| # taz.de -- Neue Schau im Museum Neukölln: Aus eigener Anschauung | |
| > In Ina Rommees Videoinstallation „Kriegskinder“ erzählen acht Neuköllner | |
| > von ihrer Kindheit im nationalsozialistischen Berlin. | |
| Bild: Eine Kindheit im Krieg: Die Videoinstallation „Neuköllner Kriegskinder… | |
| Nein, wir sind hier nicht im Spätprogramm eines Nachrichtensenders. Anders | |
| als die unzähligen Kriegsdokus geht Ina Rommee mit weniger Lust am | |
| Spektakulären an ihre Videoinstallation „Kriegskinder“ heran. Was die | |
| Zeitzeugen darin erzählen, dürfte dennoch besonders Berlinerinnen und | |
| Berlinern nahgehen, denn die Erzählenden haben den Zweiten Weltkrieg in | |
| Neukölln erlebt. | |
| Acht Menschen haben insgesamt mehr als 16 Stunden lang berichtet, | |
| aufgezeichnet wurde das von Ina Rommee und Stefan Krauss und ist nun | |
| zusammengefasst in einer fünfzigminütigen [1][Installation im Museum | |
| Neukölln] zu sehen. In einem Kreisbogen angeordnet, scheinen sich die auf | |
| den Videoschirmen Sprechenden einander anzusehen, der Betrachter steht in | |
| der Mitte dazwischen. Durch ihren Schnitt lässt Rommee es dabei wie ein | |
| wechselseitiges Gespräch erscheinen, in dem die inzwischen Betagten sich | |
| ihr Leben zwischen 1938 und 1945 in Erinnerung rufen. Man fühlt sich, als | |
| belausche man das Treffen der alt gewordenen Neukölln-Kinder am | |
| Nachbartisch in einem Restaurant. | |
| Endlich erzählen sie, denn Menschen, die von den mittlerweile um die | |
| achtzig Jahre zurückliegenden Ereignissen aus eigener Anschauung berichten | |
| können, werden rar. Mit Stanislaw Karol Kubicki, Jahrgang 1929, ist einer | |
| der in der Installation zu Wort Kommenden bereits verstorben. | |
| Zwischen 4 und 17 Jahre waren sie in der erinnerten Zeit alt. Ihre | |
| Geschichten erzählen vom Alltag, aber auch von skandierend durch die | |
| Straßen ziehenden Anhängern erst verschiedener Parteien, dann nur noch von | |
| der NSDAP. Sie erzählen von kindlichem Nichtverstehen der Szenen, manche | |
| von Flucht aus der Stadt, manche von Bomberangriffen über Monate hinweg. | |
| ## Offenes Erzählen | |
| Im offenen und offenbar als befreiend empfundenen Erzählen liegt der | |
| Ursprung des Kunstprojektes „Kriegskinder“. Ina Rommee hat als Kind gern | |
| ihrer Großmutter zugehört, die als Wolgadeutsche in der damaligen | |
| Sowjetunion nach Kasachstan umgesiedelt wurde. | |
| Die Berichte davon waren keine leichte Kost – viele Kinder haben diese | |
| Umsiedlungen nicht überlebt. Aber die Großmutter hat dennoch gesprochen und | |
| sich dabei vieles wohl auch von der Seele geredet. Als Erwachsene war | |
| Rommee trotzdem überrascht, wie frei und aufgeschlossen ihre Großmutter | |
| erzählte, als sie von der inzwischen zur Videokünstlerin gewordenen Enkelin | |
| vor einer Kamera erneut darum gebeten wurde. | |
| Eine Aufgeschlossenheit gegenüber der Videokunst, die Rommee in | |
| Zusammenarbeit mit Stefan Krauss in einem anderen Projekt bestätigt fand. | |
| Für „Duelle“, in dem Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen | |
| Bereichen und Altersklassen ihre Kräfte beim Armdrücken messen, nahmen so | |
