# taz.de -- Interview mit „Kotti & Co“: „Helle Panik bei Regierungspartei… | |
> Die Initiative Kotti & Co feiert den dritten Geburtstag ihres | |
> Protesthauses. Ein Gespräch über konkrete Erfolge, Politik im Alltag und | |
> den Mietenvolksentscheid. | |
Bild: Topfschlagen aus Protest: Lärmdemo von Kotti & Co gegen steigende Mieten. | |
taz: Frau Hamann, Herr Kaltenborn, seit drei Jahren gibt es das Gecekondu, | |
das Protesthaus von Kotti & Co. Was war bisher der größte Erfolg der | |
Initiative? | |
Ulrike Hamann: Der wichtigste Erfolg liegt eigentlich im Gecekondu selbst. | |
Dass wir so stabile Strukturen aufbauen, dass dieser Ort so wichtig wird, | |
das haben wir am Anfang selbst nicht erwartet. | |
Sandy Kaltenborn: Wir haben ja als ganz kleine Mietergemeinschaft | |
angefangen – über die letzten Jahre sind wir ein stadtpolitischer Akteur | |
geworden, an dem man nicht mehr vorbeikommt. Wir haben es geschafft, dass | |
der soziale Wohnungsbau ein Thema in dieser Stadt ist, nachdem dazu | |
jahrelang Schweigen geherrscht hat. | |
Das Thema ist also wieder gesetzt, über Verdrängungsprozesse spricht die | |
ganze Stadt. Aber was haben die MieterInnen hier konkret davon, welche | |
Erfolge gibt es auch jenseits der Diskursebene? | |
Hamann: Ein wichtiger Schritt war sicherlich die Wiedereinführung des | |
Mietenkonzeptes, also dass die Sozialmieten nicht mehr jährlich angehoben | |
werden dürfen. Das ist noch weit entfernt von der Mietensenkung, die wir | |
fordern, aber es gibt zumindest wieder etwas Luft zum Atmen. | |
Kaltenborn: Natürlich ist es ein Problem, dass sich oft lediglich die | |
Rhetorik ändert, aber konkret nichts an Lösungen angegangen wird. Das gilt | |
für den Senat, aber auch in den Oppositionsparteien gibt es Politiker, die | |
für Sozialmieter nichts tun wollen. | |
Die mediale Aufmerksamkeit für Kotti & Co ist groß, alle möglichen Seiten | |
schmücken sich gern mit der Initiative. Haben Sie manchmal Angst, totumarmt | |
zu werden? | |
Hamann: Schon im ersten Jahr wurde uns von einem Politiker gesagt, wir | |
würden doch jetzt zur Folklore dieser Stadt gehören. Aber genau das haben | |
wir immer unterlaufen, wir sind nie einfach nur die nette bunte Gruppe, mit | |
der man sich schmücken kann. Wir lassen uns nicht so einfach umarmen, wir | |
sind nicht nur ein kultureller Aspekt dieser Stadt, sondern ein politischer | |
Protest – auch wenn wir vielleicht in manchen Punkten eben anders | |
funktionieren als klassischere Protestgruppen. | |
Welche Punkte meinen Sie? | |
Kaltenborn: Wir sind Nachbarn aus einem sehr gemischten Kiez – das | |
bedeutet, das wir vielfältiger sind als viele andere Gruppen in dieser | |
Stadt. Das ist oft anstrengender, aber eben auch viel produktiver, als sich | |
nur mit Menschen zu organisieren, die genauso denken und genauso einen | |
Hintergrund haben wie man selbst. | |
Hamann: Viele Leute, gerade aus anderen politischen Gruppen, fragen uns, | |
wie wir das denn hinkriegen, die Leute einzubinden. Aber diese Frage zeigt | |
schon ein ganz anderes Verständnis, als wir das haben: Es geht nicht darum, | |
von außen zu kommen und Leute einzubinden. Sondern: Wir sind diese Gruppe, | |
und wer dabei ist, entscheidet mit – egal, ob er jetzt im Gecekondu Tee | |
kocht oder für uns auf einer Podiumsdiskussion sitzt. Das war von Anfang an | |
ein ganz wichtiger Grundsatz: Hier wird niemand instrumentalisiert, sondern | |
das ist ein Prozess der gemeinsamen politischen Ermächtigung. | |
Kaltenborn: Eine Stärke von uns ist sicherlich, dass wir politischen | |
Protest mit unserer Alltagswelt verbinden: Mit dem Gecekondu haben wir | |
unser Wohnzimmer, unsere vielen Wohnzimmer auf die Straße getragen. | |
Hat sich dieses Wohnzimmer denn in den letzten drei Jahren verändert? | |
Hamann: Absolut. Im ersten Jahr war hier fast täglich eine Veranstaltung, | |
im zweiten Jahr hat unsere Jugendgruppe den Ort ganz intensiv genutzt, | |
jetzt sind die Sozial- und Mietrechtberatungen wichtige Institutionen. Die | |
früher wöchentlichen Lärmdemos haben wir momentan ausgesetzt, weil wir | |
unsere Ressourcen gerade in andere Sachen stecken – auch wenn es bestimmt | |
beizeiten mal wieder eine Demo geben wird. | |
Auf den damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller hat sich die | |
Initiative oft bezogen, mittlerweile ist er Regierender Bürgermeister. Hat | |
sich dadurch etwas verändert? | |
Hamann: Michael Müller hat uns immer wieder signalisiert, dass er sich bei | |
bestimmten Themen als Bürgermeister besser gegen die CDU durchsetzen könne | |
– das ist aber nicht passiert. Da fehlt offenbar nach wie vor der | |
politische Wille in der SPD. Jetzt, mit dem Mietenvolksentscheid, wollen | |
sie auf einmal reden. | |
Apropos Volksentscheid: Ist das für Kotti & Co der logische nächste | |
Schritt? | |
Hamann: Auf jeden Fall. Die einkommensabhängige Mietbegrenzung im sozialen | |
Wohnungsbau, die der Volksentscheid einführen möchte, betrifft uns | |
unmittelbar. Auch dass die Mittel, die aus den Mieten im sozialen | |
Wohnungsbau zurück in den Landeshaushalt fließen, nur zweckgebunden und | |
nicht für irgendwelche Großprojekte verwendet werden dürfen, ist eine ganz | |
wichtige Forderung. | |
Kaltenborn: Der Volksentscheid ist ein wichtiger Schritt für uns: Bisher | |
haben wir ja tatsächlich vor allem Aufmerksamkeit erreicht, wir bekommen | |
auch Respekt für unsere Arbeit. Aber Macht, wirklich etwas zu verändern, | |
haben wir nicht. Jetzt wollen wir die Berlinerinnen und Berliner | |
entscheiden lassen – und auf einmal ist da helle Panik bei den | |
Regierungsparteien. Die Frage der sozialen Wohnraumversorgung steht jetzt | |
auf der Tagesordnung. | |
28 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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