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# taz.de -- Verurteilung des Ex-Nationalspielers: Boatengs Fall
> Wegen Körperverletzung an seiner Ex-Freundin wurde Jérôme Boateng
> verurteilt. Nicht der erste Fall häuslicher Gewalt im Profisport.
Bild: Boateng und sein Verteidiger im Gespräch
Zur eigenen Verteidigung fiel dem Weltklasseverteidiger nur das ein, was
von Männern in solchen Prozessen oft gesagt wird: Gestürzt sei seine
damalige Freundin, wegschieben habe er sie wollen, sie sei es gewesen, die
aggressiv gegen ihn vorgegangen sei, eine Lampe sei runtergefallen, so habe
sie sich verletzt.
Am Donnerstagabend ist der 33-jährige [1][Fußballprofi Jérôme Boateng] vom
Amtsgericht München wegen vorsätzlicher Körperverletzung seiner damaligen
Lebensgefährtin zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30.000 Euro,
insgesamt 1,8 Millionen Euro, verurteilt worden. Da es weniger als 90
Tagessätze sind, gilt Boateng als nicht vorbestraft.
2018 waren Boateng und seine damalige Freundin auf den Turks- und
Caicosinseln südöstlich der Bahamas im Urlaub gewesen. Ihre gemeinsamen
Zwillinge waren dabei und ein befreundetes Pärchen. Einmal wurde Karten
gespielt. Wie dieser Abend verlief, darüber gibt es zwei Erzählungen. Die,
der das Gericht Glauben schenkte, ist nicht nur die von Boatengs ehemaliger
Lebensgefährtin, sondern auch die von deren Freundin.
Ein Streit um Schummeln sei eskaliert, die Vorwürfe seien immer heftiger
geworden. Begriffe wie „Hure“, „Fotze“ und „Schlampe“ habe er ihr a…
Kopf geworfen, sie habe ihn „Hurensohn“ genannt. Boateng sei wütend auf und
ab gelaufen, „wie ein Tiger“. Dann habe er sie geschlagen, er habe ihr
sogar in die Kopfhaut gebissen, sagte die 31-Jährige. Ihre Freundin sagte
ähnliches aus.
Am nächsten Tag soll alles entspannt gewesen sein. Videos, die auch vor
Gericht gezeigt wurden, zeigen die Frau, wie sie am Lagerfeuer tanzt.
Boateng sagte: „Wir haben uns ausgesprochen, vertragen, die Kinder waren
glücklich, haben getanzt.“ Die Exlebensgefährtin hingegen sagte, sie sei
dabei betrunken gewesen und habe sich ihre Verletztheit nicht anmerken
lassen wollen.
## „Schirmherr der Hoffnung“ der Unesco
Jérôme Boateng ist nicht nur als Fußballer bekannt. Er ist etwa „Patron of
Hope“ der Unesco, wo er sich in einem Projekt für Kinder in Rio einsetzt.
Er unterstützt den Verein MitternachtsSport, wofür er zwei
Integrationspreise erhielt. Im Jahr 2016 hatte der AfD-Politiker Alexander
Gauland Boateng rassistisch beleidigt. Der Sohn eines Ghanaers und einer
Deutschen werde zwar als Nationalspieler geschätzt, doch er sei ein
Fremder: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen
einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ In der Folge gab es eine große
Solidarität mit Boateng – bis hin zu der Aktion, dass ein
Immobilienunternehmen seine Wohnungen in einem Haus, in dem er früher
gewohnt hatte, besonders teuer anbot: Hier könne man Boatengs Nachbar
werden.
Boateng selbst hatte das Positivimage gerne aufgegriffen. Ihm sei klar
geworden, sagte er einmal, „dass ich für viele Menschen auch ein
Botschafter bin. Ich stehe für Deutschland, das bunter und cooler ist und
optimistisch in die Zukunft schaut.“ Mit diesen Worten bewarb Boateng ein
eigenes Hochglanz-Personality-Magazin namens BOA.
Diese Selbstvermarktung ging zeitlich einher mit einer sportlichen Krise,
etwa dem Ausscheiden bei der Fußball-WM 2018 oder gescheiterten
Wechselbemühungen zu Paris Saint-Germain. Und sie ging zeitlich einher mit
dem Geschehen im Sommerurlaub, das ihm jetzt eine Verurteilung wegen
Körperverletzung einbrachte. Beruflicher Frust als Grund für solche
Aggressivität? Überforderung aufgrund überzogener Ansprüche, die an ihn
gestellt wurden? Das könnten Gründe sein, warum Boatengs Verhalten derart
eskalierte.
