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# taz.de -- Jérôme Boateng wieder vor Gericht: Verprügelt, verletzt, verstum…
> Häusliche Gewalt im Profifußball bleibt zu oft ungeahndet. Es braucht
> mehr Einblick in die verantwortlichen Machtstrukturen.
Bild: Wissenslücken müssen gefüllt werden, um Gewalt verhindern zu können
Am Freitag soll wieder einmal eine 34 Jahre alte Frau namens Sherin S. vor
Gericht treten und im Detail aussagen, wie sie von ihrem Ex-Partner
geschlagen, bespuckt, gebissen und beleidigt worden sei. Wenn es so läuft
wie in den vorigen Prozessen, wird sie den Ablauf der Ereignisse
beschreiben, sie wird auf sehr genaue Fragen antworten, es wird um
Körperteile gehen, um Hämatome, abgeschürfte Stellen und die Frage, wie die
Verletzungen entstanden sind.
Häusliche Gewalt ist ein verbreitetes Delikt, und doch ist der Fall ein
Sonderfall: Denn der Ex-Partner von Sherin S. heißt Jérôme Boateng und war
mehrfach Fußballnationalspieler. Er steht inzwischen [1][das dritte Mal vor
Gericht], und schon die beiden vorigen Prozesse öffneten den Blick in eine
Welt, aus der Vorwürfe meist nicht nach außen dringen.
Bei [2][einer Recherche im November 2022] haben wir bei Correctiv gemeinsam
mit der Süddeutschen Zeitung über mehrere Fälle von häuslicher Gewalt bei
Profifußballern berichtet und ein System aufgedeckt, in dem Gewalt
weggeschwiegen und betroffene Frauen mal subtil und mal brachial
eingeschüchtert werden.
Der Fall Jérôme Boateng ermöglicht es, einen Blick hinter die Fassade des
Milliardenspektakels Profifußball zu werfen. Die Vorwürfe gegen Boateng
sind lange bekannt, er soll S. im Juli 2018 in einem Karibik-Resort
angegriffen und verletzt haben. Er selbst hat dies immer bestritten. In
zwei Instanzen wurde er schuldig gesprochen, das jüngste Urteil wurde wegen
eines Verfahrensfehlers aufgehoben, deshalb beginnt das Verfahren jetzt von
vorne.
## Enormes Machtgefälle
Das [3][Verhältnis zwischen Spieler und Spielerfrau ist oft gekennzeichnet
von einem enormen Machtgefälle]; kommt Gewalt ins Spiel, fühlen sich die
Frauen oft ausgeliefert. Die meisten schweigen, manche lassen sich mit Geld
ruhigstellen, andere fügen sich aus Angst. Mehrere der Frauen sagen: Die
Spieler sind geschützt von einem Panzer aus Macht, Status und Geld und
einem Apparat aus Beratern, Managern, Anwälten, die sie und ihr Image
abschirmen.
Unsere Recherche zeigte auch: Es sind nicht nur betroffene Frauen, die den
Mund halten, sondern auch viele Journalisten. Einzelfälle geraten immer mal
in die Schlagzeilen, vor allem, wenn sie polizeibekannt werden. Aber dann
verschwinden die Berichte oft schnell wieder aus den Medien. Nach unserer
Recherche ist Bewegung in das Thema gekommen; viele Medien haben die
Berichte aufgegriffen. Besonders laut tönte aber die Stille in den großen
Fußballmagazinen.
Das liegt zum einen an den juristischen Risiken: Profifußballer sind
klagefreudig, und sie können teure, langwierige Verfahren finanzieren. Ich
kenne zum Beispiel einen Fall, bei dem die Anwältin eines Fußballers an
vier unterschiedlichen Landgerichten Anträge gestellt hat, um gut
dokumentierte Vorwürfe von besonders brutaler Gewalt ihres Mandanten zu
unterdrücken; letztlich erfolgreich.
Die Abhängigkeit der Sport- und Boulevardmedien vom Fußball spielt dabei
eine vielleicht noch größere Rolle. Journalisten fürchten, Zugänge zu
verlieren, wenn sie zu kritisch berichten. Bei der Recherche erfahren wir
von Fußballmanagern, die Tageszeitungen drohen, keine Interviews mehr mit
Spielern zu ermöglichen. Mehrfach hören wir von Reportern, denen die
Berater exklusive Storys anbieten, wenn sie dafür einen für die Spieler
unangenehmen Vorfall diskret liegenlassen.
## Skandale in den Boulevardmedien drohen
Mehrere Frauen sagten uns, dass ihre Ex-Partner ihnen damit drohten,
Skandalgeschichten und vernichtende Artikel über sie in Boulevardmedien zu
lancieren. Dass das tatsächlich funktioniert, zeigt auch der Fall Boateng:
Der Spieler gab Anfang 2021 ein Interview in der Bild-Zeitung, in dem er
seine Ex-Partnerin Kasia Lenhardt mit [4][lauter demütigenden Schmähungen]
überzog. Es folgte eine Hasswelle im Internet, und einige Tage später war
sie tot, [5][offenbar Selbstmord].
Zuvor hatte Lenhardt eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichnet,
darin sicherte sie zu, über alle Details ihrer Beziehung zu Boateng
Stillschweigen zu bewahren. Solche Knebelverträge, Englisch: Non Disclosure
Agreements, NDAs, sind ein Instrument, mit dem Prominente sich ihre eigenen
Gesetze schaffen. Psychologisch haben sie sich als sehr wirksam erwiesen.
Zurück zu Sherin S.: Sie hatte keinen NDA unterzeichnet, dies scheint lange
auch nicht nötig gewesen zu sein. Vor Gericht sagte sie, Boateng habe sie
bereits vorher häufiger geschlagen. Warum sie nicht schon eher Anzeige
erstattet habe, fragte der Richter. Sie habe lange gezögert, sagte sie,
wegen der Kinder, wegen seines Status. Es gibt viele Gründe, zu schweigen.
Gabriela Keller ist Investigativreporterin beim Medienhaus Correctiv und
recherchiert schwerpunktmäßig zu struktureller Gewalt gegen Frauen, rechten
Netzwerken und dubiosen Firmenkonstrukten.
13 Jun 2024
## LINKS
[1] /Verurteilung-des-Ex-Nationalspielers/!5797097
[2] https://correctiv.org/top-stories/2022/10/14/machtmissbrauch-profi-fussball/
[3] /Machtmissbrauch-durch-Fussballprofis/!5885703
[4] /Tod-des-Models-Kasia-Lenhardt/!5746382
[5] /Podcast-zu-Kasia-Lenhardt/!5996496
## AUTOREN
Gabriela Keller
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