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# taz.de -- Israels Angriff auf den Iran: Völkerrechtliche Zeitenwende
> Bei Israels Angriff auf den Iran agiert der Westen mit Doppelmoral. Damit
> trägt er mehr zu Erosion des Völkerrechts bei als der offene Regelbruch
> mancher Autokraten.
Bild: Israel hat allein gehandelt und zum wiederholten Mal das Völkerrecht ver…
Der [1][israelische Angriff] auf iranische militärische und nukleare
Einrichtungen markiert eine Wasserscheide – für die Region, aber womöglich
auch für die Welt. Denn in der Reaktion der Weltgemeinschaft wird sich
zeigen, ob es mittelfristig noch so etwas wie eine internationale Ordnung
gibt, die zwischenstaatliches Handeln einhegt. Oder ob wieder das Recht des
Stärkeren gilt, das in vergangenen Jahrhunderten zu dauerhaften Kriegen
geführt hat.
Richtig, es geht hier [2][nicht in erster Linie um Irans Atomprogramm oder
Netanjahus politische Zukunft]. Der israelische Premier mag sich
ausrechnen, dass die Fortsetzung und Steigerung des von ihm selbst
ausgerufenen „Siebenfrontenkriegs“ ihn davor bewahren werden, politisch per
Urnengang oder juristisch durch die Gerichte zur Rechenschaft gezogen zu
werden. Seine Argumentation, er habe mit dem Angriff eine unmittelbare
Gefahr für sein Land abwenden müssen, ist angesichts der laufenden
Atomgespräche zwischen Iran und den USA unglaubwürdig.
Und auch wenn die Berichte der Internationalen Atomenergiebehörde auf eine
gesteigerte Urananreicherung und mangelnde Kooperation seitens Teherans
hindeuteten, so war Iran doch selbst in den Worten Netanjahus vom
tatsächlichen Bau einer Bombe – so diese Entscheidung denn getroffen würde
– noch Monate entfernt.
Auch der US-Präsident kommt aus dieser Nummer nicht heraus, selbst wenn er
erst verlautbaren lässt, Israel habe allein gehandelt, um im nächsten
Moment die Angriffe zu loben und dem Land seine Unterstützung zuzusagen.
Vor allem aber war Donald Trump derjenige, der mit dem Austritt aus dem
Atomabkommen 2018 die aktuelle Situation – in der ein immer weniger
kontrolliertes iranisches Atomprogramm als regionale Bedrohung wahrgenommen
werden konnte – überhaupt erst herbeigeführt hat. Und der den „besseren
Deal“, den er schon in seinem ersten Wahlkampf 2016 versprach, bis heute
nicht ausgehandelt hat.
Und die Europäer? Sind einmal mehr Zuschauer in einem Stück, dessen Akteure
sie zwar zu kennen glauben, aber dessen Dramaturgie sie nicht verstehen –
und in das sie dennoch meinen, eingreifen zu müssen.
## Was wissen wir schon
Was wissen wir schon über das Gefühl, in einem Staat wie Israel zu leben,
der seit seiner Gründung aus einer historischen Katastrophe heraus von den
Nachbarn bekämpft wird, dabei selbst zu verrohen droht und in dem sich
gleichzeitig tiefe innere Gräben zwischen liberalen und
religiös-nationalistischen Einstellungen auftun? Was wissen wir über die
Menschen in einem Land mit mehrtausendjähriger Geschichte, die vor rund 45
Jahren einen autoritären Monarchen zu Fall brachten, nur um seitdem von
einer theokratischen Klasse unterdrückt und dem Großteil der westlichen
Welt ausgegrenzt zu werden?
Und wie könnten wir verstehen, was in dem Kopf des mächtigsten Mannes der
Welt vorgeht, für den sämtliche internationale Konflikte nur „dornige
Deals“ sind, die es zu schließen gilt, weil doch jeder – wie er selbst –
nur auf seinen ökonomischen Vorteil bedacht sei?
Was wir aber nachvollziehen können, ist die große Verwunderung in weiten
Teilen der Welt über die selektive Anwendung von Regeln und das
willkürliche Einfordern des Einhaltens derselben durch andere. Das heißt,
um es plakativ an den zwei prominentesten Fällen seit 2022 festzumachen:
Wir können nicht auf Dauer folgenlos den Völkerrechtsbruch des einen
(Russland gegenüber der Ukraine) beklagen und bekämpfen und den des anderen
(Israel in Gaza) beschweigen und nicht ahnden.
Ja, die Gesamtlage ist kompliziert und jeder Fall bedarf einer gesonderten
Betrachtung, inklusive Vorgeschichte und möglicher Verbrechen auf beiden
Seiten. Doch genau dafür ist das Völkerrecht da: allgemein gültige Regeln,
die für alle Staaten gelten (sollten), egal ob sie unsere Verbündeten sind
oder nicht. Im konkreten Fall heißt das: Wer, wie die Bundesregierung, den
anlasslosen – und vermutlich völkerrechtswidrigen – Angriff Israels mit
Verweis auf Irans mögliche Verletzungen des Nichtverbreitungsvertrags
vorauseilend legitimiert, den Gegenschlag hingegen als „unterschiedslosen
iranischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet […] auf das Schärfste“
verurteilt, misst eindeutig mit zweierlei Maß.
## Wenn die einen gleicher sind
Es ist diese Doppelmoral im Umgang mit dem Völkerrecht, die langfristig
mehr zu Erosion der internationalen Ordnung beiträgt als der offene
Regelbruch mancher Autokraten. Denn auch innerhalb einer Gesellschaft
finden täglich Tausende Gesetzesverletzungen statt; doch solange sie
unparteiisch verfolgt und bestraft werden, bleibt das zugrundeliegende
Regelwerk anerkannt. Wenn dieses aber offenkundig nur für die einen gilt
und für manche nicht, wenn Letztere also „gleicher“ sind als die anderen �…
dann verlieren die bestehende Ordnung und deren Verfechter ihre
Glaubwürdigkeit.
Noch einmal: Es kann Gründe geben, sich in der aktuellen Situation
reflexhaft an die Seite Israels und der USA zu stellen, von unserer eigenen
Geschichte bis zur Sorge um den [3][Bruch des transatlantischen
Bündnisses]. Es ist möglich, zu dem Schluss zu kommen, dass ein Beharren
auf das Völkerrecht – Verbot eines Angriffskriegs und bewaffneten Angriffen
auf Nuklearanlagen, Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten –
praktisch unmöglich ist.
Doch müssen wir uns bewusst sein, dass wir damit eine regellose Welt
herbeiführen, in der kleine und mittelgroße Staaten der Willkür der
Großmächte wie den USA, China und Russland ausgeliefert sind. Dass
Deutschland und Europa als Verfechter des Völkerrechts und der nach dem
Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Ordnung ausfallen. Dass wir
uns damit noch abhängiger von den Launen des Mannes im Weißen Haus machen,
der uns seinen Willen aufzwingen kann.
18 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Cornelius Adebahr
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