Im Jahr nach dem Geschehen auf den Turks- und Caicosinseln ging Boateng
eine Beziehung mit Kasia Lenhardt ein. Sie hatte durch die Teilnahme an
Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ oder „Models im Babyglück“ e…
kleinere Fernsehprominenz erlangt. Anfang Januar 2021 teilte Boateng mit,
er habe die Beziehung mit Lenhardt beendet. In der Bild machte er ihr
Vorwürfe, sie habe ihn erpresst: „Meine Ex wollte mich zerstören.“ In der
medialen Präsentation erschien das als „Schlammschlacht“ zweier Promis. Am
9. Februar 2021 nahm sich [2][Kasia Lenhardt] das Leben.
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hatten sich kurz vor ihrem Tod die
zwei Frauen, Kasia Lenhardt und die Mutter seiner Zwillinge, ausgetauscht.
Auch gegen Lenhardt soll Boateng gewalttätig geworden sein. Später zog
Lenhardt die Vorwürfe zurück. Die Staatsanwaltschaft soll wieder
Ermittlungen im Fall Lenhardt aufgenommen haben.
## Van der Vaart und Hamann
Neu und unbekannt sind solche Fälle in der Welt des Sports nicht. Als in
der Silvesternacht von 2012 auf 2013 der damalige HSV-Profi Rafael van der
Vaart handgreiflich gegen seine damalige Frau Sylvie, die als
Fernsehmoderatorin selbst prominent ist, wurde, galt das auch als
Promiklatsch. Einer Hamburger Politikerin, die den HSV aufforderte, diesen
Fall häuslicher Gewalt zu ahnden, wurde attestiert, eine „kuriose
Forderung“ (sport1) erhoben zu haben, und Bild titelte: „Wegen Ehezoff –
Linken-Politiker fordern Sperre für van der Vaart“.
Als dem früheren Nationalspieler Dietmar Hamann im Sommer 2019 vorgeworfen
wurde, er sei gegen seine Freundin, eine Australierin, bei einem
nächtlichen Streit gewalttätig geworden und habe sie – nach Festnahme und
angeordnetem Kontaktverbot – angerufen, wurde der Umstand, dass er seinen
zunächst eingezogenen Pass wieder erhielt, von der Berliner
Boulevardzeitung B.Z. so vermeldet: „Der TV-Sender Sky kann seinen
prominenten Experten zum Bundesliga-Start wieder einsetzen.“
Dass Fälle häuslicher Gewalt, begangen von männlichen Profisportlern, auch
Auswirkungen auf deren Karriere haben können, wird in den USA diskutiert
und teils praktiziert. Weil Domingo German, Baseballprofi der New York
Yankees, gewalttätig gegen seine Freundin vorgegangen war, suspendierte ihn
die Major League Baseball für 81 Spiele und strich sein Gehalt in dieser
Zeit. Zu einem richtig großen Thema wurde häusliche Gewalt bei
Spitzensportlern 2014, als ein Video die Runde machte, das zeigte wie der
American-Football-Profi Ray Rice seine damalige Freundin und spätere
Ehefrau im Aufzug eines Hotels zusammenschlug. Die Profiliga NFL sperrte
Rice nur für zwei Spiele.
Nach heftiger Kritik führte die NFL neue Regeln ein: Bei einem ersten
Vergehen sechs Spiele Sperre ohne Bezahlung, bei einem weiteren Vergehen
mindestens ein Jahr Suspendierung. Rice war kein Einzelfall, die NFL sah
sich zum Handeln gezwungen. Eine statistische Erfassung solcher Fälle wie
in den USA gibt es im europäischen Fußball nicht. Doch sogar gegen Topstars
des Fußballs wie Cristiano Ronaldo oder Neymar wurden
Vergewaltigungsvorwürfe erhoben. All das bringt den Fußball bislang nicht
dazu, sich selbst dem Problem zu stellen, wenn etwa einem seiner Stars
Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder ein anderes Delikt nachgewiesen wird.
Jérôme Boateng, Weltmeister, Champions-League-Sieger und immer noch einer
der besten Innenverteidiger der Welt, wurde jedoch, als in der vergangenen
Woche sein Wechsel zu Olympique Lyon bekannt gemacht wurde, mit Hashtags
wie #boykottboateng, #keinvorbild, #justiceforkasialenhardt oder
#justiceforsherin konfrontiert.
Es sind bislang eher die Fans, die aktiv werden.
10 Sep 2021
## LINKS
[1] /Urteil-gegen-Jerme-Boateng/!5799979
[2] /Tod-des-Models-Kasia-Lenhardt/!5746382
## AUTOREN
Martin Krauss
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