# taz.de -- Karamba Diaby über Sachsen-Anhalt: „Ich bin ein waschechter Ossi… | |
> Der SPD-Bundestagsabgeordnete lebt seit 1987 in Halle. Vor der Wahl in | |
> Sachsen-Anhalt spricht er über Umbrüche, Rassismus und seinen | |
> Lieblingsort: das Saaleufer. | |
Bild: In Halle zu Hause: der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby | |
taz: Herr Diaby, Sie leben seit 1987 – ein Jahr nachdem Sie zum Studium in | |
die DDR kamen – in Halle in Sachsen-Anhalt, einem vielfach geschmähtem | |
Bundesland. Was ist so schrecklich an Sachsen-Anhalt? | |
Karamba Diaby: Das negative Bild kann ich nicht bestätigen. Ich lebe seit | |
34 Jahren in Halle und habe die Stadt nie länger als vier Wochen verlassen. | |
Das sagt alles. | |
Jenseits der Witze über das „Land der Frühaufsteher“ und den Zuschreibung… | |
[1][als Hort der AfD] – woher kommen die Vorurteile? | |
Wir hatten und haben viele Umbrüche hier. Nach der Wende sind viele | |
Betriebe von der Treuhand geschlossen worden, die Mitarbeitenden wurden | |
arbeitslos, viele vor allem junge Menschen haben Sachsen-Anhalt in Richtung | |
Westen verlassen. Das sorgte für viele Konflikte innerhalb der | |
Gesellschaft. Und noch immer ist Sachsen-Anhalt ein strukturschwaches Land. | |
Je häufiger davon in den Medien die Rede ist, umso stärker verfestigt sich | |
dieses Bild in den Köpfen der Menschen. | |
Aber es hat sich doch viel getan in den vergangenen 30 Jahren. | |
Es hat sich sehr viel getan. Von einer Planwirtschaft sind wir in eine | |
Marktwirtschaft übergangen. In meinem Wahlkreis gibt es viele | |
hochinnovative Unternehmen, die den Weltmarkt beliefern. Andererseits ist | |
die soziale Einheit noch nicht verwirklicht, daran arbeiten wir. Und | |
selbstverständlich sind der Rechtspopulismus und der hohe Zuspruch zur AfD | |
nicht zu leugnen. Das ist der Zwiespalt, in dem wir hier leben. | |
Welches ist die erfolgreichste Veränderung in Sachsen-Anhalt seit dem | |
Mauerfall? | |
Da gibt es nicht nur eine, sondern viele Veränderungen: Der | |
Bevölkerungsrückgang wurde seit etwa zehn Jahren gestoppt, es sind viele | |
Arbeitsplätze entstanden, insbesondere im ökologischen Bereich, die | |
Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land konnten angeglichen werden. | |
Halle als Studierendenstadt hat eine der größten Dichte an | |
Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik überhaupt. | |
Und was ist die schönste Veränderung? | |
Für mich ist das die Sanierung der Leopoldina, der Nationalen Akademie der | |
Wissenschaften. Hierher kommen Forscher:innen aus aller Welt, das | |
verschafft Halle internationales Flair. Auch äußerlich ist die Leopoldina | |
eine Attraktion, das Gebäude wird auch oft als das „weiße Haus“ bezeichne… | |
Aber das finden die Hallenser:innen nicht richtig, sie sagen: Die | |
Leopoldina ist viel größer als das Weiße Haus in den USA und viel wichtiger | |
für die internationale Wissenschaft. | |
Ist das nicht ein bisschen größenwahnsinnig? | |
Überhaupt nicht. Denn die Leopoldina ist nicht nur eine Forschungsstätte, | |
sondern mit zahlreichen Veranstaltungen, Symposien und Vorträgen, die jeder | |
besuchen kann, vor allem für die Bürger:innen da. | |
