# taz.de -- Kriegsalltag in Teheran: Den Raketen und dem Regime ausgeliefert | |
> In Iran freuen sich viele über den israelischen Angriff auf das | |
> repressive Mullah-Regime. Andere sind wütend auf Israel. Alle sind | |
> schutzlos. | |
Bild: Flucht, aber wohin? Eine Frau trägt nach israelischen Raketenangriffen e… | |
Teheran taz | In einem Land, wo der Staat keine Schutzräume für seine | |
Bevölkerung gebaut hat, wo sogar die Sirene eines Alarmsystems einen | |
unerreichbaren Luxus darstellt, ist der Krieg vom Himmel gefallen, in die | |
Häuser und Köpfe der Menschen. | |
Nicht nur geografische Grenzen werden überschritten, sondern die Grenzen | |
der Moral, der Wut und der Hoffnung. Und vielleicht ist die dringendste | |
Frage für Iran heute nicht, wer angefangen hat – sondern die, was sein Volk | |
noch aus den Trümmern retten kann. | |
Während der ersten zwei Tage des Angriffs verlief das Leben in Irans | |
Hauptstadt in fast unheimlich normalen Bahnen. Auf Videos war zu sehen, wie | |
Menschen sich in der Stadt bewegen, Restaurants und Cafés besuchen, an | |
Straßenständen einkaufen. Sogar als die Kampfjets über ihre Köpfe flogen, | |
mokierten sich die Bürger über die schwache und hilflose Antwort des | |
Regimes. | |
„Wenn du dich wunderst, wie man einen militärischen Angriff gegen das | |
eigene Land unterstützen kann, frag die Menschen in Nazi-Deutschland. Oder | |
die Bürger von Paris unter Nazi-Besatzung. Frag sie, wie man das eigene | |
Land so lieben kann, dass man eine Invasion begrüßt – weil sie der einzige | |
Weg zur Rettung sein könnte.“ Saman, ein 42-jähriger Teheraner, ist nur | |
einer von unzähligen Iranern, die mehr oder weniger offen die israelischen | |
Angriffe gutheißen. Nicht nur trauert er nicht, sondern er sieht darin die | |
letzte, möglicherweise einzige Chance auf einen Sturz der Islamischen | |
Republik und den Weg zu einer neuen, säkularen und demokratischen | |
Regierung. | |
## Das Regime antwortete mit Morden und Zwangsexil | |
Die taz hat mit vielen Menschen gesprochen, die zum gleichen Schluss kamen: | |
Die Iraner haben alles versucht – Reform, Dialog, Teilhabe – und nichts hat | |
funktioniert. Jetzt bleibt nur Gewalt. | |
Um das Jahr 2000 herum, sagen diese Stimmen, begannen die Menschen, massiv | |
am politischen Prozess teilzunehmen, in der Hoffnung auf echte Reformen. | |
Aber das autoritäre Regime antwortete mit Morden, Zwangsexil, Inhaftierung | |
und Wahlfälschung. | |
Ein Jahrzehnt später, im Jahr 2009, explodierte das Land in der größten | |
Protestbewegung der iranischen Geschichte, der „Grünen Bewegung“. | |
Protestierende demonstrierten schweigend. Sie trugen keine Waffen, nur | |
Parolen und Forderungen. Die Antwort des Regimes: brutale Niederwerfung. | |
Danach verloren viele Iraner jeden Glauben an die Wahlurne. 2018, 2019 und | |
2021 gingen sie auf die Straße. Es gab Wellen des zivilen Ungehorsams und | |
der Massenproteste, die den Frust offen ausdrückten. [1][Das Regime | |
antwortete ausschließlich mit Repression]. | |
„Die Menschen um mich herum reagieren ganz unterschiedlich“, sagt der | |
38-jährige Mohammadreza zur taz. „Manche sind in Todesangst gelähmt. Manche | |
trauern und weinen ständig. Andere sind wütend und voller Hass auf Israel. | |
Aber ganz ehrlich: Die meisten Leute, die ich gesehen habe, sind einfach | |
glücklich. Sie feiern.“ | |
Für ihn ist dieser Krieg nicht etwas, was das Volk gewählt hat – er wurde | |
ihm aufgezwungen. „Und wenn wir nach einem Schuldigen suchen, ist es die | |
Islamische Republik. Nur sie.“ | |
## Die Entwicklung einer tiefen Spaltung | |
Doch als die Angriffe stärker wurden, kam ein Gefühl der Angst hinzu. „Die | |
anfängliche Freude über die gezielten Schläge gegen die Infrastruktur der | |
Islamischen Republik und hochrangiger Revolutionsgardisten wich schnell der | |
Panik“, sagt der 41-jährige Hauptstadtbewohner Kian der taz. | |
„An Tankstellen bildeten sich kilometerlange Schlangen, und jede | |
Hauptstraße aus Teheran heraus wurde verstopft. Die Menschen drängelten | |
