# taz.de -- Joe Biden als US-Präsident vereidigt: Beschwören der Einigkeit | |
> Bidens Antrittsrede war eine Selbstvergewisserung, dass die USA noch | |
> funktionieren. Und ein Gegenentwurf zum Ethno-Nationalismus der letzten | |
> Jahre. | |
Bild: „So wahr mir Gott helfe“: Joe Biden beim Amtseid vor dem Capitol | |
BERLIN taz | Es war der erwartete Aufruf zur Einigkeit, zu dem Joe Biden | |
seine Antrittsrede als gerade neu vereidigter Präsident nutzte. Kein Wort | |
kam so oft in seiner rund 20-minütigen Ansprache vor wie „unity“ und | |
„united“. Biden erwähnte praktisch keine politischen Vorhaben, er sprach | |
nicht über die ersten 100 Tage, über Infrastrukturprogramme oder | |
Coronahilfen. | |
Was zu anderen Zeiten eine einfach nur kitschige Wie-toll-ist-Amerika-Rede | |
gewesen wäre, war an diesem Tag, nur Stunden, nachdem Donald Trump am | |
Morgen das Weiße Haus und [1][die US-Hauptstadt] verlassen hatte, das | |
Eingeständnis, wie sehr die letzten Jahre die Grundfesten der | |
US-amerikanischen Demokratie erschüttert haben. | |
Es gebe viel zu reparieren, wiederherzustellen und zu heilen, sagte Biden. | |
Politischer Extremismus und White Supremacy – der Gedanke der Überlegenheit | |
der Weißen – werde besiegt werden. Mit Rassismus, Ungleichheit und der | |
Pandemie gebe es große Herausforderungen. Und: Aus Gier nach Macht und | |
Profit verbreitete Lügen müssten bekämpft, der Wahrheit zum Durchbruch | |
verholfen werden. | |
Die Rede, genau wie die begleitenden Worte der anderen Redner*innen und | |
der jungen Schwarzen Dichterin [2][Amanda Gorman] im Anschluss, standen | |
klar unter dem Eindruck der [3][Ausschreitungen vom 6. Januar], als ein von | |
Präsident Trump aufgeheizter Mob just jene Tribüne und die Hallen des | |
Kapitols in Washington stürmte, wo jetzt die Amtseinführung stattfand. Der | |
Mob habe „geglaubt, er könne durch Gewalt den Willen des Volkes zum | |
Schweigen bringen. Aber das ist nicht geschehen, und es wird auch nicht | |
geschehen, nicht heute nicht morgen, niemals!“ rief Biden. Die Demokratie | |
habe sich durchgesetzt. | |
## Schweigeminute in der Antrittsrede | |
Die Zeiten, in denen er sein Amt antritt, beschrieb Biden als eine „Kaskade | |
von Krisen“: Spaltung, Wirtschaftkrise, Pandemie. Die Lösung, die er fast | |
flehend anbot: Unity, Einigkeit. Nicht jede Meinungsverschiedenheit dürfe | |
zum Krieg untereinander führen, und die Umsetzung eines politischen | |
Programmes dürfe keine Schneise von Zerstörung hinterlassen. Biden sprach | |
über Trump, erwähnte ihn aber kein einziges mal. | |
Die Rede war wie eine Selbstvergewisserung, dass die USA doch noch | |
funktionieren. Und der Versuch, „Amerika“ zu definieren – mit einer Show | |
multikulturellen, multiethnischen weltoffenen Patriotismus als Gegenentwurf | |
zum weißen „America First“-Ethnonationalismus der letzten vier Jahre. | |
Man kann es kitschig finden, wenn die als Tochter puertoricanischer Eltern | |
geborene Jennifer Lopez „This land is your land“ singt, den alten Song des | |
Hobo-Folksängers Woody Guthrie – aber das Zeichen, was damit gesetzt werden | |
sollte, war stark. Und dann rief sie in ihrem Medley noch auf spanisch | |
„justicia para todos!“ aus, Gerechtigkeit für alle! | |
Mehr als deutlich machte Biden, dass er einen grundsätzlich anderen Umgang | |
mit der Coronapandemie vorhat als sein Vorgänger. Und er war vermutlich der | |
erste Präsident, der in seiner Antrittsrede, diesem Moment von Aufbruch und | |
Freude für die eigenen Anhänger*innen, um eine Schweigeminute bat – ein | |
stilles Gebet für die über 400.000 US-Amerikaner*innen, die bislang im | |
Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind, mehr als im gesamten Zweiten | |
Weltkrieg. | |
Der historische Moment war ohne Zweifel die Vereidigung der ersten | |
Schwarzen, asiatisch-amerikanischen weiblichen Vizepräsidentin Kamala | |
Harris. Und die Einführung des ersten „Second Gentleman“, ihres Mannes | |
Douglas Emhoff. Wann immer auf diesem Umstand hingewiesen wurde, brach | |
großer Jubel auf der Tribüne aus, wo die üblichen Honoratioren, | |
Kongressmitglieder und Ex-Präsidenten saßen. | |
Donald Trump hatte seine Teilnahme abgesagt und damit erneut mit einer | |
Tradition der friedlichen Machtübergabe von einer Regierung zur nächsten | |
gebrochen. Aber sein Vizepräsident Mike Pence samt Ehefrau waren | |
erschienen. Etwas verloren standen sie in einer Ecke der Tribüne, | |
applaudierten aber doch bei der Vereidigung seiner Nachfolgerin. Und für | |
einen kurzen Moment konnte man glauben, dass die Heilung, die Joe Biden | |
sich auf die Fahne geschrieben hat, doch funktionieren könnte. | |
Er, dieser Moment, wird nicht lang anhalten. „Wir werden in irgendeiner | |
Form zurückkehren“, hatte Trump am Morgen auf dem Militärflugplatz Andrews | |
im Bundesstaat Maryland nahe Washington bei seinem Abschied aus der | |
Hauptstadt gesagt. Er dürfte Recht haben. | |
20 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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