Haben Sie einen Lieblingsort in Sachsen-Anhalt? | |
Ganz klar: die Saale. Als ich herkam, war der Fluss durch die | |
Schwermetallbelastung und die Industrie im sogenannten Chemiedreieck | |
Leuna/Buna/Bitterfeld komplett verschmutzt. Und heute? Die Saale ist so | |
sauber, dass ich jedes Mal, wenn ich mit dem Fahrrad oder zu Fuß mit meiner | |
Familie unterwegs bin, staune wie ein kleines Kind. Freunde von mir sind | |
Angler, sie schenken mir oft Fische, die sie in der Saale gefangen haben. | |
Die Region um Bitterfeld, die durch das Chemiekombinat [2][als eine der | |
dreckigsten Gegenden in der DDR galt], ist heute eine blühende Landschaft: | |
der See Goitzsche ist ein beliebtes Ausflugsziel, die Häuser sind nicht | |
mehr schwarz vom Chemieruß, die Menschen seltener arbeitslos als in anderen | |
Regionen im Bundesland. Und doch ist die AfD nach der CDU [3][dort | |
zweitstärkste Partei]. | |
Nicht wenige sind empfänglich für die menschenfeindlichen Parolen der AfD | |
und deren schlichte Einteilung der Gesellschaft in „die da oben“ und „wir | |
hier unten“. Das resultiert vor allem aus dem Glauben heraus, ihre | |
Lebensleistung in der DDR werde nicht anerkannt. | |
Das Gefühl des Abgehängtseins? | |
Manche sind finanziell tatsächlich abgehängt. Aber auch Menschen, denen es | |
monetär nicht schlecht geht, sind offen für AfD-Parolen. | |
Wie kommt man dagegen an? | |
Man muss den Menschen das Gefühl geben, dass ihnen die eigene Biografie | |
nicht abgesprochen wird, und sie mit ihren biografischen Brüchen ernst | |
nehmen. | |
Wie begegnen denn die Menschen in den AfD-Hochburgen Ihnen als Schwarzem? | |
Ich habe bislang keine negativen Erfahrungen gemacht und erlebe keine | |
rassistischen Ressentiments, wenn ich bei den Menschen vor Ort bin. | |
Es gab [4][Anschläge auf Ihr Wahlkreisbüro]. | |
Das stimmt. Aber stärker sind die Angriffe im Netz und in den sozialen | |
Netzwerken. Wenn dort die Grenzen von der Meinungsäußerung hin zu | |
rassistischen und bedrohlichen Angriffen überschritten sind, erstatte ich | |
Anzeige. Aber jedes Mal, wenn so etwas bekannt wird, erreicht mich eine | |
Welle der Solidarität. Einmal wurde ein NPD-Plakat gegen mich gepostet, | |
darauf gab es etwa 400 rassistische Beleidigungen und Bedrohungen gegen | |
mich. Daraufhin meldeten sich 131.000 Menschen, die sagten: Wir akzeptieren | |
nicht, dass gewählte Volksvertreter wegen ihrer Hautfarbe angegriffen | |
werden. | |
Schulklassen haben Unterschriften für Sie als Zeichen der Solidarität | |
gesammelt. | |
Ja, und Menschen haben Rosen in das Einschussloch in der Scheibe meines | |
Wahlkreisbüros gesteckt. Das zeigt mir: Wir sind eine offene Gesellschaft, | |
die Rechtsextremismus und Rassismus nicht duldet. Daraus tanke ich Kraft | |
und Zuversicht. | |
Haben Sie nicht trotzdem Angst? | |
Nein, ich fühle mich in Halle, in Sachsen-Anhalt, wohl. | |
Es heißt, der Rechtsextremismus ist mit dem Mauerfall erstarkt. In meiner | |
Beobachtung gab es auch in der DDR [5][eine rechtsradikale Szene], die nur | |
nicht öffentlich agieren konnte, weil sie von den staatlichen Organen | |
gedeckelt worden sind. | |
Auch wenn das unglaublich klingt: Ich habe davon erst nach der Wende in der | |
