und dann hat sie | |
| nichts mehr gemacht. | |
| Warum haben Sie sich Sorgen um die Opern Ihrer Mutter gemacht? | |
| Ich dachte: Die Bücher meines Vaters gibt es alle wieder, das ist alles in | |
| Ordnung, ich müsste doch etwas für die Oper tun. Aber ich wusste nicht, ob | |
| das gute Musik ist, ich kann das nicht beurteilen. Manchmal, wenn ich | |
| Interviews gegeben habe, musste man Musik dazu wählen, dann habe ich immer | |
| etwas von meiner Mutter ausgewählt und dachte: Vielleicht wird jemand | |
| darauf aufmerksam. Das ist aber nicht passiert. Wir haben einen Freund hier | |
| in der Straße, der Musiker und Komponist ist, ihm habe ich gesagt: Hör es | |
| dir mal an, und ich will nur wissen: Ist das Mozart? Aber es ist nicht | |
| Mozart. Sie sagte oft: Ach, meine Oper. Aber ich weiß nicht, ob daraus | |
| etwas geworden wäre. | |
| Ist bei einem Ehepaar vielleicht nicht genügend Raum für zwei Künstler – | |
| wobei in Ihrer eigenen Ehe war es ja anders. | |
| Es war nicht eine solche Notwendigkeit für meine Mutter. Sie war begabt, | |
| auch energisch, aber es waren andere Dinge, die sie auch liebte im Leben. | |
| Tennisspielen, Rennen, sie war sehr körperlich. Und sie wollte unbedingt | |
| jung sein, vielleicht weil mein Vater so viel älter war. | |
| Es klingt wie eine Kombination, bei der es schwierig ist, glücklich zu | |
| werden. | |
| Es war alles entweder großartig, wunderbar oder schrecklich. Mein Vater war | |
| 65, als wir Deutschland verließen, er hatte ein sehr volles und erfülltes | |
| Leben gehabt. Seine wichtigste Arbeit hatte er damals schon gemacht, er hat | |
| ja mit 20 angefangen zu schreiben. Meine Mutter war 35 und hatte noch alles | |
| vor sich. Sicher hätte die Oper einen größeren Erfolg gehabt, wegen des | |
| Librettos meines Vaters auf jeden Fall. Meine Mutter wollte immer nach | |
| England, weil sie eine englische Governess hatte. Sie sprach | |
| ausgezeichnetes Englisch und hatte eine Idee von England, den Schlössern, | |
| dem Reichtum, und dann kamen wir nach England, und es war viel schwieriger. | |
| Aber sie hatte immer noch diese romantische Idee von England. Mein Bruder | |
| ging in eine englische Public School, wo es sehr viel Sport gab, was er | |
| liebte. Er wurde da so glücklich, dass er eine sehr kurze Zeit lang an Gott | |
| geglaubt hat. Er ist nach Cambridge gegangen, dort wusste kein Mensch, dass | |
| er deutsch war, bis man ihn interniert hat. | |
| Manches scheint sich zu wiederholen. Sie mussten als Kind fliehen, jetzt | |
| versuchen Menschen über den Ärmelkanal nach England zu kommen. Wie | |
| empfinden Sie das? | |
| Es ist anders. Es ist eine Völkerwanderung. Ich habe einmal gelesen, dass | |
| zwischen ’33 und ’45 70.000 Juden nach England kamen. Das ist ein Tropfen. | |
| Was ich interessant finde: Meine Enkelkinder, sie sind 15 und 17, sind | |
| vollkommen zweisprachig, weil sie in Italien aufgewachsen sind. Mein Sohn | |
| ist Engländer, aber ist Römer, er wird nie zurückkommen. Daher ist diese | |
| Familie ein bisschen, wie wir es waren – aber ohne die großen Sorgen. Es | |
| gibt ganz viele United-Nations-Familien in Rom. Die Kinder sind ein | |
| bisschen, wie wir waren, mein Bruder und ich: Sie sind Europäer, aber sie | |
| brauchten dazu nicht Flüchtlinge sein. | |
