# taz.de -- Analyse zum Krieg zwischen Iran & Israel: Drehbuch mit offenem Ende | |
> Wie realistisch sind die Ziele von Netanjahus Regierung? Und welche | |
> Möglichkeiten bleiben dem Mullah-Regime? Szenarien, wie es weitergehen | |
> könnte. | |
Bild: Proben für die Eskalation? Eine iranische Militärübung in der Straße … | |
Kairo taz | Mit jedem Tag, den der [1][Krieg zwischen Israel und dem Iran] | |
andauert – mit jedem Schlag und Gegenschlag – wächst das Risiko einer | |
regionalen Eskalation. Und die Anzeichen deuten darauf hin, dass es länger | |
dauern wird. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu spricht davon, dass | |
„es so viele Tage dauern wird, wie es eben braucht“ – und das könnten au… | |
Wochen sein. Die iranische Führung bezeichnet den Konflikt mit Israel als | |
langfristig, spricht von einem Abnutzungskrieg und zieht Parallelen zum | |
Iran-Irak-Krieg (1980–1988). | |
Jenseits der Propaganda beider Seiten stellt sich die Frage, wie lange | |
beide Länder das durchhalten können. In Israel herrschte am ersten Tag des | |
Angriffs auf den Iran eine „Wir-können-alles-machen“-Euphorie. Doch mit | |
jedem weiteren Tag [2][iranischer Gegenschläge] werden auch die Kosten | |
dieses Krieges deutlicher. | |
Rein militärisch ist es ein ungleiches Kräftemessen. Israel ist | |
technologisch weit überlegen und scheint im Iran derzeit ohne große | |
Gegenwehr Luftangriffe nach Belieben fliegen zu können. Zudem können die | |
israelischen Munitionsdepots nahezu endlos durch Nachschub aus den USA | |
aufgefüllt werden. | |
Doch auch die Grenzen israelischer Militärmacht werden sichtbar: Die | |
Luftangriffe schaffen es nicht, das von Netanjahu ausgerufene Ziel zu | |
erreichen, das iranische Atomprogramm entscheidend zu treffen. Dazu | |
bräuchte Netanjahu die direkte Hilfe der USA, die etwa über bunkerbrechende | |
Bomben verfügen, um die unterirdischen Anlagen zu zerstören. | |
## Atomare Abschreckung | |
Auf der anderen Seite steht der Iran. Dessen Führung ist vermutlich mehr | |
denn je überzeugt, dass sie Atomwaffen braucht, um die Atommacht Israel von | |
solchen Angriffen abzuschrecken. Die iranische Führung musste schwere | |
Schläge einstecken: [3][Ein großer Teil ihrer militärischen und | |
nuklearwissenschaftlichen Kader wurde bei den israelischen Angriffen in den | |
letzten Tagen getötet.] Ihr wichtigster Stellvertreter in der Region, die | |
[4][Hisbollah im Libanon], ist geschwächt und kann es sich – auch aus | |
internen libanesischen Gründen – nicht leisten, einzugreifen. | |
Angesichts der beiden Faktoren – eines möglicherweise langen Kriegs und der | |
militärischen Unterlegenheit Irans – stellt sich die Frage, welche | |
Möglichkeiten Teheran hat, den Konflikt so zu eskalieren, dass Netanjahu, | |
der diesen Krieg begonnen hat, ihn wieder beendet. | |
Der iranische Außenminister Abbas Araghtschi betonte am Sonntag, dass der | |
Iran seine Angriffe in dem Moment einstellen würde, in dem auch Israel | |
seine Angriffe einstellt. Derzeit gibt es jedoch international keine | |
ernsthaften diplomatischen Initiativen, den Waffengang zu beenden. Israels | |
Verbündete, allen voran die USA, beobachten die Entwicklung und sehen einer | |
militärischen Schwächung Irans wohlwollend zu. | |
Irans Möglichkeit, die Lage zu eskalieren, besteht nicht darin, mehr | |
