# taz.de -- Mietenproteste im Berliner Wahlkampf: Raus aus den Pantoffeln! | |
> Das Thema Mieten ist zentral im Berliner Wahlkampf – doch | |
> außerparlamentarisch passiert dazu gerade wenig. Woran liegt das? | |
Bild: Wohnen in Berlin wird teurer – Protest dagegen gibt es in diesem Wahlka… | |
„Uns reicht's! Niemand vertritt uns besser als wir selbst!“: Mit diesem | |
Satz endet der Aufruf zur mietenpolitischen Demonstration, die am Samstag | |
durchs westliche Kreuzberg ziehen will. Das klingt entschlossen. Ist das | |
das starke außerparlamentarische Zeichen kurz vor der Wahl? Tausende | |
empörte MieterInnen, die den wohlfeilen Wahlversprechen zum Thema Wohnen | |
etwas entgegen setzen? | |
„Wenn die angemeldeten 2.500 Teilnehmer wirklich kommen, bin ich schon | |
froh“, sagt Rouzbeh Taheri, als Sprecher des Mietenvolksentscheids in der | |
stadtpolitischen Szene gut vernetzt. Ob sich die vielen auf diesem Feld | |
aktiven Initiativen überhaupt zu einer gemeinsamen Demo zusammenraufen | |
würden, sei lange ungewiss gewesen. Das Thema wird von | |
außerparlamentarischer Seite in diesem Wahlkampf bisher erstaunlich wenig | |
besetzt – auch im Konflikt um die Rigaer94 überschattete die Diskussion um | |
Polizei und brennende Autos die darinsteckende stadtpolitische | |
Auseinandersetzung. | |
Das war einmal anders: Vor der letzten Wahl 2011 protestierten rund 6.000 | |
BerlinerInnen gegen steigende Mieten – die Demonstration war damals der | |
Höhepunkt einer außerparlamentarischen Intervention in den Wahlkampf, die | |
das Thema Mietenpolitik erst auf die Agenda setzte. „Dass sich Politiker | |
hinstellen und sagen, es gibt hier kein Problem, das war danach eigentlich | |
nicht mehr möglich“, sagt Taheri. | |
Fünf Jahre später ist einiges erreicht: Mietenpolitik ist ein bestimmendes | |
Thema des Wahlkampfs, den Einfluss außerparlamentarischer Bewegungen auf | |
die Parteien kann man dabei zum Teil wörtlich von den Plakaten ablesen: | |
„Miethaien Zähne ziehen“ verlangen die Grünen, mit der als Plakatmotiv | |
dienenden „Mietrebellin Oma Anni“ schmücken sich Linke wie SPD. Und auch | |
jenseits des Diskurses hat man viel erreicht: „Jede mietenpolitische | |
Verbesserung, die es in den letzten Jahren gab, ist auf | |
zivilgesellschaftlichen Druck zurückzuführen“, sagt Sandy Kaltenborn von | |
Berlins berühmtester MieterInneninitiative Kotti & Co. | |
Heißt das, der Druck von der Straße ist heute einfach nicht mehr so nötig | |
wie noch 2011 – zumal, wenn sich abzeichnet, dass die um MieterInnen | |
werbenden Oppositionsparteien wohl bald mitregieren dürfen? Das verneinen | |
die Aktiven: „Den Druck von der Straße braucht es immer, das wird auch mit | |
einem Regierungswechsel nicht anders werden“, sagt Kaltenborn, ähnlich | |
drückt es Taheri aus. David Schuster vom Bündnis Zwangsräumung verhindern, | |
das ebenfalls zu der Demo aufruft, geht noch weiter: „Wir versprechen uns | |
überhaupt nichts von den Parteien, für uns sind das alles leere | |
Wahlversprechen.“ | |
Taheri macht ein „grundsätzliches Problem der Bewegung“ für die mangelnde | |
Präsenz verantwortlich: „Es gibt zwar viele Initiativen, aber die stecken | |
oft so in ihren spezifischen Kämpfen, dass eine gemeinsame landespolitische | |
Intervention schwierig wird.“ Das habe auch mit dem breiten Themenfeld zu | |
tun: „Wer gegen eine energetische Sanierung kämpft, hat erst mal andere | |
Probleme als eine Initiative gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen.“ | |
Diese Ausdifferenzierung muss man nicht als Problem sehen: „Dass es so | |
viele konkrete, lokale mietenpolitische Kämpfe gibt, sehen wir als positive | |
Entwicklung“, sagt Christian Lindemann vom ebenfalls zur Demo aufrufenden | |
Bündnis Hände weg vom Wedding – allerdings sei es eben auch nötig, diese | |
punktuell zusammenzuführen. Dafür, sagt Rouzbeh Taheri, fehle es momentan | |
an einem „wegweisenden gemeinsamen Projekt“. | |
Die letzte landesweite Initiative war der Mietenvolksentscheid. Kein | |
Zufall: „Das damit durchgesetzte Wohnraumversorgungsgesetz ist für Berliner | |
Verhältnisse ein Riesenschritt nach vorne – andererseits war die Einigung | |
bewegungspolitisch ein Desaster“, sagt Kaltenborn, der mit Kotti & Co stark | |
in den Volksentscheid involviert war. Denn mit der Dynamik auf der Straße, | |
die während der außerordentlich erfolgreichen Unterschriftensammlung | |
kräftig Aufwind erfahren hatte, war es schlagartig vorbei, als sich der | |
Volksentscheid in die Verhandlungszimmer verlegte. „Damals wurde die | |
Differenz deutlich zwischen einer Mieterperspektive, die möglichst schnell | |
reale Verbesserungen will, und einer Aktivistenperspektive, der es um die | |
Bewegungsdynamik geht“, sagt Kaltenborn. | |
Dass die Parteien verstärkt auf das Thema Mieten setzen, kommt in der | |
Bewegung dabei nicht nur gut an: Direkt neben ihrem Protesthäuschen am | |
Kottbusser Tor, dem Gecekondu, habe die SPD ihre „Berlin bleibt | |
bezahlbar“-Plakate aufgehängt, erzählt Kaltenborn: „Das klingt für uns | |
einfach nur wie Hohn.“ | |
8 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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