sich, um andere Städte zu erreichen, vor allem im Norden, der traditionell | |
als sicherer und stabiler gilt. Wegen seines bergigen Terrains ist der | |
Norden nur selten Standort wichtiger militärischer oder nuklearer | |
Einrichtungen.“ | |
Eine „tiefe Spaltung“ habe sich entwickelt, fährt Kian fort. Auf der einen | |
Seite gibt es die, die die Militärintervention bejubeln und den | |
Regimewechsel wollen – viele von ihnen sehen sich als modern und | |
progressiv. Auf der anderen Seite nennen sich die Leute Patrioten, | |
Kriegsgegner und Nationalisten. Der Streit ist heftig. Manchmal fühlt es | |
sich so an, als sei die Stadt im Krieg nicht nur mit dem Himmel, sondern | |
mit sich selbst.“ | |
Mohammadreza beschreibt die Stimmung ähnlich. „Am dritten Kriegstag sind | |
die Stimmen gegen Israel lauter geworden“, sagt er. „Die Angriffe sind viel | |
intensiver. Die Leute haben Angst und die Propaganda der Islamischen | |
Republik über zivile Opfer hat viele überzeugt.“ | |
## Schließungen am dritten Kriegstag | |
Ab dem dritten Kriegstag, dem Sonntag, begannen Geschäfte und Onlinedienste | |
quer durch Teheran massenhaft zu schließen. Die Regierung schloss Schulen | |
und Ministerien bis auf weiteres. Es gibt keine klaren amtlichen | |
Informationen über das Ausmaß der Bombenangriffe, Raketeneinschläge oder | |
Drohnenangriffe. Alles bleibt im Ungewissen. | |
„Manchmal denke ich, der Islamischen Republik ist es egal, wenn normale | |
Menschen getötet werden“, sagt der 30-jährige Omid der taz. „Das hilft ih… | |
sich als Opfer zu geben, die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken oder für | |
Vergeltungsschläge auf Israel zu werben. Vielleicht ist das der Grund, | |
warum es in den Städten keine Alarmsirenen gibt und auch keine richtigen | |
Schutzräume. Oder es ist einfach ein Ausdruck davon, wie kaputt der | |
Staatsapparat ist.“ | |
Er fügt hinzu: „Die Menschen sind verzweifelt. Desorientiert. Zum dritten | |
Kriegstag ist das Leben zum Stillstand gekommen. Die Geschäftsleute haben | |
gemerkt, dass sie sich auf einen langen wirtschaftlichen Ausfall einstellen | |
müssen – und angesichts des fragilen Zustands von Irans Wirtschaft könnte | |
das eine Katastrophe sein.“ | |
Der 38-jährige Ali sagt: „Stress ist eine Epidemie geworden. Die Leute | |
können nirgendwo Schutz finden. Es ist absurd: Die Leute versammeln sich in | |
Parks, statt unter die Erde zu gehen. Sie ziehen offene Flächen den Kellern | |
oder Tiefgaragen vor. Derweil wird das Filtern des Internets und die Angst | |
vor einem kompletten Medienblackout unerträglich.“ | |
Die 33-jährige Tahmineh hat beschlossen, in Teheran zu bleiben. „Es gibt | |
keine Schutzräume in dieser Stadt“, sagt sie der taz. „Die meisten Menschen | |
versuchen, in ihre Heimatorte oder Dörfer zu fliehen. Dem Summen der | |
Drohnen zuzuhören, der Raketenabwehr in Aktion zuzuschauen und | |
Beruhigungspillen zu nehmen – all das gehört jetzt zu unserer | |
Alltagsroutine.“ | |
Nach vier Tagen Krieg ist Iran nicht mehr das Land, das es einmal war. | |
Nicht nur wegen der Bomben, sondern wegen eines allmählichen Zusammenbruchs | |
des psychologischen und sozialen Zusammenhalts der Nation. In Teheran und | |
darüber hinaus tut sich eine Kluft auf. Manche hoffen noch immer, dass | |
dieses Feuer sich irgendwie durch die Fundamente der Tyrannei fressen und | |
einen Weg zur Freiheit öffnen kann. Andere versinken in Angst, | |
Realitätsleugnung und einem tiefen Gefühl des Verlassenseins, physisch und | |
emotional. | |
Aus dem Englischen: [2][Dominic Johnson] | |
Die Autorin war 2024 Stipendiatin des [3][Refugium-Programms], das die taz | |
Panter Stiftung mit Reporter ohne Grenzen ausrichtet. | |
16 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Repressionswelle-in-Iran/!6094130 | |
[2] /Dominic-Johnson/!a4/ | |
[3] /taz-panter-stiftung/das-refugium-stipendium/!v=07336dde-9a7f-42d5-af22-363… | |
## AUTOREN | |
Mahtab Gholizadeh | |
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