Raketen auf Israel abzufeuern – davon besitzt er keine unbegrenzte Anzahl | |
–, sondern darin, den Konflikt regional und global schmerzhafter zu machen, | |
um den internationalen Druck auf Netanjahu zu erhöhen. Dass die iranische | |
Führung dies bisher nicht getan hat, liegt an den damit verbundenen hohen | |
Risiken. Der Iran will um jeden Preis verhindern, dass die USA direkt | |
militärisch eingreifen. | |
Der Schlüssel liegt dabei bei der Achillesferse der internationalen | |
Wirtschaft: dem Erdöl. Eine mögliche Maßnahme wäre die Sperrung der Straße | |
von Hormus am Arabisch-Persischen Golf. Diese am schmalsten Punkt nur gut | |
33 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran auf der einen sowie den | |
Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Oman auf der anderen Seite ist das | |
Nadelöhr des globalen Ölhandels. | |
Laut US-Energiebehörde werden hier rund 20 Prozent des weltweit | |
verbrauchten Öls durchgeschifft. Sie bezeichnet Hormus als den „weltweit | |
gefährlichsten Engpass“. Anders als [5][bei den Angriffen der jemenitischen | |
Huthis auf die Schifffahrt im Roten Meer] gibt es hier keine alternative | |
Route rund um Afrika. | |
Zwar wurden während des Iran-Irak-Krieges in den 80ern im sogenannten | |
„Tankerkrieg“ rund um Hormus mehrfach Schiffe angegriffen, doch vollständig | |
geschlossen wurde die Meerenge nie. Ein solcher Schritt hätte unmittelbare | |
Auswirkungen auf die Ölwirtschaft und auf die Golfstaaten, die davon | |
abhängen. Die iranische Führung hat in den vergangenen Tagen mehrfach | |
angedeutet, dass ein solcher Schritt in Erwägung gezogen wird. | |
Eine Regionalisierung des Konflikts hätte zur Folge, dass der Krieg | |
zwischen Israel und dem Iran internationale Priorität bekäme. Staaten wie | |
Saudi-Arabien, die Emirate und Katar würden massiven Druck auf Washington | |
ausüben, um eine Beendigung herbeizuführen – möglicherweise sogar als | |
Vermittler auftreten. | |
## Trumps Reaktion unklar | |
Das Risiko für die iranische Führung besteht jedoch darin, dass sie nicht | |
weiß, wie US-Präsident Donald Trump auf eine solche Eskalation reagieren | |
würde. Würde er Netanjahu zurückpfeifen oder direkt in den Krieg eintreten? | |
Letzteres möchte der Iran um jeden Preis vermeiden – doch genau darauf | |
hofft Netanjahu seit Beginn seines Angriffs. | |
Das gilt umso mehr für ein weiteres mögliches iranisches | |
Eskalationsszenario: Der Iran oder eine seiner Stellvertreter-Milizen | |
könnten US-Stützpunkte in der Region angreifen, etwa in Kuwait oder im | |
Irak. Bisher hält Teheran seine schiitischen Milizen im Irak zurück, obwohl | |
diese bereits ihre Einsatzbereitschaft erklärt haben. | |
Auch damit würde der Iran den Konflikt auf die gesamte Region ausweiten. | |
Trägt er den Krieg in arabische Nachbarstaaten, wächst dort das Interesse, | |
den Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran rasch zu beenden – bevor er | |
vollends außer Kontrolle gerät und sie mit hineingezogen werden. | |
Doch auch das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Zwar ist US-Präsident Trump für | |
seine „America First“-Politik bekannt und hat wenig Appetit, erneut | |
US-Truppen in die weite Welt zu entsenden. Aber ein direkter Angriff auf | |
US-amerikanische Soldaten könnte die Balance zwischen diplomatischen | |