| Bewohner von Seniorenresidenzen besonders gern teil. Gute Voraussetzung für | |
| die Idee, eine Arbeit mit erzählten Erinnerungen zu konzipieren. Hier | |
| fühlte sich Rommee wie eine Ersatz-Enkelin. Gegenüber der übernächsten | |
| Generation scheint vielen das Sprechen leichter zu fallen als gegenüber den | |
| eigenen Kindern. Es entstanden die „Kriegskinder“. | |
| Kinder nehmen keine Einordnungen und Wertungen vor, sie sind | |
| unvoreingenommen in der Wahrnehmung von Stimmungen. Auch vor der Kamera für | |
| „Kriegskinder“ erzählen sie freimütig. Das unterstützt Rommee durch | |
| Impulsfragen nach Spielen oder Beschreibungen des damaligen Straßenbildes. | |
| Da geht es um derbe Späße aus einer anderen Zeit, wenn etwa Wolfgang Leyk | |
| schildert, wie er und seine Freunde vom Metzger die Augen geschlachteter | |
| Tiere hingeworfen bekamen. Da beschreibt Ingrid Hannemann mit gruseliger | |
| Anschaulichkeit aber auch die Veränderung, die ihr rasenmähender Nachbar | |
| mit Anlegen seiner SA-Uniform erfährt. „Banalität des Bösen“ wird Hannah | |
| Arendt später diese Abgründe nennen, die in ganz gewöhnlichen Spießbürgern | |
| lauern. | |
| Auch aus gezielten Fragen, ausgewählten Erzählern und Erinnerungen wird | |
| natürlich keine objektive historische Quelle. Rommee geht es in ihrer | |
| Arbeit um Eindrücke, um die Nachvollziehbarkeit einer Stimmung zu jener | |
| Zeit, um „Gefühlserbschaften“. | |
| ## Subjektives als Qualität | |
| Mit dem Hinweis auf seinen Kunstcharakter wendet „Kriegskinder“ den Vorwurf | |
| des Subjektiven in eine Qualität um und grenzt sich von anderen | |
| historischen Quellen ab – auch von der Kritik, die der Oral History – der | |
| geschichtswissenschaftlichen Methode, Zeitzeugen zuzuhören – manchmal | |
| entgegengebracht wird. Ihr wird misstraut, weil Erinnerungen immer auch | |
| zugunsten des Erzählenden geprägt sind. | |
| Tatsächlich fällt in den Erzählungen auf, wie viele der Interviewten und | |
| deren Eltern sich in Opposition zum Nationalsozialismus befunden haben | |
| sollen. Das, so gibt Museumsleiter Udo Gößwald zu bedenken, läge sicher | |
| auch daran, dass die größere Bereitschaft hätten, sich zu äußern. | |
| Das Konzept von Ina Rommee reicht weit über Deutschland hinaus. Parallel zu | |
| den Neuköllner „Kriegskindern“ entstand ein Projekt mit Menschen, die von | |
| derselben Zeit berichten, allerdings aus dem damaligen Leningrad. Von 1941 | |
| bis 1944 hielt die Wehrmacht mit verheerenden Folgen die Stadt belagert. | |
| Zusammen mit den Neuköllnern könnten die Monitore in einer kombinierten | |
| Installation zu einem Kreis geschlossen werden und so die andere Seite | |
| veranschaulichen. Der Leningrad-Teil mit dem Titel „Kinder der Blockade“ | |
| wird im Rahmen der Ausstellung am 26. Januar in einer Preview gezeigt. | |
| „Neuköllner Kriegskinder“ im Museum Neukölln, Alt-Britz 81. Vernissage: | |
| Freitag, 10. Januar, 19 Uhr. Bis 5. April ist die Schau zu sehen, täglich | |
| 10–18 Uhr | |
| 10 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://museum-neukoelln.de/ausstellungen/sonderausstellung | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Bykowski | |
| ## TAGS | |
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