Zeitung gelesen. | |
Sie haben in der DDR nie Rassismus erfahren? | |
Ich habe in meiner abgeschotteten Studenten:innenblase und in eigenen | |
Wohnheimen für internationale Studierende gelebt, wir durften kaum Kontakt | |
zu DDR-Bürger:innen haben. Und bei den wenigen Begegnungen mit ihnen beim | |
Einkaufen gab es keine rassistischen Beleidigungen. | |
Hat es Sie gestört, in der DDR in einer Gated Community leben zu müssen? | |
Ich hatte damals vor allem ein Gefühl der Dankbarkeit. Ich bin als Waise | |
zunächst bei meiner Schwester in Senegal aufgewachsen, habe erfolgreich | |
Abitur gemacht, konnte aber nicht studieren, weil die Familie kein Geld | |
hatte. In der DDR konnte ich studieren, ich bekam ein Stipendium und war | |
darüber einfach nur glücklich. Ich konnte lernen, ohne dass die Familie | |
einen Cent dafür bezahlen musste. | |
Sie wurden promovierter Chemiker, SPD-Mitglied und 2013 der erste schwarze | |
Bundestagsabgeordnete. Letzteres wird immer wieder rausgestellt. Nervt Sie | |
das nicht? | |
Der Bezug auf meine Hautfarbe ist ein Armutszeugnis. Nach meiner Kandidatur | |
waren über 130 Journalist:innen aus aller Welt bei mir, von der New | |
York Times über Al Jazeera bis hin zur Super-Illu. Der Spiegel titelte den | |
Text über mich damals mit „Das Experiment“, Unterzeile „Ein Schwarzer | |
kandidiert in der Hochburg der Nazis“. | |
Fühlten Sie sich benutzt als Medienobjekt? | |
Das würde ich so nicht sagen. Die mediale Aufmerksamkeit hat dazu geführt, | |
dass ich mehr Raum für meine politischen Themen bekam und ein realistisches | |
Bild von Halle vermitteln konnte. | |
Wie haben Sie das gemacht? | |
Ich habe allen Journalist:innen meine Stadt gezeigt und ihnen erklärt, | |
dass ich die Lebensläufe und die Schicksale der Menschen hier ganz genau | |
kenne. Ich lebe ja schon so lange hier, im Grunde bin ich ein waschechter | |
Ossi. | |
Wie ist denn – so als waschechter Ossi – Ihr Verhältnis zur Linkspartei? | |
Im Gegensatz zu manchen meiner Parteikolleg:innEn, die in der DDR Dinge | |
erlebt haben, die sie nie vergessen werden und daher verständlicherweise | |
große Vorbehalte gegen die Linkspartei haben, arbeite ich mit einigen | |
Personen der Partei zusammen. Denn inhaltlich gibt es Schnittmengen | |
zwischen beiden Parteien: Arbeitsmarkt, Bildung, Soziales. Aber es gibt | |
auch viele Differenzen, Stichworte sind hier: Bundeswehreinsätze, die | |
Zusammenarbeit mit der Nato, Europapolitik. | |
Wird die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt eine Auswirkung auf die | |
Bundestagswahl haben? | |
Das glaube ich nicht. Erstens ist die Wähler:innen- und Parteienbindung im | |
Osten geringer als im Westen, die Wählerwanderung von beispielsweise der | |
CDU zur AfD in Sachsen-Anhalt kann größer ausfallen, als bislang angenommen | |
wird. Das kann man nicht unbedingt übertragen auf westdeutsche | |
Bundesländer. Und zweitens sind sämtliche Wahlen in diesem Jahr stark von | |
der Pandemie bestimmt. Und da kann die Lage im September zur Bundestagswahl | |
schon ganz anders sein. | |
5 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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