| # taz.de -- Krieg im Iran: Auf Israel verlassen oder Teheran verlassen? | |
| > Immer mehr Teheraner flüchten vor israelischen Raketen, Chaos und | |
| > Unsicherheit. Andere vertrauen darauf, dass sie nicht zum Ziel werden. | |
| Bild: Teheran, 16. Juni: die Läden im Basar sind geschlossen | |
| „Ich versuche nicht an diesen Moment zu denken, als ich meine Pflanzen | |
| gegossen habe, mit zu viel Wasser. Dann habe ich mich ein letztes Mal im | |
| Haus umgesehen, die Tür abgeschlossen und bin in ein Taxi gestiegen“. | |
| Während Maral erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen, sie blinzelt. Wir | |
| sprechen über Google Meet: Sie ist im Iran, ich in Deutschland. Maral ist | |
| 40 Jahre alt. Am zweiten Tag des Krieges zwischen der Islamischen Republik | |
| und Israel hat sie die Hauptstadt auf unbestimmte Zeit in Richtung Norden | |
| verlassen. Jetzt teilt sie sich ein Haus mit entfernten Verwandten, | |
| verfolgt in den Nachrichten die Zerstörung ihrer Stadt. | |
| Unzählige Einwohner sind in den vergangenen Stunden aus der | |
| 15-Millionenmetropole mit ihrer Fläche von 615 Quadratkilometern geflohen. | |
| Andere haben sich bewusst dafür entschieden, zu bleiben. Wieder andere | |
| verfügen nicht über die finanziellen Mittel oder Zweitwohnsitze, um zu | |
| fliehen. Viele ältere Einwohner sind zu gebrechlich, um eine endlose und | |
| strapaziöse Reise mit unklarem Ziel auf sich zu nehmen. | |
| Noch am Freitag, dem ersten Tag des israelischen Militärangriffs auf Iran, | |
| waren viele in Teheran davon ausgegangen, dass Israel keine zivilen Gebiete | |
| angreifen würde. Die iranische Regierung gab keine Warnung heraus. Es | |
| ertönten keine Sirenen. Es gab keine offiziellen Anweisungen, keine | |
| Schutzräume für die Menschen. | |
| Die Islamische Republik folgte dem üblichen Muster: Sie weigerte sich, | |
| Verantwortung zu übernehmen, und schien bereit, erneut das Blut von | |
| Zivilistinnen und Zivilisten für ihre Propagandamaschinerie zu opfern. So | |
| versucht das Regime, die internationale Berichterstattung zu kontrollieren. | |
| Trotz der beunruhigenden Geräusche von Bomben, Kampfflugzeugen und | |
| Abwehrfeuer und trotz des dichten Rauchs über der Stadt ging das tägliche | |
| Leben zunächst weiter, wie gewohnt. Geschäfte, Cafés und Restaurants | |
| blieben geöffnet, die Menschen spazierten in den Straßen. | |
| ## Knappes Benzin, knappe Lebensmittel | |
| Doch am Montag änderte eine direkte Warnung der israelischen Regierung die | |
| Lage. Plötzlich bildeten sich an den Tankstellen kilometerlange Schlangen, | |
| die Kraftstoffverteilung kam fast zum Erliegen. Viele Tankstellen gaben an, | |
| ihnen sei der Kraftstoff ausgegangen. Innerhalb weniger Stunden wurde das | |
| Benzin rationiert: nur noch 15 Liter pro Fahrzeug. | |
| Hintergrund der Engpässe dürften die Angriffe auf das Öllager im Teheraner | |
| Stadtteil Schahran und Ölraffinerie in Schahr-e Rey gewesen sein. Durch | |
| Israels gezielte Angriffe auf die Energieinfrastruktur drohten | |
| weitreichende Stromausfälle und Probleme bei der Lebensmittelversorgung des | |
| Landes. | |
| Bald darauf kam der Verkehr in der Hauptstadt zum Erliegen. Wer sich | |
| innerhalb der Stadt fortbewegen wollte, stand selbst für kurze Strecken | |
| drei bis vier Stunden lang im Stau. Alle Ausfahrten zu den nahe gelegenen | |
| Autobahnen waren verstopft. Auch der öffentliche Nahverkehr bietet keine | |
| Alternative: In Iran ist er notorisch unterentwickelt und verfügt nicht | |
| über die moderne Infrastruktur anderer Hauptstädte. Die meisten Menschen | |
| sind auf private Fahrzeuge und informelle Taxinetze angewiesen. | |
