# taz.de -- Kampf gegen AfD in Ostdeutschland: Das Orchester neu aufstellen | |
> Die AfD wird bald auf allen Ebenen der Politik vertreten sein. Es liegt | |
> nun an den anderen Parteien, sie aus dem Erfolgstakt zu bringen. | |
Bild: Erfurt, 29. April: Protest gegen eine Großdemo der AfD | |
Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und | |
Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz | |
zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein? | |
Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um | |
ihre Existenz? | |
Das [3][neue Jahr] hat begonnen, und die Warnungen vor einem Durchmarsch | |
der AfD bei den Wahlen in Ostdeutschland sind in allen Medien. Werden die | |
Zeichen der Zeit für 2024 nun erkannt? Das ist zu hoffen. Denn um bis zu | |
den Wahlen einen realistischen Blick für den von der AfD bespielten | |
Resonanzraum, gerade in Ostdeutschland, zu gewinnen, bleibt nicht viel | |
Zeit. | |
Zu diesem realistischen Blick gehört die Erkenntnis; die AfD steht selbst | |
dann vor der Teilhabe an Macht, sollte sie bei den kommenden Landtagswahlen | |
in Sachsen, Thüringen und Brandenburg „nur“ 30 Prozent und nicht etwa, wie | |
teilweise prognostiziert, 35 Prozent bekommen. Die Erleichterung darüber | |
hätte einen bitteren Geschmack. | |
Neben dem berechtigten Fokus der öffentlichen Wahrnehmung auf die drei | |
ostdeutschen Landtagswahlen geraten die [4][ebenfalls in diesem Jahr | |
anstehenden Kommunalwahlen] aus dem Blick. Bislang ist die AfD in den | |
Kommunalgremien zwar vertreten. Die Übernahme von Landrats- und | |
Oberbürgermeisterämtern blieb ihren Kandidaten, abgesehen von wenigen | |
Ausnahmen wie zuletzt im sächsischen Pirna, versagt. | |
Will die Partei künftig realen Einfluss vor Ort nehmen, braucht sie die | |
lokale Verankerung, die ihr derzeit fehlt. Es sind die | |
Stadtverordnetenversammlungen, Kreis- und Gemeinderäte, in denen | |
verwaltungsrechtliche und politische Kompetenzen erworben, Einflussbereiche | |
aufgebaut und wirksame Entscheidungen erstritten und getroffen werden. | |
In den gewählten Gremien der Städte und Gemeinden wird konkreter über das | |
Zusammenleben entschieden, als die vielerorts geringe Beteiligung an | |
Wahlgängen für kommunale Ämter vermuten lässt. Die jeweiligen | |
Landeshauptstädte, gar Berlin, sind weit weg, wenn vor Ort über Kirmes, | |
Straßenbeleuchtung und die Öffnungszeiten des Kindergartens entschieden | |
wird. Diese Orientierung an Sachfragen führt zu der Auffassung, vor Ort | |
gehe es nicht um die große Politik, nicht um Ideologie, dort werde | |
pragmatisch, am Wohl der Bürger orientiert entschieden. Doch das Gegenteil | |
ist der Fall. Lokale Entscheidungen nehmen Einfluss auf elementare Fragen | |
der Umsetzung von Gesellschaftspolitik. Lokale Akzentsetzungen machen einen | |
spürbaren Unterschied für das Leben von Familien, die Arbeit lokaler | |
Unternehmen oder die Klimapolitik vor Ort. | |
In der AfD weiß man, dass es auf dem Weg zu einer rechten autoritären | |
Umgestaltung des Landes nicht ausreicht, in den Landtagen mit starken | |
Fraktionen vertreten zu sein. Ziel der AfD ist es 2024, [5][auf lokaler | |
Ebene jenen Wachstumsprozess nachzuholen], den sie in den Landtagen seit | |
dem Jahr 2014 absolviert hat. Wichtigster Faktor der Normalisierung der AfD | |
sind nicht in erster Linie die Reden Björn Höckes im Erfurter Landtag. | |
Ihre bisherigen, gemessen an ihren Zielen, bescheidenen Erfolge erreichte | |
die AfD bei lokalen Wahlen mit einer scheinbar paradoxen Strategie. Während | |
der Sonneberger Landrat Robert Sesselmann in seinem Wahlkampf regionale | |
Themen aussparte und auf die Bundespolitik verwies, ging der | |
AfD-Bürgermeister-Kandidat Hannes Loth in Raguhn-Jessnitz genau gegenteilig | |
vor. Er dethematisierte die ideologischen Zuspitzungen der AfD weitgehend | |
und setzte sich als lokaler Kümmerer in Szene. | |
Dass auch er kommunal keine Wunder vollbringen kann, zeigte sich in den | |
ersten Monaten seiner Amtszeit. Die These aber, die AfD werde sich, einmal | |
zu Ämtern gelangt, entzaubern, geht ins Leere. Die Partei wird nicht für | |
ihre Lösungskompetenz gewählt, sondern aus Gründen der inhaltlichen | |
Übereinstimmung oder der Ablehnung des Politikbetriebs der anderen | |
Parteien. | |
Die AfD will ihrer Wählerschaft weismachen, sie könne die Menschen vor der | |
