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# taz.de -- Podcast zu Kasia Lenhardt: Rekonstruktion ohne Interpretation
> Der Podcast „NDA“ beschäftigt sich mit dem Suizid von Boatengs
> Ex-Freundin Kasia Lenhardt. Eine gute Recherche, die narratives Potential
> verschenkt.
Bild: Kasia Lenhardt 2018 in Berlin
Kasia Lenhardt ist 16 Jahre alt, als sie im Finale von „Germany’s Next
Topmodel“ steht. Sie ist 24, als ihre Beziehung mit Profi-Fußballer Jérôme
Boateng öffentlich bekannt wird. [1][Sie ist 25, als sie Suizid begeht.]
Das Leben des Models war kurz und hat gerade in den letzten Jahren unter
Beobachtung der Öffentlichkeit stattgefunden. Nach dem Ende der
On-Off-Beziehung zwischen Boateng und Lenhardt gibt es im Boulevard fast
jeden Tag eine neue Nachricht über die beiden. Kleinste Beziehungsdetails
werden öffentlich breitgetreten. Boateng wirft ihr im Bild-Interview vor,
ihn zerstören zu wollen. Er diskreditiert sie als alkoholkrank und stellt
sie als rachsüchtige Ex-Freundin dar. Der Presserat rügt die Bild, aber das
Narrativ ist in der Welt. Viele Fans halten zu Boateng, Lenhardt wird in
sozialen Medien mit Hassnachrichten und Drohungen geflutet.
Nach Kasia Lenhardts Tod wird kritischer auf diese Berichterstattung
geschaut: Eine Debatte über [2][Cybermobbing] und die Verantwortung von
Boulevardmedien entbrennt. Und immer wieder steht die Frage im Raum: Hat
die Berichterstattung beim Suizid der jungen Mutter eine Rolle gespielt?
Drei Jahre später widmet sich nun der neue Spiegel-Podcast „NDA:
Geschichten, die nicht erzählt werden sollen“ diesem Tod. In sechs Episoden
rekonstruieren die Journalistinnen Nora Gantenbrink und Maike Backhaus den
Fall. Beide beschäftigen sich seit Jahren damit. Für den Podcast haben sie
noch einmal Zeugenaussagen, Akten und Beweise ausgewertet, inklusive des
letzten Handys Kasia Lenhardts, auf dem sich Dutzende Sprachnachrichten an
Boateng, seine (Ex-)Freundinnen, ihre Familie oder Freund_innen befinden.
In diesen beschuldigt Lenhardt Boateng, sie körperlich angegriffen zu
haben.
Diese Sprachnachrichten direkt auf dem Ohr zu haben, ist intensiv. Die Wut
und Verzweiflung von Lenhardt zu hören fast unaushaltbar. Denn immer wieder
fragt man sich als Zuhörer_in: Hätte ihr denn niemand helfen können? Etwa
als Lenhardt eine Art Geheimhaltungsvertrag unterzeichnet, eine sogenannte
Non Disclosure Agreement (NDA), die dem Podcast den Namen gibt. Der Vertrag
lässt sie glauben, dass sie sich nicht öffentlich zu ihrer (Ex-)Beziehung
äußern darf.
## Perspektive der Anwälte
Die Journalistinnen können weder zweifelsfrei belegen, dass es Gewalt in
der Beziehung gegeben hat, noch was der Auslöser für Lenhardts Suizid war.
Der Podcast verharrt im Konjunktiv: Hätte, wäre, mutmaßlich, sollte.
Boatengs Perspektive auf den Fall kommt nicht vor, er wollte nicht mit dem
Spiegel sprechen. Dafür wird die Perspektive seiner Anwälte regelmäßig
wiederholt: Sie wollen auf die Fragen der Journalistinnen nicht eingehen,
aber sagen, viele Sachverhalte hätten sich gänzlich anders zugetragen.
Der Podcast ist eine gelungene Rekonstruktion eines möglichen Falls von
häuslicher Gewalt. Gantenbrink und Backhaus erklären den Zuhörer_innen,
warum sie so viel im Konjunktiv sprechen, wie so eine Recherche abläuft und
auch wo sie ins Leere läuft oder sich Sachverhalte widersprechen oder
uneindeutig sind. Doch wo der Podcast mit Transparenz punktet, enttäuscht
er narrativ. Dem Spiegel gelingt es leider nicht, eine gute Recherche als
gutes Audiostück umzusetzen.
Das liegt daran, dass er auf der Ebene der Nacherzählung verharrt.
Metaebenen wie die Verantwortung der Boulevardmedien, Cybermobbing oder
[3][Männlichkeitsbilder im deutschen Fußball] werden nicht tiefergehend
behandelt. Hinzu kommt, dass er das Potenzial von Storytelling-Podcasts
nicht ausschöpft: Die Zuhörer_innen kommen den Hosts nicht nahe, dabei sind
sie die Einzigen, die direkt zu Wort kommen. Ihr Text klingt zu großen
Teilen wie vorgelesen und auch die eingespielten Sounds – vom Torjubel über
Feuerwerksgeräusche – überzeugen nicht.
Anhören sollte man den Sechsteiler trotzdem, liefert er doch eine
detailreiche Chronik von der Beziehung zwischen Boateng und Lenhardt. Diese
verdeutlicht wieder einmal, wie schwer es mutmaßlichen Opfern von
häuslicher Gewalt gemacht wird – gerade wenn der mutmaßliche Täter ein
Promi ist. Ein Promi, der noch immer aktiver Fußballer ist und gegen den ab
Juni ein neuer Prozess beginnt, um die Frage zu klären, ob er seine
Ex-Freundin attackiert und beleidigt hat.
21 Mar 2024
## LINKS
[1] /Tod-des-Models-Kasia-Lenhardt/!5746382
[2] /Tod-des-Models-Kasia-Lenhardt/!5746382
[3] /Beraterin-Dobler-ueber-Gewalt-im-Sport/!5903630
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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