| Einige Stunden nach der Warnung Israels, Teheran zu evakuieren, erfasste | |
| eine weitere Panikwelle die Stadt – diesmal ausgelöst durch inoffizielle | |
| Meldungen aus den USA, in denen die [1][Zivilbevölkerung implizit zur | |
| Flucht aufgefordert] wurde. Viele Einwohner, die bislang gezögert hatten, | |
| beeilten sich nun, leichte Taschen zu packen und zu fliehen. In vielen | |
| Haushalten drängten jüngere Familienmitglieder ihre älteren Verwandten – | |
| oft die am schwierigsten zu evakuierenden Personen – ebenfalls, die Stadt | |
| zu verlassen. | |
| ## Hoffnung auf Israel | |
| So wie die 70-jährige Homa. Trotz körperlicher Schmerzen und | |
| eingeschränkter Mobilität wurde sie von ihren Kindern genötigt, ihr Zuhause | |
| zu verlassen. Im Gespräch mit der taz sagt sie: „Dies ist der zweite Krieg, | |
| den ich in meinem Leben miterlebe – zuerst der achtjährige | |
| [2][Iran-Irak-Krieg] und jetzt der Krieg mit Israel.“ Sie fügt hinzu: „Ich | |
| glaube nicht, dass Israel unsere Häuser bombardieren wird. Warum sollte ich | |
| aus meinem Leben vertrieben werden? Ich habe nur zugestimmt, um die Ängste | |
| meiner Kinder zu lindern.“ | |
| Homa gehört auch zu den vielen Iranern, die in die aktuelle Militäraktion | |
| einen Anflug von Hoffnung setzen – dass sie zum Sturz der Islamischen | |
| Republik führen könnte. „Ich glaube, wenn die Islamische Republik fällt, | |
| können wir unsere Städte und Infrastruktur wieder aufbauen. Aber wenn sie | |
| an der Macht bleibt, wird der Iran noch weiter zurückfallen.“ Homa ist | |
| optimistisch, dass der Krieg schnell, möglicherweise innerhalb von zwei | |
| Wochen, beendet sein wird. Mit fester, ruhiger Stimme erklärt sie: „Ich | |
| hoffe, dass sich die USA mit Israel verbünden, damit sie endlich Ali | |
| Chamenei ins Visier nehmen und uns aus diesem Albtraum befreien können.“ | |
| Maziar hingegen weigert sich noch immer, die Stadt zu verlassen. Der taz | |
| sagt der junge Mann: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Angriffe | |
| Israels gezielt und absichtlich erfolgen. Es gibt keinen Grund, Zivilisten | |
| anzugreifen – das würde nur noch mehr Probleme für sie schaffen. Die wahre | |
| Gefahr geht von den Führern der Islamischen Republik aus, die sich oft in | |
| der Bevölkerung verstecken, um sie als menschliche Schutzschilde zu | |
| benutzen und die Kosten der Militäraktion in die Höhe zu treiben. Dennoch | |
| halte ich die Wahrscheinlichkeit, getroffen zu werden, für gering.“ | |
| Vier Tage nach Beginn der israelischen Militäroperation ist Teheran | |
| gespalten: Ein Teil der Bevölkerung hat aufgrund ausländischer Warnungen | |
| und des Versagens der offiziellen Systeme die Stadt verlassen. Unter oft | |
| schwierigen Bedingungen verstreut suchen sie nun im ganzen Land Schutz. Der | |
| andere Teil – darunter politisch bewusste Jugendliche wie Maziar – vertraut | |
| auf die Präzision der israelischen Angriffe. | |
| Dennoch ist die Stadt derzeit fast menschenleer. Nur vereinzelt sind | |
| Explosionen zu hören, zusammen mit dem Summen der Drohnen. Sonst ist es | |
| still. | |
| Aus dem Englischen: Lisa Schneider | |
| Die Autorin war 2024 Stipendiatin des [3][Refugium-Programms], das die taz | |
| Panter Stiftung mit Reporter ohne Grenzen ausrichtet. | |
| 17 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.juedische-allgemeine.de/israel/trump-fordert-menschen-in-tehera… | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Golfkrieg | |
| [3] /taz-panter-stiftung/das-refugium-stipendium/!v=07336dde-9a7f-42d5-af22-363… | |
| ## AUTOREN | |
| Mahtab Gholizadeh | |
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