| Es gibt heute auch die weniger Glücklichen, die vor Krieg und Armut | |
| fliehen, aus Angst vor Verfolgung so wie Sie damals. | |
| Natürlich gibt es auch diese anderen. Hier in Barnes ist ein Zeitungskiosk, | |
| den ein Mann aus Indien betreibt. Er hat drei Kinder: Eine Tochter wird | |
| Ärztin, die andere studiert Mathematik, und der Sohn ist jetzt gerade als | |
| Einziger aus seiner Schule in eine sehr gute weiterführende Schule | |
| gekommen. Das ist ein wunderbarer Zustrom, Menschen, die großartig sind in | |
| diesem Land. | |
| Denken Sie jetzt häufiger an Ihre eigene Kindheit zurück? | |
| Ich denke viel an meinen Vater, ich denke ohnehin an ihn, aber ich denke | |
| auch an ihn, weil ich weiß, dass ich jetzt genau das tue, was er tat, als | |
| er alt war – er ist herumgegangen, sah die Welt an und fand sie schön. Aber | |
| man denkt natürlich zurück. Sehr merkwürdig: Vor ein Wochen kam mir | |
| plötzlich ein Wort in den Kopf: der Stöhni. | |
| Der Stöhni? | |
| Das war ein Wort, das wir erfunden haben, als wir in Paris wohnten. Dort | |
| gab es einen Lift im Haus, der war sehr alt und machte merkwürdige | |
| Geräusche: Er stöhnte. Wir nannten ihn den Stöhni, weil wir davor in der | |
| Schweiz gewesen waren, und dort hätte man es so genannt. Es war wie bei | |
| Proust: Es kam mir ganz plötzlich in den Kopf, und alles war wieder da: wie | |
| ich aus der Schule kam und meine Mutter war da. | |
| Sie haben in Ihrer Biografie geschrieben, dass Sie mit Ihren Eltern | |
| sprechen. Worüber? | |
| Mit meinem Vater. Ich spreche im Kopf, natürlich auch mit meinem Mann. Ich | |
| glaube nicht, dass mein Mann und mein Vater dabei zu Wort kommen, ich sage | |
| ihnen Dinge, die ich ihnen damals auch gesagt hätte. Man fühlt, das würde | |
| sie interessieren. Die vielen Witwen, die ich kenne, sagen manchmal: Ach | |
| ja, Frank hätte das gesagt. Ich wusste nie, was Tom sagen würde, das war so | |
| interessant. | |
| Sie haben zwei Bücher über Abschied geschrieben, in dem einen stirbt die | |
| Katze Mog, und in „My Henry“ erlebt eine Witwe mit ihrem verstorbenen | |
| Ehemann erstaunliche Abenteuer. | |
| Es sind Bücher über den Tod. | |
| Und wie gehen Sie selbst mit dem Tod um? | |
| Das Buch über Mogs Tod habe ich geschrieben, als ich 80 war und Tom 81. Da | |
| dachte ich viel über den Tod nach, es wäre unvernünftig, es in dem Alter | |
| nicht zu tun. | |
| Die wenigsten tun es. | |
| Unsere Kinder hatten immer furchtbar viele Tiere, Hamster und Fische, die | |
| sterben die ganze Zeit. Da dachte ich, ich mache etwas darüber. Und ich | |
| dachte auch an das eigene Sterben und was wäre, wenn man heruntergucken | |
| könnte. Dann würde man sagen: Was machen die jetzt ohne mich, das geht doch | |
| nicht. Das Henry-Buch war das erste Buch über die vielen Witwen, die ich | |
| kannte. Wie es ist, wenn man glücklich verheiratet war und sich daran | |
| erinnert. Ich habe gerade ein Buch fertig gemacht und denke an das nächste. | |
| Und ich dachte: Den Tod habe ich gemacht, jetzt muss etwas anderes kommen. | |
| Was kommt? | |
| Es kann sein, dass gar nichts daraus wird. Aber es wäre sehr einsam, wenn | |
| man noch nichts im Kopf hätte, wenn eines fertig wird. | |
| 18 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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