Bemühungen und direkter militärischer Reaktion kippen – zugunsten | |
Letzterer. | |
Für die iranische Führung wird bei ihren Entscheidungen ausschlaggebend | |
sein, inwieweit sie sich existenziell bedroht fühlt. Netanjahu begründet | |
seine Offensive neben dem Ziel der Zerstörung des Atomprogramms auch damit, | |
dass er hofft, die iranische Bevölkerung könnte sich gegen das | |
Mullah-Regime erheben. Tatsächlich haben viele oppositionelle Iranerinnen | |
und Iraner, vor allem im Exil, die israelischen Angriffe auf militärische | |
Ziele begrüßt. | |
Doch je länger der Krieg dauert, je mehr Infrastruktur zerstört und | |
Zivilisten getötet werden, desto mehr könnte sich die anfängliche | |
Feierstimmung in Angst und Nationalismus verwandeln. Der Hass auf das | |
eigene Regime könnte vom patriotischen Schulterschluss mit ihrem Land unter | |
ausländischem Beschuss verdrängt werden. | |
Namenlose israelische Amtsträger haben in den letzten Tagen angedeutet, | |
dass auch eine Tötung Ajatollah Ali Chameneis „nicht off limits“ sei. | |
Offizielle israelische Statements dazu gibt es nicht. Doch die Botschaft | |
ist klar: Auch die höchste Führungsebene ist nicht sicher. | |
Was aber würde eine solche Enthauptung des Regimes für die Menschen im Iran | |
bedeuten? Sicherlich nicht, dass am nächsten Tag die Opposition oder Frauen | |
ohne Kopftuch die Macht übernehmen. Wahrscheinlicher wäre ein Machtvakuum – | |
mit einem konservativen Lager, das nicht bereit ist, friedlich Platz zu | |
machen, zumal viele – vor allem unter den Revolutionsgarden – auch massive | |
wirtschaftliche Interessen haben, den Status quo beizubehalten. Ein | |
Regimewechsel von außen wäre ein Rezept für Chaos. | |
Wie schlecht solche erzwungenen Umstürze funktionieren, hat der Sturz | |
Saddam Husseins 2003 im Irak gezeigt. Damals waren die USA sogar bereit, | |
130.000 Soldaten zu entsenden – und trotzdem folgten Jahre des Chaos. Am | |
Ende entstanden in Bagdad Regierungen, die dem Iran hörig waren – das | |
Gegenteil dessen, was sich der damalige US-Präsident George W. Bush auf | |
einem US-Flugzeugträger vor dem „Mission Accomplished“-Banner vorgestellt | |
hatte, als er dort seine Irak-Siegesrede hielt. | |
Ein Regimewechsel aus der Luft durch israelische Kampfjets wäre noch | |
absurder – mit hoher Wahrscheinlichkeit würde er in Chaos und Bürgerkrieg | |
für die Iraner enden. Netanjahu wäre das einerlei. Sein Ziel ist es, eine | |
gegnerische Regionalmacht auf absehbare Zeit zu schwächen und mit sich | |
selbst zu beschäftigen. | |
Er wird seine Angriffe fortsetzen, solange ihm international – vor allem | |
von den USA – freie Hand gelassen wird. Mit jedem Tag schwächt er den Iran | |
militärisch mehr. Und die Iraner werden so lange zurückschießen, wie sie | |
können, und sie haben Eskalationsszenarien in der Schublade, die den Krieg | |
über Nacht auf die Region und international ausweiten können. | |
Der Weg zum Ausstieg wäre internationaler Druck – und beiden Seiten die | |
Möglichkeit zu geben, gesichtswahrend aus diesem Krieg herauszukommen. Wenn | |
das nicht geschieht, wird das nahöstliche Drehbuch zu einem Drama in | |
Überlänge, das selbst von seinen Autoren nicht mehr kontrolliert werden | |
kann. | |
16 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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