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# taz.de -- AfD-Bürgermeister in Sachsen: Normalisierung und ihre Folgen
> Großschirma hat Rolf Weigand (AfD) zum Bürgermeister gewählt. Sein
> Vorgänger litt unter rechten Anfeindungen – und hatte sich das Leben
> genommen.
Bild: Mit Hetze zum Wahlerfolg: Rolf Weigand (AfD) aus der völkischen Parteist…
Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und
Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz
zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein?
Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um
ihre Existenz?
Berlin taz | Während am Sonntag in Wiesbaden, Erfurt, Nürnberg, Würzburg
und anderen Städten erneut Zehntausende gegen Rechtsextremismus auf die
Straße gegangen sind, haben die 4.400 Wahlberechtigten der sächsischen
Kleinstadt Großschirma einen AfD-Bürgermeister mit 59,4 Prozent der Stimmen
gewählt. Der AfD-Landtagsabgeordnete Rolf Weigand brauchte nur einen
Wahlgang und ist damit bereits der zweite Bürgermeister der [3][AfD in
Sachsen] – nach Pirna, wo die AfD sogar einen Oberbürgermeister stellt.
Weigand setzte sich gegen einen Kandidaten einer unabhängigen
Bürgervereinigung (22,3 Prozent) und einen CDU-Mann (18,2 Prozent) durch.
Die Wahlbeteiligung lag bei 73,9 Prozent.
Der Ausgang der Wahl in Großschirma zeigt nicht nur, wie Stadt und Land
auseinanderdriften. Er zeigt auch wie unter einem Brennglas, was die
regionale politische Alltagskultur in ländlichen Regionen, in denen die AfD
durch eine rechte Hegemonie weitgehend normalisiert ist, für diejenigen
bedeutet, die sich der [4][AfD] entgegenstellen.
Stattfinden nämlich musste die vorgezogene Wahl, nachdem sich der bisherige
Amtsinhaber Volkmar Schreiter im Oktober 2023 das Leben genommen hatte.
Zuvor war er jahrelang von rechts angefeindet worden, [5][wie die Freie
Presse verdienstvoll recherchiert hat]. Insgesamt war Schreiter 19 Jahre
lang Bürgermeister in Großschirma. Er war FDP-Mitglied, bekannt aber vor
allem als pragmatischer Verwaltungschef.
Eigentlich hatte Schreiter schon 2018 mit dem Ruhestand geliebäugelt, aber
als die AfD antrat, entschloss er sich, noch einmal dagegenzuhalten.
Überliefert ist das Zitat: „Jedem anderen würde ich es überlassen. Aber
nicht einem Kandidaten von dieser Partei.“
## Zermürbende Fundamentalopposition
Sein Konkurrent damals: der nun gewählte Weigand, der damals noch deutlich
unterlag, aber aus dem Stand 40 Prozent holte. Im Wahlkampf gab es
beschmierte Wahlplakate und ausdauernde Anfeindungen gegen den Amtsinhaber,
die auch nach der Wahl nicht abrissen: Bei seiner Vereidigung ließ der
AfD-Politiker dem Bürgermeister ein Vergissmeinnicht überreichen, was viele
als Drohung verstanden.
Im Stadtrat fuhr Weigand anschließend eine Taktik der zermürbenden
Fundamentalopposition gegen den Verwaltungschef, Stadtratssitzungen zogen
sich in die Länge, Weigand allein reichte sechs Dienstaufsichtsbeschwerden
gegen Schreiter ein. Großschirma ist in Sachen Anfeindung kein Einzelfall.
Eine Studie von 2021 zeigte, dass 72 Prozent der Bürgermeister in
Deutschland bereits beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden – im
Zuge der Pandemie hat sich der Trend verstärkt.
Warum Schreiter sich das Leben genommen hat, ist nicht abschließend
geklärt, einen Abschiedsbrief hinterließ er nicht. Sicher ist: Er litt
unter Depressionen, hatte eine Auszeit wegen Burnouts genommen. Viele in
der Gemeinde sind sich sicher, dass die permanenten Anfeindungen von rechts
damit zu tun haben.
Der Pfarrer Justus Geilhufe der 5.500- Einwohner*innen-Gemeinde im
Landkreis Mittelsachsen hatte bei seiner Trauerfeier laut der Freien Presse
gesagt: „Wie soll das Leben gehen, wenn der andere kein Streitpartner mehr
ist, sondern einer, der am Ende wegmuss, weil er der Macht des anderen im
Weg steht? Es ist nicht dieser Tod, der unser Zusammenleben erschüttert.
Dieser Tod ist das Ergebnis dessen, dass unser Zusammenleben lange schon
erschüttert ist.“
## Verrohung der Stimmung
Auch in Großschirma war vor allem nach Pegida zusehends die Stimmung
verroht. Schon bei der Bundestagswahl 2017 holte die AfD hier starke
Ergebnisse. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Heiko Hessenkemper verbreitete
Verschwörungsideologien vom „Großen Austausch“ und redete mit NS-Vokabular
von „Umvolkung“.
Der neue AfD-Bürgermeister, Rolf Weigand, 39 Jahre, war Vorsitzender der
selbst innerhalb der AfD als besonders radikal geltenden Jugendorganisation
Jungen Alternative. Sowohl diese als auch die AfD Sachsen sind mittlerweile
vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Weigand selbst ist Treiber der Radikalisierung: Er besuchte Treffen des
völkischen Höcke-Flügels, im Landtag fiel er mit rassistischen Forderungen
auf wie die nach einer Liste aller gebärfähigen Frauen, aufgeschlüsselt
nach Nationalität und Staatsangehörigkeit. Er ist mit der extrem rechten
Identitären Bewegung vernetzt. Weigand wollte Plakate hängen gegen
Geschlechtergerechtigkeit, die selbst die Bild für eine widerliche Kampagne
hielt.
Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich sagte der taz: „Große
Demonstrationen in großen Städten gegen die AfD finden in einer von
ostdeutschen Kommunen getrennten Sphäre statt. Metropolregion und
Peripherie driften absehbar politisch auseinander.“ Das Wahlergebnis setze
den Prozess der Normalisierung fort – „eine Entwicklung, die in den
Kommunalwahlen im Sommer noch stärker zu Tage treten wird“, so Begrich.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es
auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.
4 Mar 2024
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946
[2] https://blogs.taz.de/hausblog/was-auf-dem-spiel-steht/
[3] /AfD-Sachsen/!t5571779
[4] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
[5] https://www.freiepresse.de/mittelsachsen/freiberg/ein-leben-fuer-grossschir…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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