gesamten Symptomatik der gegenwärtigen Krisen beschirmen. Alle Umfragen zur | |
Kompetenz der AfD zeigen, dass die Menschen der Partei das eigentlich nicht | |
zutrauen. Dies bedeutet, dass die AfD gerade kommunalpolitisch alles andere | |
als unbesiegbar ist. Lokal gut vernetzte Kommunalpolitiker können gegenüber | |
der AfD offensiv ihre Stärke ausspielen. Ihre Präsenz und Ansprechbarkeit | |
in überschaubaren Sozialräumen, umfängliche Ortskenntnis und persönliche | |
Authentizität können das von rechts verbreitete Bild von den vom „wahren | |
Leben“ enthobenen Bürokraten korrigieren. | |
Die Skepsis gegenüber Parteien ist in Ostdeutschland in den letzten Jahren | |
wieder gewachsen. Die Bereitschaft, sich in einer Partei zu engagieren, ist | |
auch aus zeitgeschichtlichen Gründen gering. Händeringend werben deshalb | |
die Parteien in den Regionen selbst mit offenen Listen um lokales | |
politisches Engagement. Das ist gut, reicht aber nicht. Die AfD zielt | |
gerade auf den vorpolitischen Raum, um eine Deutungshoheit zu erobern, die | |
über eine Legislaturperiode im Stadtrat oder Landtag hinausreicht. Die | |
Wirkung dessen sollte nicht unterschätzt werden. | |
Es gilt sich endlich von der [6][Fixierung auf die Erfolge der AfD] zu | |
lösen, um ihre Niederlagen eingehend zu studieren. Aus diesen lässt sich | |
für die demokratische Kultur lernen. Wo eine aktive Bürgergesellschaft | |
Solidarität lebt, Erfolge sichtbar macht und dennoch lokale Widersprüche | |
thematisiert, Teilhabe an Veränderungsprozessen im Ort offeriert und | |
umsetzt, kann es gelingen, jene Wählerschaft zu gewinnen, die dem Gang | |
gerade der lokalen Angelegenheiten resigniert oder gleichgültig | |
gegenübersteht. | |
Diese gilt es zu gewinnen, statt sich wiederkehrend an der Agenda der AfD | |
und ihrer Anhängerschaft abzuarbeiten. Die lokal in manchen Regionen | |
Ostdeutschlands sehr lauten rechtsextremen Mobilisierungen im Dreieck | |
zwischen Reichsbürgern, Verschwörungsgläubigen und AfD-Umfeld können nur | |
mit den Kräften der örtlichen Zivilgesellschaft übertönt werden. Es ist | |
Zeit, das eigene Orchester neu zu arrangieren, um die AfD aus dem | |
Erfolgstakt zu bringen. | |
9 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946 | |
[2] https://blogs.taz.de/hausblog/was-auf-dem-spiel-steht/ | |
[3] /Wo-2024-gewaehlt-wird/!5981102 | |
[4] /Politologe-ueber-Kommunalpolitik/!5980449 | |
[5] /Politologe-ueber-Kommunalpolitik/!5980449 | |
[6] /Neue-AfD-Verbotsdebatte/!5979903 | |
## AUTOREN | |
David Begrich | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Ostdeutschland | |
Kommunalpolitik | |
GNS | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
GNS | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Kommunalwahlen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
AfD-Bürgermeister in Sachsen: Normalisierung und ihre Folgen | |
Großschirma hat Rolf Weigand (AfD) zum Bürgermeister gewählt. Sein | |
Vorgänger litt unter rechten Anfeindungen – und hatte sich das Leben | |
genommen. | |
Rassistische Vorfälle in Brandenburg: Rassismus-Eklat bleibt unaufgeklärt | |
Die Ermittlungen nach Eskalationen in Heidesee sind eingestellt – eine | |
Schulklasse war nach Bedrohungen unter Polizeischutz abgereist. | |
Correctiv-Recherche: Rechte profitieren von Enthüllungen | |
Für die AfD und Rechtsextremist Martin Sellner ist es ein großer Erfolg, | |
dass ihr „Geheimtreffen“ aufflog. Ihre Schlagworte sind jetzt in aller | |
Munde. | |
Enthüllungen über AfD-Geheimtreffen: Entsetzen über Vertreibungs-Pläne | |
AfDler planten, Deutsche mit Migrationshintergrund zu vertreiben. Kanzler | |
Scholz sieht einen „Fall für unseren Verfassungsschutz und die Justiz“. | |
Streit um Unvereinbarkeitsliste: AfD streitet um Neonazis | |
Der AfD-Bundesvorstand hat die rechtsextreme Gruppe „Revolte Rheinland“ auf | |
seine „Unvereinbarkeitsliste“ gesetzt. Das Lager um Höcke ist sauer. | |
Neue AfD-Verbotsdebatte: Kurzfristig hilft nur Solidarität | |
Ja, ein Verbot der AfD sollte weiter eine Option bleiben. Aber das | |
entlastet nicht von einer konsequenten gesellschaftlichen | |
Auseinandersetzung. | |
Kolumne Liebeserklärung: Her mit der Kommunalpolitik! | |
In drei Wochen wählt Europa – zugleich finden in zehn Ländern | |
Kommunalwahlen statt. Nur: Wen interessiert das? Eine Ehrenrettung. |